Beitragsbild: Allianz Arena / B. Ducke
In unseren Good News Thought widmet sich unsere Chefredakteurin Viktoria dem Thema Homosexualität im Fußball. Von Entwicklungen, die Mut machen und warum sie so wichtig sind.
Warum ist das Privatleben und die sexuelle Orientierung eines Fußballers eigentlich eine Good News?
Dem gesunden Menschenverstand nach sollte es nicht so sein (dürfen), doch wenn die FIFA bei ihrer Weltmeisterschaft in Katar mit fünf Milliarden Zuschauer:innen rechnet, dann haben Fußballer offensichtlich eine Vorbildwirkung. Und so waren es auch für uns Good News, als sich der Australier Joshua Cavallo im letzten Herbst als erster aktiver Fußballprofi outete und Jake Daniels diesen Schritt im Mai 2022 als erster europäischer aktiver Profi ging.
Ich selbst arbeite international für UEFA und FIFA und bei jedem dieser Großevents wird für Toleranz, Offenheit und Respekt geworben. Doch warum gab es bei der Frauenfußball-WM 2019 40 offen lesbische Spielerinnen, bei der Fußball-WM 2018 der Männer hingegen Null?
Eine repräsentative Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass sich EU-weit 6,6 Prozent der Frauen und 5,3 Prozent der Männer als LGBT identifizierten. Selbstverständlich variieren bei einem solch privaten und intimen Thema die tatsächlichen Zahlen – vor allem im internationalen Vergleich. Die Queer-Community ist je nach Land von Stigmatisierung oder gar der Todesstrafe bedroht; es ist also kein Wunder und völlig berechtigt, dass nicht alle Menschen dieses Label tragen wollen. Fußballer werden zum Teil als Helden verehrt, müsste ihnen bei diesem Rückhalt ein Outing nicht leichter fallen? Oder ist es gerade deshalb umso schwerer?
Gehen Homophobie und Fußball Hand in Hand?
Zugegeben, viele Weltverbände, nationale Verbände und Clubs positionieren sich immer stärker gegen Homophobie. Doch bei Fans und leider auch einigen Spielern scheint diese Haltung noch vorhanden.
Homophobe Gesänge mexikanischer Fans führten im vergangenen Jahr zu einer Strafe seitens der FIFA. Das Schlimme daran? In den letzten sechs Jahren strafte die FIFA laut Queer.de mexikanische Fans 14 Mal für derartige Gesänge ab.
Mit Blick auf die bevorstehende Weltmeisterschaft in Katar ist die Sorge um Homophobie ebenfalls groß und obwohl der Emir alle Menschen willkommen heißt, erwartet er “Respekt vor der Kultur des Landes” – sprich, keine offenen homosexuellen Handlungen. Eine Recherche skandinavischer Journalist:innen zeigte sogar, dass Hotels des Landes schwule Gäste direkt ablehnten.
Doch auch im als tolerant geltenden Skandinavien scheint der Fußball nicht vor Homophobie gefeit. Nachdem er in einem Erstligaspiel von einem Spieler homophob beleidigt wurde, entschied sich der norwegische Schiedsrichter Tom Harald Hagen am Tag darauf für ein Coming-out – und nahm die Beleidigung eher locker: „Es ist der Gipfel der Ironie, dass ausgerechnet ich dieses Spiel geleitet habe.“
Es scheint auch kein Problem des Sports an sich zu sein. Warum “darf” sonst ein Eiskunstläufer eher schwul sein als ein Fußballer? Warum ist “jede Fußballerin” lesbisch? Letzteres ist als Urteil ebenso homophob. Also ja, Homophobie und Fußball scheinen leider (noch) zu großen Teilen Hand in Hand zu gehen – wenn sich nichts ändert. Wie tief verwurzelt es tatsächlich ist, liest man auf der ersten Seite von Tanja Walthers Abhandlung “Kick it out – Homophobie im Fußball” bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Achtung, aufgrund der explizit homophoben Zitate sprechen wir eine Triggerwarnung aus.
Gibt es nur heterosexuelle Bundesliga-Spieler?
In der ersten und zweiten deutschen Bundesliga spielen über 1.000 Spieler. Rein rechnerisch wären 64 von ihnen nicht heterosexuell. Wir kennen keinen einzigen davon. Politiker:innen und selbst Priester:innen haben sich bereits geoutet, unter anderem auch, weil sie sich gegen Stigmatisierung einsetzen wollten und sich ihrer Vorbildwirkung bewusst waren.
Die Zeit ist reif für ein Coming-out im deutschen Männer-Fußball. Dass eine Verheimlichung eine Belastung für den Spieler und eine Chance für den Nachwuchs sein könnte, zeigte das Statement von Jake Daniels zu seinem Coming-out:
Ich habe es mein ganzes Leben lang gehasst, zu lügen und das Gefühl zu haben, mich ändern zu müssen, um dazuzugehören. Ich möchte selbst ein Vorbild sein, indem ich dies tue. Es gibt da draußen Menschen, die sich in der gleichen Situation wie ich befinden und sich vielleicht nicht wohl dabei fühlen, ihre Sexualität zu offenbaren. Ich möchte ihnen nur sagen, dass man nicht ändern muss, wer man ist oder wie man sein sollte, nur um dazuzugehören.
Ein Junge auf dem Bolzplatz muss wissen, dass er nicht der heteronormativen Norm entsprechen muss, um seinen Sport auszuüben.
Die Frauen machen es vor
Dass indes so viele Fußballerinnen offen lesbisch sind, heißt nicht, dass sie weniger Diskriminierung ausgesetzt sind. Neben Homophobie kämpfen die Frauen zugleich noch gegen Sexismus. Gleiche Bezahlung wie die Männer ist selbst bei den teils erfolgreicheren Frauennationalteams eine Seltenheit – zuletzt erkämpften die USA und Spanien eine an die Männer angeglichene Bezahlung.
In puncto Homosexualität jedoch scheint die Toleranz von Fans und Spielerinnen allgemein größer zu sein als im Männerfußball. US-Fußballerinnen wie Megan Rapinoe sind Stars und Sprachrohre für Toleranz. In Deutschland kämpfen die zwei verheirateten Teamkolleginnen Anna Blässe und Lara Dickenmann vom VfL Wolfsburg unter dem Hashtag #kickout gegen die Diskriminierung. Auch wenn ein aktiver Fußballprofi hier noch fehlt: Die vielen Gesichter und Geschichten der Initiative machen Mut.
Für die LGBTQ+ Szene wäre ein Outing großer – und hier explizit männlichen – Fußball-Stars ein wichtiger Schritt, um noch mehr Präsenz und hoffentlich auch mehr Akzeptanz zu erreichen. Vor allem aber könnte es eine tolerantere Zukunft für den (sportlichen) Nachwuchs bedeuten.
Die besten Fußballer haben Millionen von Fans – schwer vorstellbar, dass alle sich von ihrem Idol abkehren, nur weil er sich outet. Und weil es dennoch ein so schwerer und vor allem intimer Schritt ist: Warum diesen Weg nicht als Team gehen? So wie es Kirchenmitglieder der Initiative #outinchurch vormachten. #outinfootball wäre wünschenswert. Zwei schwule Volleyballer benannten im Interview mit der Süddeutschen Zeitung eine große Hoffnung:
Unsere Generation ist die letzte, die sich outen muss.
Das wäre vor allem all den Millionen Kindern und Jugendlichen zu wünschen, die weltweit auf Straßen, Spielfeldern und Betonplätzen kicken: Dass es irgendwann egal ist, wer da kickt.