Neue Erkenntnisse unter Ökonom:innen

Reduktion der Inflation ohne Anstieg der Arbeitslosigkeit gelungen

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von | 19. September, 2024

Unter Ökonom:innen herrschte lange Unsicherheit, ob eine Reduktion der Inflation bei gleichbleibender Beschäftigungsquote möglich sei.

Die Inflation der letzten Jahre wurde nicht nur medial breit diskutiert, sondern war auch für fast jeden Menschen täglich erlebbar. Nun scheint endlich ein Ende in Sicht – und das sogar ohne einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit. Das ist, besonders für manche Ökonom:innen, sehr erstaunlich. Doch um den Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit nachvollziehen zu können, ist es zunächst wichtig zu verstehen, was Inflation überhaupt ist.

Was ist Inflation?

Zur Berechnung der Inflation wird ein repräsentativer Warenkorb erstellt. Dieser enthält alle Güter, die durchschnittlich von einer Person in einem Land pro Monat konsumiert werden. Die Preissteigerung dieses Warenkorbes im Verhältnis zum selben Monat im Vorjahr wird als Inflationsrate bezeichnet. Selbstverständlich kann sich die individuelle Inflation stark von der gemessenen unterscheiden, wenn das persönliche Konsumverhalten stark vom repräsentativen Warenkorb abweicht. So hat die Inflation der letzten Jahre insbesondere Menschen mit geringem Einkommen stärker getroffen

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Die Inflation beschreibt den durchschnittlichen Preis für einen festgelegten Warenkorb / Quelle: unsplash.com

Aufgrund der hohen Inflation der letzten Jahre initiierten die Zentralbanken verschiedene Methoden, um die Inflation wieder zu drücken.  Sie versuchen, über die Zinspolitik das Wirtschaftswachstum und die Inflation zu steuern. Ist diese zu hoch, werden die Zinsen erhöht, was es für Unternehmen teurer macht, Kredite aufzunehmen. Das soll die Wirtschaftsleistung dämpfen und die Hitze vom Arbeitsmarkt nehmen

Dies bedeutet in der Praxis, dass Unternehmen Arbeitnehmer:innen entlassen müssen, weil sie aufgrund höherer Zinsen weniger finanziellen Spielraum haben. Die Entlassenen haben dann weniger Geld und können sich weniger kaufen. Dadurch sinkt die Nachfrage, was zu niedrigeren Preisen führen soll. Dieser Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation wurde in der Ökonomie viel theoretisch diskutiert, ist aber mittlerweile immer umstrittener.

In der Fachdebatte über die Inflation der letzten Jahre gab es grob gesagt drei Lager. Prinzipiell ging es dabei um die Frage, wie schwer es sein würde, die Inflation wieder beim Inflationsziel von zwei Prozent landen zu lassen.

Zum einen gibt es Team „Hard-Landing”, dann Team „Soft-Landing” und drittens gibt es das  sogenannte Team „Transitory”.  Doch wofür stehen diese drei Positionen?

Team „Hard-Landing”: Bei Team „Hard-landing” steht das Handeln der Zentralbank im Mittelpunkt. Diese erhöht die Zinsen so stark, dass die Wirtschaft in eine Rezession rutscht und die Arbeitslosigkeit stärker ansteigt. Das beste Beispiel hierfür ist die Inflationsbekämpfung in den 1970er Jahren, als die amerikanische Notenbank (Fed) die Zinsen auf fast 20 Prozent anhob. Dieser sogenannte „Volcker-Schock” stürzte die USA in eine 16-monatige Rezession, in der die Arbeitslosigkeit auf 10,8 Prozent stieg, die anhaltende Inflation aber erfolgreich von 11 Prozent auf 3 Prozent gesenkt werden konnte. 

Team „Soft-Landing”: Auch beim Team „Soft-Landing” spielt das Handeln der Zentralbank eine wichtige Rolle. Hier wird erwartet, dass diese vergleichsweise optimal handelt. Dabei hebt sie die Zinsen genauso stark an, dass eine Rezession vermieden wird und die Inflation trotzdem sinkt. Ein Beispiel hierfür sind die USA in den 1990er Jahren, wo die Zinsen aufgrund der sinkenden Arbeitslosigkeit vorsorglich angehoben wurden. So wurde die Inflation in Schach gehalten, die Arbeitslosigkeit sank weiter und die Wirtschaft wuchs konstant.

Team „Transitory”: Die dritte Gruppe – Team Transitory – zeichnet sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu den ersten beiden Gruppen in der inflationären Lage von 2021 bis 2024 die Maßnahmen der Zentralbank für vernachlässigbar hält. Ausschlaggebend für die Inflation waren nämlich dieser Position zufolge nicht die steigende Nachfrage, sondern insbesondere temporäre Preisschocks, also rasant ansteigende Preise auf bestimmte Produkte. Diese Schocks lassen sich dabei im Wesentlichen auf die Lieferkettenprobleme durch Covid19 und die russische Invasion in der Ukraine beziehungsweise den anschließenden Gas-Schock zurückführen. Die Geldpolitik spielt hier keine Rolle, da diese Probleme nicht durch höhere Zinsen gelöst werden können. Denn Zentralbanken können eben nicht dafür sorgen, dass Schiffe im Hafen von Shanghai wieder auslaufen dürfen oder dass LNG-Terminals schneller gebaut werden. 

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Geringere Inflation und und gleichbleibende Beschäftigungsquote: Durchbruch in der Ökonomie / Quelle: unsplash.com

Die aktuellen Wirtschaftsdaten weisen darauf hin, dass Team „Soft-Landing” und Team „Transitory” die Situation realistischer eingeschätzt haben. Denn die Inflationsrate ist mittlerweile sowohl in den USA (3 Prozent) als auch in der Eurozone (2,2 Prozent) bis August 2024 stark gesunken. Gleichzeitig konnte dies ohne den vom Team „Hard-Landing” angekündigten signifikanten Anstieg der Arbeitslosenquoten erreicht werden.

Inflation sinkt: Es geht bergauf

Weil der Dollar global eine große ökonomische Bedeutung hat, ist die in Amerika sinkende Inflationsrate eine sehr gute Nachricht für viele Länder. Beispielsweise wird der weltweite Erdölhandel fast ausschließlich in Dollar abgewickelt. Viele Staaten sind daher darauf angewiesen, sich Dollar zu leihen, um ihre Importe bezahlen zu können. Die US-Zinspolitik der letzten Jahre wirkt sich somit auch auf andere Länder, besonders ökonomisch schwächere, aus. Für diese Länder war es daher schwieriger, sich Dollar zu leihen, um ihre Kredite zu bezahlen. Die sinkende Inflationsrate könnte es der amerikanischen Zentralbank gegebenenfalls erlauben, noch innerhalb dieses Jahres die Zinsen zu senken und so die Wirtschaftslage auch global entspannen. 

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Eine geringere Inflation entspannt nicht nur die Wirtschaft / Quelle: unsplash.com

Dasselbe gilt für die Europäische Zentralbank (EZB), die den Leitzinssatz bereits im Juni um 0,25 Prozent senkte. Eine gute Nachricht für die Wirtschaft, da diese Zinssenkungen langfristig zu niedrigeren Zinsen bei Unternehmen und Konsument:innen führen. Dies erleichtert Investitionsprojekte und ist insbesondere für die Bauwirtschaft gut, die in den letzten Jahren einen massiven Rückgang neuer Aufträge beobachten musste. 

Die sinkenden Zinsen könnten diesem Trend entgegenwirken und den Wohnungs- und Hausbau wieder ankurbeln. Dadurch wird es auch für den Staat leichter, seine Ziele im Wohnungsbau zu erreichen, die letztes Jahr deutlich verfehlt wurden.

Außerdem sind die sinkenden Zinsen ein weiteres Argument dafür, endlich die Klimakatastrophe ernst zu nehmen und die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft staatlich stärker zu fördern. 

Insbesondere den Ausbau von Projekten, die große Investitionen voraussetzen, wie Windturbinen, kann dies beschleunigen. Denn auch die staatliche Kreditaufnahme wird wieder günstiger und würde so Investitionen ermöglichen, die das immer noch schwächelnde Wirtschaftswachstum anregen könnten.

Der Rückgang der Inflation ohne einen gleichzeitigen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit hat somit eine Vielzahl positiver Auswirkungen. Dies gibt progressiven Forderungen nach staatlichen Investitionsmaßnahmen neuen Auftrieb und bietet die Möglichkeit für mehr Klimaschutz.

Moritz Kapff studiert Economics/Politische Ökonomik in Heidelberg. Er engagiert sich bei Plurale Ökonomik, Fiscal Future sowie zum Green New Deal und schreibt in seiner Freizeit zu ökonomischen und gesellschaftlichen Themen. Seine Interessen umfassen die sozial-ökologische Transformation, Zentralbanken und ökonomische Ideengeschichte.

Lennard Fredrich studiert Philosophie in Heidelberg. Er ist aktiv beim Netzwerk Plurale Ökonomik und schreibt in seiner Freizeit zu ökonomischen und gesellschaftlichen Themen.

Beitragsbild: Joshua Rawson-Harris / Unsplash.com

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    Dieser Artikel wurde von einer externen Person geschrieben.

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