Von komplexen Systemen und aktiver Hoffnung

das ist ein GNM+ ArtikelWas wir von Vogelschwärmen über Nachhaltigkeit lernen

von | 15. Juli, 2023

Katharina Brinck, Ökologin und Nachhaltigkeitsberaterin, erklärt im Interview, wie wir unsere Welt als komplexes System verstehen, wie wir daraus umwelt- und klimafreundliche Strategien ableiten können und warum wir Hoffnung aktiv kultivieren müssen.

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Good News Magazin: Katharina, du hast am renommierten Londoner Imperial College in Ökologie promoviert und berätst heute die Spitzen großer Unternehmen in Nachhaltigkeitsfragen. Deine Spezialität sind sogenannte „komplexe Systeme”. Was hat das alles mit Vögeln zu tun?

Katharina: Dass unsere Welt „komplex“ ist, ist in aller Munde. Mich fasziniert, sowohl persönlich als auch in meiner Arbeit, was es bedeutet, die Welt als komplexes, selbstorganisierendes System zu begreifen und was man daraus lernen kann für sich und die Transformationen unserer Gesellschaft, die wir brauchen und uns wünschen. Vogelschwärme sind meiner Meinung nach eines der schönsten komplexen selbstorganisierenden Systeme und aufgrund ihrer Einfachheit so instruktiv. Hast du schon mal einen Vogelschwarm am Himmel beobachtet? Es sieht aus wie ein Tanz, eine komplizierte Choreographie voller Leichtigkeit, in perfekter Ausführung. Die Tänzer sind ein paar hundert Vögel — die keinen Choreografen haben, noch nie trainiert haben, die nicht mal ein mentales Konzept dieser speziellen Aufführung „Vogelschwarm“ haben. Ohne jegliche verbale Kommunikation oder Steuerung schaffen es die Tiere, sich gemeinsam zu bewegen, nicht ineinander oder in Hindernisse zu stoßen und ganz nebenbei diese wunderschöne Schwarmdynamik zu zeigen.

Ihr Erfolgsgeheimnis liegt in dem, was wir komplexes selbstorganisierendes Verhalten nennen – was, entgegen verbreiteter Vorstellung, keineswegs kompliziert, sondern im Gegenteil vergleichsweise simpel ist. Um einen komplexen Vogelschwarm zu konstruieren, nimmt man eine große Anzahl von Vögeln. Man bringt ihnen drei einfache Verhaltensregeln bei: Stoße nicht mit deinem Nachbarn zusammen. Fliege in die mittlere Richtung deiner Nachbarn. Und richte dich auf die Mitte des Schwarms aus. Und mit nur diesen drei Regeln entsteht die Choreografie der Vögel. Da kein Choreograph notwendig ist, bezeichnet man dies als einen „selbstorganisierenden Prozess“ — und den Vogelschwarm als „emergentes Phänomen“ der dynamischen Interaktionen der einzelnen Vögel.

Gibt es noch weitere Beispiele für solche emergenten Phänomene?

Sie sind überall! Emergente Phänomene können dann entstehen, wenn viele Agenten, also z.B. Vögel, miteinander dynamisch interagieren, also zum Beispiel nach den drei oben erwähnten Regeln. Im Tier- und Pflanzenreich gibt es unzählige Beispiele dafür. Ein Phänomen, das uns zum Beispiel auch oft begegnet, ist eine Ameisenstraße. Keine der Ameisen hat ein Konzept einer „Straße“. Und dennoch bilden die Ameisen sehr effiziente Kolonnen, die Futter auf dem schnellsten Weg zum Bau bringen. Kommunikation erfolgt dabei durch Pheromone — eine Ameise, die mit Futter von der Quelle zurück zum Ameisenhaufen läuft, gibt Duftstoffe an die Umwelt ab, die die anderen Ameisen auf die richtige Route lockt.

Ein ganz anderes Beispiel ist die Musterbildung im Fell, zum Beispiel von Zebras. Das emergente Phänomen sind hier die Streifen im Fell. Die „Agenten“ sind die Pigmentzellen, die entweder schwarz oder weiß sind. Jede Zelle stößt Botenstoffe aus, die die Farbgebung der umliegenden Zellen beeinflussen. Das Gleichgewicht, das sich am Ende einstellt, erzeugt die bekannten Zebrastreifen — die bei jedem Zebra im Detail anders aussehen, da natürlich nirgendwo die Dynamik exakt gleich vonstattengeht.

Aber was genau können wir von Vogelschwärmen und Ameisenstraßen über Klima- und Nachhaltigkeitsfragen lernen? Sind wir Menschen und vor allem unsere sozialen Gefüge nicht deutlich komplexer?

Selbstverständlich sind wir Menschen deutlich exzentrischer und differenzierter in unserem Wesen und Handeln als ein typischer Vogel und unsere Systeme von vielen uns selbst auferlegten Regeln und Rahmenbedingungen geprägt. Dennoch kann man unsere Gesellschaft genau wie einen Vogelschwarm als komplexes selbstorganisierendes System betrachten, und daraus viel darüber lernen:

Acht Milliarden Menschen qualifizieren sich als „viele Agenten“. Wir stehen in dynamischer Interaktion zueinander: Wir reden miteinander, treffen einander, feilschen, diskutieren und handeln miteinander, lieben, hassen und unterstützen einander und beeinflussen alles in allem das Leben voneinander auf vielfältigste Art und Weise. Unsere Interaktionen lösen selbstorganisierende Prozesse aus, aus denen emergente Phänomene entstehen: Wir schließen uns in Partnerschaften, Familien oder Freundeskreisen zusammen. Wir organisieren uns in Unternehmen, Parteien und Organisationen. Wir geben uns sogar politische und rechtliche Rahmen, in denen wir die Grundzüge unseres Zusammenlebens festschreiben. Und als wäre das nicht schon komplex genug, ist unser menschliches System auch noch in die natürliche Welt eingebettet, die uns mit Energie, Nahrung und Ressourcen versorgt und die wir wiederum zum Beispiel durch CO₂-Emissionen beeinflussen.

Betrachtet man die Welt nun durch die Linse komplexer Systeme, wird klar: Sie sieht so aus, wie sie aussieht, weil sie unter dem Paradigma, dem die Agenten folgen, genau so aussehen muss. Ein jeder handelt so, wie es für ihn sinnvoll erscheint, und daraus entstehen die emergenten Phänomene, die wir sehen: Organisationen, Firmen und politische Systeme, Ressourcenausbeutung, soziale Ungleichheit und Klimawandel, aber auch Naturschutzorganisationen, Social Start-ups und das Good News Magazin. Diese Phänomene entstehen aus dem komplexen Zusammenspiel von Einzelinteressen — also einzelnen Individuen, Organisationen, Kommunen, Firmen, Industrieverbänden und vielen mehr. All diese und ihre Interaktionen zu verstehen und zu analysieren, ist natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Die Kunst liegt in der Vereinfachung. Simuliert man ein komplexes System, geht es nicht darum, alle Details möglichst gut abzubilden, sondern zu verstehen, welche Eigenschaften der Agenten wesentlich sind, um das emergente Phänomen zu reproduzieren. Vögel haben selbstverständlich noch andere Verhaltensweisen als die drei Regeln, die wir oben diskutiert haben — doch die drei Regeln reichen aus, um die Schwarmdynamik zu reproduzieren. Die Betrachtungsweise hilft uns also zu verstehen, was in der ganzen Komplexität wesentlich ist und wo die wichtigen Stellhebel für Veränderung liegen.

Wie könnten solche Stellhebel aussehen?

Ein gutes Beispiel sind Firmen und potentielle neue Geschäftsmodelle. Ob eine Firma erfolgreich ist oder nicht, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Manche davon liegen allein im Produkt — also z.B. ob ein neues Elektroauto fährt, qualitativ hochwertig ist und wenig Reklamationen hat. Andere ergeben sich aus der Interaktion mit Stakeholdern — also z.B., ob die Kunden auch E-Autos nachfragen, ob genug Ladeinfrastruktur bereitgestellt wird, ob die besten Mitarbeitenden in Unternehmen arbeiten wollen, die E-Autos herstellen, ob Investoren dafür finanzielle Mittel bereitstellen oder ob Regierungen in ihren jeweiligen Ländern den Absatz von Elektrofahrzeugen fördern oder ihm eher im Weg stehen.

Versteht man die vorwiegende Art der Individualmobilität als emergentes Phänomen, so kann man sich nun fragen: Was bräuchten Automobilhersteller, in dem Geflecht der Stakeholderinteressen, in dem sie sich bewegen, um mit dem Bau von E-Fahrzeugen erfolgreich zu sein? Ein wesentlicher Faktor, den man ableiten kann, ist die Planungssicherheit. Entwicklung und Umbau von Produktionsstätten sind aufwändig. Dies ergibt nur Sinn, wenn klar ist, dass sich dies langfristig auszahlt — und nicht in zehn Jahren E-Fahrzeuge durch die Regulatorik aus dem Markt gedrängt werden, weil z.B. auf Wasserstoff gesetzt wird. Gleiches gilt für die Kunden — auch für diese ergibt der Erwerb eines E-Autos nur Sinn, wenn klar ist, dass die Infrastruktur weiter ausgebaut wird. Fragt man sich also als mutiger CEO, der auf E-Fahrzeuge umsteigen möchte, was dafür am besten zu tun ist, so ist Lobbyismus für einen verlässlichen regulatorischen Rahmen ein wesentlicher Hebel.

Wie würdest du die Regeln und den jetzigen Zustand in Bezug auf Nachhaltigkeit nach dieser Logik beschreiben?

Das ist eine sehr umfangreiche Frage, auf die ich nicht die eine Antwort habe. Unsere Welt besteht aus unzähligen Subsystemen mit einer Anzahl an Interessen und Wirkmechanismen, die den Überblick einer einzelnen Person weit übersteigt. Genau deshalb halte ich für so wichtig, die „Komplexe-Systeme-Brille“ zu verbreiten — so kann jeder in den Systemen, in denen er agiert, verstehen, welche Interessen aufeinandertreffen, welche emergenten Phänomene entstehen, und wo die mächtigsten Hebel für Veränderungen liegen würden.

Wichtig ist auch hervorzuheben, welche Diversität wir in unserer Gesellschaft erleben. Auf der einen Seite gibt es Individuen, die einfach nur ihre Eigeninteressen in den Vordergrund stellen und so dazu beitragen, dass skrupelloser Raubbau an unseren Ökosystemen betrieben wird, fossile Energieträger weiter abgebaut werden, mit der Perspektive „mir wird der Klimawandel schon nicht schaden“, oder dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet. Auf der anderen Seite gibt es ganz viele Individuen, die ein alternatives Leben nicht nur propagieren, sondern leben — und so die Samen setzen dafür, dass sich dieses auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene durchsetzt.

Das klingt so, als läge die Verantwortung allein bei den Individuen. Ist es nicht eine Illusion, dass man als einzelner Bürger oder einzelne Bürgerin etwas erreichen kann in einem komplexen politischen und wirtschaftlichen System?

Die Frage nach Verantwortung ist spannend. Offensichtlich reicht es nicht, wenn jeder „gewöhnliche Bürger“ — also jemand, der vielleicht durch seine Konsumentscheidungen, durch die Wahl seines Arbeitgebers und durch politische Beteiligung Einfluss nehmen kann, aber sonst nur begrenzt Entscheidungen im System beeinflussen kann — nachhaltige Entscheidungen trifft, während diejenigen, die in Machtpositionen sind, weitermachen wie bisher. Begreift man Verantwortung als „wer muss etwas tun“, so halte ich es folglich für gefährlich, diese auf das Individuum abzuschieben.

Versteht man Verantwortung jedoch als Möglichkeit zur Gestaltung, so zeigt die Komplexe-Systeme-Perspektive, dass diese immer beim Agenten liegt — ob dieser nun ein Bürger oder ein Unternehmen oder ein Land ist. Gestalten kann jeder Einzelne in dem Kontext, in dem er lebt und agiert, durch seine eigenen Handlungen und seine Interaktionen mit den Menschen, denen er begegnet. Ob dies die Familienmitglieder, Kollegen und Supermarktbetreiber oder CEOs, Politiker und Investmentfonds-Manager sind, hängt davon ab, was man so macht im Leben — aber die Mechanismen sind immer die gleichen. Jeder kann seinen Kontext durch seine Werte, seine Handlungen und Entscheidungen, sein Vorleben und seine Geschichten, die er erzählt, prägen.

Deshalb ist die Auseinandersetzung mit uns selbst so wichtig. Unsere Werte, unser Verständnis, unsere Identität, unser Sein bestimmen unser Handeln. Die Arbeit an unseren eigenen transformativen Fähigkeiten hilft uns, ein immer besseres Werkzeug des komplexen Wandels zu werden. Ein Non-Profit in Schweden hat dafür die Inner Development Goals entwickelt, ein Framework transformativer Kompetenzen für Menschen aus allen Kontexten, um die Sustainable Development Goals zu erreichen.

Welche Inner Development Goals werden dort konkret genannt?

Die IDGs, wie die Inner Development Goals abgekürzt werden, sind in fünf Bereiche gegliedert: Sein (Beziehung zu sich selbst), Denken (kognitive Fähigkeiten), in Beziehung stehen (Fürsorge für andere und die Welt), Zusammenarbeiten (soziale Kompetenzen) und Handeln (Wandel vorantreiben). Darunter sind 23 Fähigkeiten eingeordnet. Die Bereiche sind dabei nicht überlappungsfrei und unterstützen sich im Allgemeinen gegenseitig: ein klarer innerer Kompass (Sein) hilft bei perspektivischen Fähigkeiten (Denken) oder Beharrlichkeit (Handeln). Die Fähigkeit, ganz präsent zu sein (Sein) hilft, mit anderen wertschätzend umzugehen und verbunden zu sein (Beziehung). Langfristige Orientierung und Visionskraft (Denken) fördern Mut (Handeln) und werden gleichzeitig von Kreativität und Optimismus (Handeln) gestärkt.

„Umgang mit Komplexität“ ist übrigens eine Kompetenz im Bereich Denken.

Das Framework wurde 2021 in einem Crowdsourcing-Ansatz entwickelt, von erfahrenen Leadershipund Persönlichkeitsentwicklungs-Experten und -Organisationen unterstützt und in einem wissenschaftlich fundierten Vorgehen konzipiert. Aktuell baut sich eine globale Community an Praktizierenden auf, mit Hubs in den meisten größeren Städten, um gemeinsam an der Stärkung dieser Kompetenzen bei sich und anderen zu arbeiten.

Eine Perspektive, die mir besonders gefällt, ist die Frage „Wie oft nutze ich diese Fähigkeit?“ — und nicht „Wie gut kann ich das?“. Mut ist beispielsweise eine Fähigkeit im Bereich Handeln. Jeder ist mit einer unterschiedlichen Risikobereitschaft geprägt und mutig sein kann für jeden anders aussehen. Es geht also nicht darum, der Mutigste im Raum zu sein, wenn man diese Kompetenz entwickelt — es geht darum, für sich selbst Nischen zu suchen, in denen man vielleicht einen Schritt mutiger handeln kann als beim letzten Mal, und so Schritt für Schritt die Kompetenzen zu üben.

Welche Veränderungen merkst du an dir selbst, seitdem du dich aktiv mit diesen Zielen auseinandersetzt?

Während das Framework noch relativ neu ist, sind es die dort beschriebenen Kompetenzen großteils nicht. Eine große Veränderung hat für mich die konkrete Auseinandersetzung mit meinen Werten vor ein paar Jahren bedeutet. Ich bin ein introvertierter und im Allgemeinen erstmal beobachtender Mensch. Mir selbst darüber klar zu werden, dass der Mut, zur eigenen Wahrheit zu stehen, für mich ein Kernwert ist, hat mir an so vielen Stellen geholfen, den Mund aufzumachen und dafür einzutreten, was ich als richtig und wichtig empfinde, auch wenn es sich zu Beginn oft unangenehm angefühlt hat.

Ein Aspekt, der für mich zurzeit eine große Rolle spielt, ist das Thema Verbundenheit – nicht nur mit anderen Menschen, sondern auch mit der Natur, der Welt um uns herum und allem, was größer ist als wir. Als Ökologin war der Wald immer ein Ort, an dem ich mich zu Hause gefühlt habe. Heute übe ich, von Bäumen zu lernen, was es heißt, verwurzelt zu sein.

Wie und wo können unsere Leser:innen anfangen, wenn sie an der Erreichung dieser Ziele arbeiten wollen?

Die IDGs sind nicht konzipiert als etwas, das man möglichst schnell „erreichen“ oder perfektionieren möchte. Sie stellen vielmehr einen Rahmen an Fähigkeiten dar, die allesamt wichtig sind, um Transformation voranzutreiben, und von denen einem manche leicht fallen und andere immer etwas außerhalb der Komfortzone liegen.

Ein guter Einstieg ist ein Blick auf die Beschreibung der Inner Development Goals und eine einfache Selbstreflexion: Welche dieser Kompetenzen wende ich oft an in meinem Leben, welche fallen mir leicht? Und welche der Kompetenzen finden wenig Raum in meinem Leben aktuell und würde ich gern ein wenig weiterentwickeln?

Bei der Persönlichkeitsentwicklung gilt immer die Regel „weniger ist mehr“. Am besten sucht man sich eine Fähigkeit aus, die man in den nächsten Wochen üben möchte — und hält dann aktiv nach Situationen Ausschau, in denen man sie ein klein wenig mehr als zuvor in die Praxis umsetzen kann.

Hilfreich ist es auch, die IDGs mit anderen zu diskutieren und gemeinsam auf die Entwicklungsreise zu gehen. Für viele der Kompetenzen gibt es auch aktive Übungen — und auch einen Tool-Katalog auf der IDG-Website.

Optimismus ist eines der IDGs im Bereich Handeln. Andere sprechen dabei auch von active hope, also aktiver Hoffnung. Woran denkst du persönlich, wenn du durch die active hope-Brille schaust?

Der Begriff active hope trifft für mich die Herausforderung im Kern. Hoffnung ist nicht etwas, mit dem wir, an guten Tagen und wenn die Umstände stimmen, aufwachen und worauf wir sonst warten, während wir uns verkriechen. Hoffnung ist etwas, das wir aktiv kultivieren.

Ich bin gesegnet durch eine unerschütterliche Fähigkeit, das Potential und das Gute in allem und jedem zu sehen. Meine Mutter hat mir beigebracht, jedem Menschen mit Empathie und Verständnis zu begegnen, und ich kann nicht anders, als die Ideale und Möglichkeiten um uns herum zu sehen. Ohne active hope kann mich das zur Verzweiflung und Resignation bringen – sind wir doch so weit weg von diesen Utopien. Active hope heißt für mich, mich jeden Tag aufs Neue für das Licht und die Kraft zu entscheiden, die von diesen Idealen ausgeht, und zu versuchen, meinen kleinen Beitrag zu leisten, diesen ein Stück näherzukommen. Meine Arbeit, in der ich Räume für einzelne Menschen und Teams schaffe, ihre eigenen Potentiale zu erleben und sie so ein Stück mehr in die Welt zu tragen, ist dabei ein großes Geschenk für mich.

 Welches komplexe System möchtest du als Nächstes verstehen?

Ich war kürzlich bei einem Vortrag rund um Nachhaltigkeit, wo der Vortragende relativ wirtschaftsnahe Lösungsoptionen für einige der aktuellen Probleme dargestellt hat. Ich hatte einige inhaltliche Fragezeichen, fand die generelle Perspektive aber stimmig. Fasziniert hat mich, dass viele der Zuhörenden – insbesondere die ältere Generation – die Ideen als Verrat an der Nachhaltigkeitsbewegung empfunden haben. Die Wirtschaft einzubeziehen, war ihnen viel zu weich gekocht und sie hatten Angst um die Ziele der Umweltbewegung.

Dieses Erlebnis hat mich nachdenklich gemacht. Wir brauchen praktikable, umsetzbare Visionen, davon bin ich überzeugt. Und gleichzeitig dürfen wir damit nicht die Vertreter der Nachhaltigkeitsbewegung abhängen, die diese vor Jahrzehnten angestoßen haben. Wie sieht das komplexe System der Systemwandler also aus? Wie kann die Nachhaltigkeitsbewegung inklusiv bleiben und alle Kräfte bündeln? Da bin ich neugierig, mehr zu lernen.

Was möchtest du unseren Leser:innen noch mit auf den Weg geben?

Die Welt ist komplex und diese Perspektive kann ein Gefühl von Machtlosigkeit hervorrufen — oder ein Gefühl von Möglichkeiten. Die Welt, die wir sehen, ist geprägt von jedem Einzelnen von uns und jeder Einzelne von uns kann einen Unterschied machen — in jeder Handlung und in jeder Entscheidung. Nicht jeder wird Bundeskanzler oder Vorsitzender der Vereinten Nationen, aber jeder hat Einfluss auf sein direktes Umfeld. In einem Vogelschwarm reichen fünf Prozent der Vögel aus, um die Richtung des ganzen Schwarms zu drehen. In unserer komplexen Welt sind die Sachverhalte komplizierter — und trotzdem gilt: Jeder Flügelschlag zählt. 

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Paul Esser

Paul Esser ist stellvertretender Chefredakteur beim Good News Magazin. Wenn er gerade keine Medien macht oder konsumiert, studiert er Politikwissenschaften und Psychologie. Warum das alles? Lösungen waren schon immer spannender als Probleme!

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