Die Urbane Resilienz etabliert sich in der Stadtplanung. Aus diesem Umdenken entstehen nun kreative Ideen und Innovationen.
77,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland lebte 2020 in Städten. Weltweit waren es im selben Jahr rund 56 Prozent. Laut einer Prognose des Population Reference Bureau wird es 2050 knapp zehn Milliarden Menschen auf der Welt geben. Davon würden 68 Prozent in Städten leben. Das wären über zwei Drittel der globalen Bevölkerung.
Der Preis des Wachstums?
Ein Wachstum, das Konsequenzen haben wird. Denn obwohl Städte weniger als zwei Prozent der Erdoberfläche einnehmen, sind sie für über 60 Prozent der Treibhausgasemissionen und fast 80 Prozent des Energieverbrauchs weltweit verantwortlich.
Andersherum wirkt sich der Klimawandel auf das städtische Leben aus. In Form von Hitzewellen, Stürmen und dem stetig ansteigenden Meeresspiegel. Auch in Deutschland sind die Folgen der Klimakrise bereits spürbar, wie die Flutkatastrophe im Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz deutlich machte. Sofern die CO₂-Emissionen und die anderer Treibhausgase in den nächsten Jahrzehnten nicht reduziert werden, wird die globale Durchschnittstemperatur weiterhin steigen und zukünftige Wetterphänomene immer extremer.
Resilient gegen den Klimawandel
In Wörterbüchern wird die Resilienz meist mit „Widerstandskraft“ erklärt. Im urbanen Kontext ist die Bedeutung des Wortes vielfältiger.
Wie bei dem ursprünglichen Begriff geht es auch in der Urbanen Resilienz darum, „standzuhalten“, nämlich den extremen Wetterphänomenen. Dennoch beinhaltet die Urbane Resilienz auch die Fähigkeit, solche Ereignisse vorauszuahnen und ihnen vorzubeugen. Und auch, sich davon zu erholen, sich anzupassen, sich immer weiterzuentwickeln und zu verbessern. Ohne, dass die wesentlichen Strukturen und die Persönlichkeit einer Stadt verloren gehen.
Resilienz aufbauen
„[Eine Stadt] ist kein einzelnes isolierbares Geschehen, sondern es ist ein System, das geplant werden muss […] Im Grunde genommen ist es ein System von Systemen. [E]s gibt kaum Dinge, die komplexer sind, glaube ich, als städtisches Leben.“
Jochen Rabe, Professor für urbane Resilienz und Digitalisierung
Um eine Stadt resilienter, zu gestalten, bedarf es Planung, wie in den Bereichen Wassermanagement, Energieproduktion, Transport und soziale Gerechtigkeit.
Die Urbane Resilienz ist ein noch relativ neues Konzept. Da sie erst über die letzten ein, zwei Jahrzehnte zu dem „mainstreamigen politischen Ansatz“ von heute geworden ist. Laut Jochen Rabe ist dieses Konzept in Deutschland noch nicht so verbreitet wie in anderen Teilen der Welt. Trotzdem gibt es bereits verschiedene Projekte und Lösungen, mit denen sich deutsche Städte klimafit(ter) gemacht haben beziehungsweise machen möchten.
Der Natur entsprungen
Sogenannte naturbasierte Lösungen tragen „ökologische, soziale und wirtschaftliche Vorteile und zum Aufbau der Urbanen Resilienz bei. Sie können etwa die Luftqualität verbessern, Biodiversität fördern und Städte attraktiver und lebenswerter gestalten.
Ein gutes Beispiel naturbasierter Lösungen ist die erste blühende Haltestelle in Frankfurt am Main, über die wir im Juni 2021 berichteten. Dabei wurden die beiden Wartehäuschen der Straßenbahnstation Börneplatz/Stoltzestraße mit ungefähr einem Dutzend verschiedener Pflanzen begrünt.
Die Pflanzen auf den Dächern benötigen lediglich Regenwasser. Die an den Seiten, bekommen eine zusätzliche Versorgung mit Wasser aus einem Tank, der in die Sitzbank im Wartebereich verbaut wurde. Diese Grünflächen filtern CO2, Feinstaub und kühlen die Luft an heißen Tagen. Die aufblühenden Pflanzenarten sind für die Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und anderen Insekten eine Nahrungsquelle. Wenn möglich, möchte Frankfurt zukünftig alle neuen Haltestellen so bepflanzen.
Weiter südlich, in Ludwigsburg, entstand im April 2014 das Grüne Zimmer mit „ausschließlich pflanzlichen Wänden“, mit finanzieller Unterstützung des EU-Forschungsprojekts Transitioning towards Urban Resilience and Sustainability (kurz TURAS).
Tausende Pflanzen wachsen auf einer Tiefgarage in der Nähe des Rathauses. Diese Vegetationsfläche filtert auf ungefähr 140 Quadratmetern Feinstaub. Sie befeuchtet und kühlt die Luft, bindet um die 300 Kilogramm CO2 pro Jahr und erzeugt etwa 220 Kilogramm Sauerstoff. Gegossen werden die Pflanzen mit Regenwasser. Das Zimmer ist ein Lebensraum für Insekten und ein Ruheort für Menschen.
Mit allen Wassern gewaschen
Damit zukünftig in heißen, trockenen Phasen ausreichend Wasser für alle Bürger:innen vorhanden ist, sollten Städte ihre Wasserspeicher ausbauen. Die Voraussetzung dafür: effizientere Verwaltungen der städtischen Wassersysteme. Dazu gehören auch sogenannte Retentionsflächen. Auf diese können Flüsse ausweichen, wenn ihre Wasserstände durch Starkregen ansteigen.
Aus diesem Grund wurde beispielsweise vor rund zehn Jahren der Phoenix See in Dortmund errichtet. Dieser künstliche See erstreckt sich über circa 240.000 Quadratmeter und ist ein Hochwasserrückhalteraum für die Emscher. Der See eignet sich jedoch auch für verschiedene Wassersportarten, „vereint somit Vorsorge mit der Steigerung der Lebensqualität.“
In Bewegung
Anfang 2021 startete das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) das Sonderprogramm „Stadt und Land“. Darunter werden „die Mittel für den Radverkehr auf ein nie dagewesenes Niveau aufgestockt“, um in Städten und auch auf dem Land die Situation für Radfahrer:innen zu verbessern, durch neue Radwege oder Parkhäuser für Fahrräder. Damit könnten sich die Treibhausgase, das Stauaufkommen und die Zahl der Verkehrstoten reduzieren. Dennoch ermöglicht ein resilientes Transportsystem auch weiterhin den Zugang zu Transportmitteln, wie zum Beispiel Fahrrädern oder Elektroautos – eben nachhaltiger.
Vor knapp einem Jahr berichteten wir außerdem über Augsburg und seine City-Zone, innerhalb der der Nahverkehr für alle Menschen kostenlos zugänglich ist. Das Ziel dieser Initiative war und ist nicht nur, die Luftqualität in der Stadt zu verbessern, sondern auch, die Innenstadt attraktiver zu machen und den Einzelhandel zu unterstützen.
In Monheim startete eine ähnliche Initiative: Anwohner:innen können mit dem sogenannten Monheim-Pass alle Busse der Stadt kostenlos benutzen.
Neue digitale Möglichkeiten
Die Verwendung von digitalen Tools ermöglicht es, die Urbane Resilienz effektiver umzusetzen. Die Notfall-Informations- und Nachrichten-App (NINA) des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe informiert die mittlerweile zehn Millionen Nutzer:innen über verschiedene Gefahrenlagen in ganz Deutschland, von Extremwetter bis Gefahrstoffaustritt, in 30 Sekunden oder weniger. Auch erhalten die Nutzer:innen konkrete Empfehlungen, wie sie sich schützen können.
Wie hilfreich und förderlich die Digitalisierung für die Urbane Resilienz ist, zeigt auch die Open Street Map. Damit können Menschen festhalten, wo sich Rettungswege, Erdbeben-Risikogebiete oder auch lebenswichtige Dinge wie Wasserstellen und Krankenhäuser befinden.
Urbane Resilienz als Chance sehen
Durch Urbane Resilienz können Städte nicht nur sicherer, sondern auch attraktiver und lebenswerter werden. Es ist mehr als ‚nur‘ die Vorbereitungen, auf die Auswirkungen des Klimawandels, beschreibt Prof. Jochen Rabe:
„Das ist ganz wichtig, glaube ich, bei Zukunftsfragen, dass wir zu wenig darüber nachdenken, wie wünschen wir uns eigentlich unsere Zukunft. Nicht nur, wie begegnen wir den ganzen Herausforderungen […], sondern was wünschen wir uns für uns?“
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