Die Algen-Revolution

das ist ein GNM+ ArtikelAlgen können die Wunderwaffe für eine nachhaltigere Zukunft sein

von | 15. Dezember, 2022

Algen können viel mehr als nur unsere Sushirollen zusammenhalten, denn sie entpuppen sich als wahre Alleskönner und können die Klimarettung revolutionieren. Egal ob in der Küche, als Plastikersatz oder sogar als Wundermittel gegen Kuhfürze – die glibbrigen Meeresbewohner sind vielfältig einsetzbar. 

Algen sind überall auffindbar und wachsen schnell.
Makroalgen sind weltweit zu finden und vielseitig einsetzbar. Beitragsbild: Tapani Hellman/ pixabay
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Klimaretter Alge

GNM
Algen können viel mehr als nur unsere Sushirollen zusammenhalten. Beitragsbild: Luiz Maciel/pexels

Bei den Unterwasserpflanzen wird zwischen Mikro- und Makroalgen unterschieden. Dabei sind vor allem Makroalgen für eine klimarettende Zukunft von Bedeutung. Diese sind durch ein prägnantes Unterscheidungsmerkmal auch für Laien gut erkennbar: Makroalgen werden am Strand angespült. Sie können bis zu 60 Meter lang werden und sind im Volksmund auch als „Seetang“ bekannt. Am Strand oder in Badeseen werden die langen Gewächse meist als ekelhaft empfunden, dabei schlummert in den grau-grünen Pflanzen jede Menge Potential.

Algen sind nichts anderes als die Pflanzen des Meeres. Wie ihre Verwandten an Land entziehen sie ihrem Umfeld CO2, das sie durch Photosynthese binden und in Biomasse umwandeln. Aufgrund dessen können die Meerespflanzen unter anderem in stark befahrenen Gebieten als Abgasfilter eingesetzt werden.


Aber nicht nur durch das Filtern von CO2 sind Algen im Kampf gegen den Klimawandel von großer Bedeutung: Besonders ihre Art der Speicherung von CO2 ist im Sinne der Forschung interessant. Denn wenn die Meerespflanzen sterben, fallen sie natürlicherweise auf den Meeresboden und nehmen das gespeicherte CO2 mit sich. Dort bleibt das gebundene CO2 tausende Meter tief am Meeresboden und wird nicht wieder in die Atmosphäre freigesetzt. Wendet man dieses Wissen großflächig an, kann es im Kampf zur Senkung des globalen CO2-Ausstoßes viel bewirken: In einem Bericht des Auslandsrundfunks Deutsche Welle heißt es, dass die weltweiten landwirtschaftlichen Emissionen ausgeglichen werden können, wenn 2% der Ozeane für den Anbau und die Versenkung von Meeresalgen verwendet werden. 


Gegen dicke Luft: Algen als Kuhfutter

Doch auch an Land können die Meerespflanzen gezielt eingesetzt werden, um die Schadstoffe in unserer Atmosphäre zu reduzieren. Denn Seetang hat eine faszinierende Wirkung auf Kuhmägen. Die Verdauungsgase der milchgebenden Nutztiere enthalten normalerweise hohe Mengen Methan, ein Gas, das den Treibhauseffekt in unserer Atmosphäre signifikant verstärkt. Australische Forschende fanden nun heraus, dass eine im Kuhfutter verwendete Rotalge den Methanausstoß der Tiere um 98% reduzieren kann. Dieses Forschungsergebnis galt als bahnbrechende Erkenntnis, da die bei der Verdauung entstehenden Gase der Kühe etwa 6% zur Klimaerwärmung beitragen.  Um die Ausmaße zu veranschaulichen: Diese 6% sind vergleichbar mit dem Anteil des Einflusses durch den weltweiten Flugverkehrs. Würde man den Kühen also Algen ins tägliche Futter mischen, könnte man die Luftverschmutzung durch methanhaltige Kuhfürze um ein Vielfaches reduzieren und gleich in mehrerer Hinsicht für bessere Luft sorgen.


An der Umsetzung dieser Erkenntnis scheitert es jedoch vorerst, denn die benötigte Rotalgenart ist weltweit sehr selten. Zudem wurden in der Milch der Probandenkühe Rückstände von Bromoform aufgefunden, einem Molekül aus Brom-, Kohlenstoff- und Wasserstoff-Atomen. Bromoform ist in größeren Mengen toxisch und schränkt die Trinkbarkeit der Algen-Kuhmilch um ein Vielfaches ein. Es zeigt sich also, dass noch deutlich mehr Forschung benötigt wird.  Doch die Hoffnung auf eine Weiterentwicklung der Erkenntnisse bleibt bestehen. 

Das nährstoffreiche Superfood 

In Asien seit Jahrhunderten sehr geschätzt und in Irland als Arme-Leute-Essen abgetan, bahnen sich Algen nun ihren Weg in die Regale der europäischen Supermärkte. Die Anerkennung der grünen Glibberpflanzen als Nahrungsmittel wächst und das völlig zu Recht, denn Algen gelten als besonders nährstoffreich. Mit ihren hohen Ballast- und Eiweißwerten  machen sie schnell satt und sind zudem noch gesund. Und nicht nur das  – Algen wachsen schnell und unter Wasser, was bedeutet, dass sie nicht mit der Lebensmittelproduktion an Land konkurrieren. Besonders gerne werden Braunalgen zu Lebensmitteln wie beispielsweise in Salaten oder als gesunde Snacks weiterverarbeitet. Diese bestimmte Algenart hat weltweit einen hohen Bestand und wächst aufgrund der Erderwärmung noch stärker. Anstatt die Meerestiere und Korallenriffe mit dem zunehmenden Algenvorkommen zu belasten, könnte es gefischt und von Menschen gegessen werden. Eine Win-Win-Situation. 

Algen sind Superfood.
Algen sind reich an Ballaststoffen, Eiweiß und Zink. Außerdem haben sie kaum Kalorien. Beitragsbild: Markus Winkler/pexels

Mehr als 200 der 10.000 Algenarten weltweit können verzehrt werden. Dazu zählt natürlich die vielen als wichtige Zutat von Sushi bekannte Nori-Alge, aber auch Sorten wie Dilsea, Palmaria und viele weitere. Gewaschen sind die Nährstoffbomben eine Grundlage von Salaten, Pasta und sogar veganem Speck. Der Däne Willem Sodderland, bekannt als Revolutionär der Algen-Küche, hat noch zahlreiche weitere Rezepte entwickelt, in denen er die grünen Helden in Brot verarbeitet oder als Nudeln kocht. Er glaubt daran, dass Algen die Lebensmittel der Zukunft sind. Ein weiterer Vorteil: Salzen muss man beim Zubereiten der Algengerichte in der Regel nicht mehr.

Photovoltaik der Zukunft: Algenenergie auf dem Dach

Eines der neuesten Einsatzgebiete von Algen ist die Solarenergie. Grüne Algen-Paneele auf den Dächern von Häusern oder an den Fassaden von Bürogebäuden können gleich mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen. Darunter zählt die Erzeugung von Strom, Sauerstoff und Biomasse.

Entwickelt wurden die multifunktionalen Solarzellen vom mexikanischen Unternehmen Greenfluidics, das damit gleichzeitig den  Grundstein für ein neues urbanes Stadtbild legt. Die flachen Paneele sind mit durch Kohlenstoff-Nanoartikel angereichertem Wasser befüllt, in dem die Algen heranwachsen können. Daraus ergibt sich auch ihr grünes Erscheinungsbild. Aufgrund der Nanoflüssigkeiten im Wasser weisen die Algen-Tanks eine hohe Wärmeleitfähigkeit auf, die zur Stromproduktion verwendet werden kann. Bei ausreichender Sonnenbestrahlung wird das Wasser innerhalb der Paneele erwärmt. Ein thermoelektrischer Generator hilft dabei, die erzeugte Wärme in Elektrizität umzuwandeln. Nach den Berechnungen des mexikanischen Unternehmens würden die Algen-Photovoltaikanlagen auf den Stadtdächern 328 Kilowattstunden Strom pro Jahr leisten. 

Dazu kommt, dass die Algenanlagen die Gebäude kühl halten, weil die Sonnenstrahlen nicht direkt die Oberfläche der Häuserdächer erreichen. Laut Greenfluidics können so bis zu 90 Kilowattstunden Strom pro Quadratmeter gespart werden, die sonst zur Klimatisierung der Innenräume benötigen würden.
Die Wissenschaftler:innen von Greenfluidics denken aber noch viel weiter. Sie sehen die Algen-Tanks bereits als potenzielle Lösung für etwaige zukünftige Siedlungen auf Mars oder Mond. Das Sonnenlicht und das von Menschen ausgeatmete Kohlenstoffdioxid bilden in dieser Vorstellung die Grundlage zur Produktion von Sauerstoff, welches die Siedler:innen zum Überleben benötigen.

Bisher fehlt es aber noch an der Umsetzung auf unserem Heimatplaneten. In den kommenden Jahren werden die Paneele zunehmend in Pilotprojekten getestet, um vielleicht bald die üblichen Solaranlagen ablösen zu können. In Hamburg wurde bereits 2013 im Rahmen der Internationalen Bauaustellung (IBA) das weltweit erste Gebäude mit Algen-Fassade errichtet. Die in der Fassade entstehende Wärme steht dem Haus direkt als Heizenergie zur Verfügung.

Plastik für den Kompost

Algen wachsen schnell und brauchen keine Bewässerung oder Dünger. Das macht sie zu einem wirtschaftlich und ökologisch wertvollen Rohstoff. Außerhalb der Küche und von Kuhställen etablieren sich Algen damit zu einer geeigneten Ressource für kompostierbare Plastikalternativen.

Von Natur aus weisen Makroalgen ein stabile Struktur auf, da sie unter Wasser viel Widerstand ausgesetzt sind. In einem Verfahren der französischen Firma Algopack wird mit diesem Wissen gearbeitet. Aus dem natürlichen Polymer der Braunalgen wird zunächst Granulat hergestellt. Daraus werden im weiteren Verlauf Alltagsgegenstände wie beispielsweise Deckel, Schalen, Brillengestelle oder sogar Möbel angefertigt. Alle Produkte aus der Plastikalternative sind zu 100% biologisch abbaubar und können auf dem Kompost im Garten entsorgt werden. Solche kompostierbaren Materialien können die Zukunft sein, um das weltweite Müllaufkommen drastisch zu reduzieren. 

Es braucht mehr künstlichen Anbau

Die Einsatzbereiche von Algen erweisen sich also als nahezu unbegrenzt. Forscher:innen aus aller Welt gewinnen ständig neue Erkenntnisse über die jahrtausendealte Pflanze hinzu und werden nicht müde, auf das Potential der unscheinbaren Meeresbewohner hinzuweisen. Damit bleibt die Frage, warum nicht längst alle der aufgeführten Verfahren Teil unserer Wirtschaft sind. 

Eine Antwort ist: Auch Algen müssen angebaut werden. Es gibt massenweise Algen in den Meeren unserer Welt, jedoch fehlt es an Strategien zur Kultivierung und Statistiken über den Verbrauch, wenn sich Algen als weitverbreiteten Rohstoff durchsetzen. 97% der Welt-Algenernte stammen aus Aquakulturen in Asien. Dort sind die größten Produzenten China, Südkorea, die Philippinen und Indonesien. Doch gerade wenn große Ziele wie Algenverpackungen, die großflächige Versenkung von Algen und die vermehrte Produktion von Lebensmitteln aus Algen angestrebt werden, braucht es auch mehr Algen made in Europe. Die Algenforscherin Dr. Laurie Hofmann vom Alfred Wegener Institut rechnet damit, dass aktuell 50% der Europäischen Algenproduktion aus Aquakulturen verbrauchen würden, wenn nur eine europäische Firma ihre Verpackungen auf Algenplastik umstellt. Der künstliche Anbau muss also deutlich ausgeweitet werden. Er sollte außerdem lokal erfolgen und logistisch zu Ende gedacht sein, um wirklich nachhaltig zu sein. Die grundlegenden Fragen müssten geklärt werden: Wie viele Algen braucht es wirklich? Welche Strategien sind am nachhaltigsten?

Die Lösung liegt wie so oft in der Forschung. Denn die Antwort auf die Frage, in welchem Stil der Anbau von Algen in Europa möglich ist, legt die Grundlage für weitere Pilotprojekte. Eine mögliche Teillösung ist beispielsweise die zusätzliche Algenkultivierung in Becken an Land, um nicht ständig mit Fischerei und Naturschutz im Konflikt zu stehen. Außerdem können Algen geerntet werden, welche in den geplanten Solarzellen-Paneelen heranwachsen. Es gilt also, lokale Zucht- und Herstellungsprozesse weiterhin zu erforschen und zu optimieren, denn „Algen haben definitiv mehr Vor- als Nachteile für das Ökosystem“, betont Dr. Laurie Hofmann gegenüber des Fernsehmagazins Quarks.

Aktuell ist diese immense Nachfrage nach Algen noch Zukunftsmusik. Doch wenn auf einen frühzeitigen Ausbau gesetzt wird, ergeben sich vielversprechende Möglichkeiten für die Zukunft. Vollständig recyclebare Verpackungen und schnell wachsende, nährstoffreiche Nahrung sind elementare Bestandteile einer nachhaltigeren Welt. Wenn die Forschung Antworten auf die Fragen findet, wie wir Algen am besten anbauen und nutzen können, kann das wegweisend im Kampf gegen den Klimawand

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Mara Betjemann

Mara Betjemann ist Redakteurin bei Good News Magazin und freie Autorin. Sie ist der Meinung, dass Medien maßgeblich das Denken vieler Menschen beeinflussen und genau deswegen positiver Journalismus noch viel mehr etabliert werden sollte. Neben dem Schreiben für Good News Magazin, studiert sie Sozialwissenschaften in Düsseldorf und genießt das Leben im Rheinland.

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