„Relaxen statt flexen“

4 Tage Woche: Das machen Menschen mit mehr Freizeit

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von | 5. Mai, 2023

Warum wünschen sich Menschen einen Tag mehr Erholung? Was wollen sie mit mehr Freizeit anfangen? Bis mittags ausschlafen, chillen und binge watching? Oder haben sie etwas ganz anderes vor?

Auszug aus dem Buch 4 TAGE WOCHE von Martin Gaedt (Werbung)

Kath Blackham, die Chefin der australischen Agentur Versa, sagt: „Mittwochs können die Mitarbeiter ins Fitnessstudio gehen, sich um den Haushalt und ihre Kinder kümmern, an ihrem Start-up arbeiten oder Netflix schauen.“

Alles ist erlaubt. Jeden Mittwoch ist das Büro geschlossen. Was schätzen die Mitarbeiter am meisten an der 4-Tage-Woche? „Dass sie ihre Zeit am Freitag frei verplanen können“, sagt Marco Bruns, Handwerksmeister von der Bruns MSR-Technik GmbH in Haselünne im Emsland. „Sie nutzen den freien Tag für Freizeitaktivitäten, Ausflüge mit Familie und Freunden, oder aber für Pflichttermine bei Behörden, für die an den anderen Tagen keine Zeit bleibe. Die Resonanz ist durchweg positiv. Gerade bei jüngeren Menschen sind flexible Arbeitszeitmodelle gefragt.“ 

Das Good News Magazin fragte im Dezember 2022 in einer Instagram-Story: „Was würdest du mit der freien Zeit tun?“ 29-mal werden „Hobbys, Sport, Natur, Zeit für sich“ genannt, 17-mal „Kinder, Familie“, 12-mal „Haushalt, Erledigungen“, 10-mal „Gesundheit“, 5-mal „Engagement, Ehrenamt“. Klingt das zu idealistisch? Oder sind das alles nur gute Vorsätze? Was machen Menschen wirklich? Profitieren Familien und Freunde tatsächlich? Gewinnen Vereine mehr Engagierte?

Demokratie braucht Freizeit

In Deutschland gibt es 580.000 Vereine, 90.000 davon sind Sportvereine. Die meistbetriebenen Sportarten sind Schwimmen und Radsport, Fußball kommt auf Platz 8. Sport zu betreiben braucht Freizeit. Training auch. Sportlerinnen und Sportler im Ehrenamt zu trainieren, braucht Zeit. Sehr viel Freizeit. Die ZEIT berichtet 2019 über die Mitglieder in Sportvereinen: „Studien haben die monatliche Arbeitsleistung errechnet, bei Fußballvereinen liegt sie bei 23 Stunden. Schätzungen zufolge arbeiten Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler in Sportvereinen bundesweit zwei Millionen Stunden im Monat.“ Daraus resultiert eine monatliche Wertschöpfung von rund 30 Millionen Euro.

Matthias Feller ist einer von 20 Mitarbeitern der GOEKELER Messtechnik GmbH und arbeitet 34 Stunden Vollzeit – und freitags als ehrenamtlicher Trainer. Irgendwann fiel seinen Jungs positiv auf, dass ihr Trainer viel entspannter zum Training kam als früher. Als klar war, dass seine Entspannung keine Eintagsfliege ist, fragten sie ihn, wie es zu der Veränderung kam. Seine Antwort überraschte sie: „Weil ich freitags nicht arbeite. Da habe ich jetzt immer frei.“ 

Sein Chef Timo Gökeler ist Fan der 4-Tage-Woche. „Wir machen das schon seit 2020, und es rockt“, sagt er zu Martin Gaedt im Gespräch. „Wir haben es inzwischen geschafft, Prozesse so zu verschlanken, dass wir dafür weniger Arbeitszeit benötigen.“ Die gewonnene Zeit zu nutzen, indem er seinen Mitarbeitern mehr Arbeit obendrauf packt, kam für ihn nicht infrage. Ganz bewusst will er den Stress und die Arbeitsbelastung seiner Mitarbeiter reduzieren. „Sonst sind sie irgendwann ausgebrannt.“

Die gewonnene Zeit gibt Gökeler mit voller Überzeugung zurück an sein Team: Vollzeit bedeutet nun 34 Stunden Arbeitszeit an 4 Tagen bei vollem Lohn. Wer will, kann mittags mit den Kindern zuhause essen. Das ist Lebenszeit und Lebensqualität. Der Erfolg aller Maßnahmen ist höher als er erwartet hatte. So liegt die Krankheitsquote im Unternehmen bei 0,5 %. GOEKELER Messtechnik ist weltweit einer der Top Drei in seiner Branche. „Wir sind heute auch in den USA, Japan und China bekannt“, sagt Gökeler. Extrem hohe Leistung ist also auch in einer 4-Tage-Woche möglich mit regionalem Engagement.

Ehrenamt ist gesellschaftlich wichtig. Die meisten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland arbeiten ehrenamtlich: „Von den mehr als 11.470 Bürgermeistern in Deutschland sind lediglich etwa 3.440 hauptamtlich tätig – dafür engagieren sich mehr als 8.030 ehrenamtlich als Bürgermeister.“ Dieser Einsatz braucht viel Engagement, Motivation und Freizeit. Danke!

In den „Wir schaffen das“-Jahren seit 2015 haben 55 % der Bevölkerung ab 16 Jahren geflüchtete Menschen in Deutschland unterstützt. Die absolute Mehrheit aller Deutschen hat sich aktiv für die Integration und Vielfalt im Land engagiert. Danke!

Die Altersgruppe mit den meisten ehrenamtlich Engagierten sind – TROMMELWIRBEL – die 16- bis 25-Jährigen. Gute 74 % von ihnen sind in Vereinen, Verbänden, Gewerkschaften und Kirchen aktiv – sie übernehmen Verantwortung. Ehrenamt ist bei jungen Menschen beliebter denn je. Danke!

Kurztrip, Pferd und Hausbau

Auch für Sport wird der freie Tag genutzt. Maximilian Reymann nutzt seine freie Zeit für Basketball, seinen Lieblingssport. Sein Arbeitgeber JustOn GmbH in Jena verschenkt 26 freie Tage pro Jahr, jeder zweite Freitag ist frei. Die Reporterin Olga Patlan vom Team Upward besucht ihn in der Basketball-Halle und fragt: „Könntest du deinem Hobby auch genauso nachgehen, wenn du eine klassische 5-Tage-Woche hättest?“ Maximilian ist sich sicher: „Nicht mit der Leidenschaft. Freitags schaue ich mir die Videos von den letzten Spielen an. Dann starte ich gut vorbereitet und ausgeruht ins Basketball-Wochenende.“

„Es ist sehr verlockend, drei Tage in der Woche frei zu haben. Ich reite in meiner Freizeit. Wenn ich dafür einen ganzen Tag mehr habe, kann man das besser ausüben“, schwärmt Hotelfachfrau Janine Mende. Sie ist Mitarbeiterin der Wiesbadener Légère Hotelgroup. Seit Januar 2023 können alle 250 Angestellten ihre 40 Stunden Arbeitszeit auch in 4 Tagen verrichten. Martin Radunz, Head of Human Resources sagt: „Nur zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können ihr volles Potenzial abrufen. Davon sind wir schon immer überzeugt.“

Auch Tiffany Schrauwen, Projektmanagerin bei Versa nutzt ihren freien Tag für Sport. Sie trainiert Mittwochsmorgens auf dem Tennisplatz, um ihre Rückhand zu verbessern.

In der 2015 gegründeten Firma NSI-Technik in Acholshausen südlich von Würzburg kann man seit 2021 zwischen einer 4-Tage- und einer 5-Tage-Woche wählen. Jeden Monat aufs Neue! „Es ist alles nur eine Frage der Planung und Organisation!“, schreibt Tanja Nöth, die mit ihrem Mann die Firma leitet.

„Ein Kollege baute gerade ein Haus, dem kam es natürlich ganz recht und so konnte er von Freitag bis Sonntag an seinem Haus bauen, ein anderer Kollege hat einen sehr weiten Anfahrtsweg und spart sich somit eine Tankfüllung im Monat.“ Manche bleiben lieber bei der 5-Tage-Woche, denn andere Kollegen sind junge Familienväter und möchten gerne abends pünktlich zuhause sein, um sich mit ihren Kindern zu beschäftigen. Diese Flexibilität zahlt sich auch für NSI-Technik aus, denn das Team wächst stetig. 

Die ANTHOJO-Gruppe betreibt 17 Pflege-, Reha- und Eingliederungshilfe-Einrichtungen im Südosten Oberbayerns und beschäftigt rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 20 Nationen. Die 4-Tage-Woche wurde vor zwei Jahren von der Leitungsrunde mit einem eindeutigen Ja abgestimmt und eingeführt. Seitdem gibt es statt nur der normalen Schichten an 5 Tagen für Pflegekräfte auch die Option auf 4 längere Schichten an 4 Tagen. Das Mitglied der Geschäftsführung von ANTHOJO, Tom Anagnostopoulos meint dazu: „Der Freizeitwert ist der größte Vorteil durch die 4-Tage-Woche! Die Work-Life-Balance steigt deutlich.“ Er bringt aber auch ganz offen zur Sprache, dass die Organisation herausfordernd ist, denn im Schichtbetrieb sind die Dienste mit nur 4 Tagen Präsenz schwerer zu besetzen. Doch der positive Freizeitwert für die Angestellten ist der Firma den Aufwand wert.

„Mehr Freizeit ist wichtig, vor allem mehrere freie Tage am Stück.“, sagt Helmuth Zechner, Eigentümer der 1868 gegründeten Buchhandlung Heyn aus Klagenfurt am Wörthersee. Seit Juni 2022 ist die Buchhandlung montags geschlossen. Almut Kristler, die Assistentin der Geschäftsführung, betont, es sei der Wunsch nach mehr zusammenhängender Freizeit entstanden. Die Erwartungen an Arbeit und Gesundheit hätten sich geändert. Tino Buchleitner, einer der 32 Angestellten bei Heyn, genießt das verlängerte Wochenende und freut sich, dass er nun noch mehr Bücher für die Kundinnen und Kunden lesen kann.

Besser als vorher findet Lena Geuer von der Digitalagentur vereda die Einteilung der Arbeitszeiten: „Jeder hat mehr Zeit für private Termine oder Erledigungen und auch die Möglichkeit, mal einen Kurztrip am Wochenende zu machen, was nachweislich die Kreativität und Ausgeglichenheit am Arbeitsplatz steigert.“

„Die Ski-Ausrüstung gehört einem Kollegen, er fährt Freitag in den Urlaub“, sagt Geschäftsführer Joachim Thiele. Einen Urlaubstag muss der Mitarbeiter dafür nicht opfern. Denn seit Anfang des Jahres arbeitet ein Großteil der Belegschaft des Sanitär- und Heizungsunternehmens nur von montags bis donnerstags.

Familie gewinnt

Ganz vorne bei den Profiteuren der 4-Tage-Woche steht die Familie. Maximilian Schuler ist Vertriebsleiter bei der Recruiting Now GmbH in Gmund am Tegernsee. Ihm bleibt mit der 4-Tage-Woche mehr Zeit für seine Tochter und für Ausflüge. Seit 2020 sind 3-Tage-Freizeit im Unternehmen frei wählbar. Die meisten der rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich für die 4-Tage-Woche entschieden. Maximilian Schuler arbeitet neun Stunden von Montag bis Donnerstag. Sein Gehalt und die Anzahl der Urlaubstage sind gleichgeblieben. Schuler muss nun die Arbeit, für die er früher fünf Tage Zeit hatte, in vier Tagen erledigen. Was für andere stressig klingen mag, nennt Schuler genial. Seine Kollegin, die Portalmanagerin Julia Kinder, hat sich anders entschieden. Sie bleibt bei der 5-Tage-Woche, um nachmittags früher zuhause zu sein. Geschäftsführer Peter Posztos empfiehlt allen: „Einfach mal ausprobieren.“

In Hundeshagen, Nordthüringen versprach der Unternehmer Rocco Funke seinem Sohn viel gemeinsame Zeit bei der Geburt. So wurde er zu einem Vorreiter der 4-Tage-Woche in Thüringen. Seine Angestellten arbeiten statt 40 Stunden nun 32 Stunden im Leckortungs- und Bautrocknungsservice bei gleichem Gehalt. „Die Mitarbeiter haben im Endeffekt eine fette Gehaltserhöhung bekommen“, sagt Funke. Aber auch er selbst profitiert von der Veränderung. „Gelassener und gesünder ist er nun“, sagt seine Frau über ihn im MDR. Man sieht Rocco Funke im Wohnzimmer auf dem Boden liegend, wie er mit seinem Kind spielt. Den Schwur bei der Geburt und die konsequente Umsetzung nennt der MDR „ein modernes Märchen“. Mit mehr Freizeit erwirtschaftet die Firma sogar 50 % mehr Umsatz und „hat 100 Prozent mehr Spaß.“

Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee besuchte Funkes Firma, um mehr über die 4-Tage-Woche zu erfahren. Und auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow besichtigte den Betrieb. „Wir brauchen eine andere Kultur. Es ist eine Frage des Führens und des Vertrauens“, sagte er bei dieser Gelegenheit. Roccos Rezept, wie er die neue Freizeit- und Familienkultur geschaffen hat, fasst er so zusammen: „… viiiiiiele umgesetzte Maßnahmen und ein harter Weg besonders für mich als Chef. Eine neue Unternehmenskultur entwickelt sich halt nicht nebenbei.“

Häufig tun sich Menschen schwer mit Veränderung. Was wir kennen, ist gewohnt, vertraut und bietet Sicherheit. Das Neue hingegen ist in der Regel noch ungewohnt, unvertraut und ungewollt. Im Fall der 4-Tage-Woche schafft das Bedürfnis nach mehr Freizeit eine positive Haltung gegenüber dem Wandel. 

Mehr Familie, Freunde, Sport, Ehrenamt, Kultur und andere Hobbys punkten. Auch beim Friseursalon Anita in Rinn bei Innsbruck profitieren alle: „Für unsere Mitarbeiter ergibt sich durch die neue Arbeitszeitgestaltung ein verlängertes Wochenende, das ist ideal für Erholung, Partnerschaft und Familie. Auch ich als Familienvater und Unternehmer genieße die Vorteile dieses Geschäftsmodells und freue mich auf viele weitere erfolgreiche Jahre“, sagt Marco Steiner, der den familiär geführten Meisterbetrieb leitet.

Mit „Relaxen statt flexen“ bewirbt die Hoffelner Metalltechnik den zusätzlichen freien Tag. Das Team in Reichenthal an der tschechischen Grenze genießt die 4-Tage-Woche seit Anfang 2021. Der Spruch „Relaxen statt flexen“ kommt von der Werbeagentur Gestalterei.at. Die 4-Tage-Woche ist ein zentrales Element, um das sympathische Team zu vergrößern: „Obwohl wir nicht alle gleich groß sind, arbeiten wir immer auf Augenhöhe. Das macht uns als Team stark und erfolgreich!“

Mehr dazu:

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Beitragsbild: Depositphotos

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    Martin Gaedt

    Martin Gaedt ist Autor der Bücher "Rock Your Idea" und "Mythos Fachkräftemangel". Er ist Arbeitsmarktexperte, mehrfacher Unternehmensgründer und war 2007 bis 2020 Arbeitgeber. Good Work mit Raum zur Entfaltung, Ideenfitness und Provotainment liegen ihm am Herzen, denn Fragen, Humor, Provokation und engagierte Kolleg:innen sind der Keim aller Veränderung.

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