Nichts trinken und nichts essen müssen. Einfach nur sitzen dürfen. Orte, die genau das bieten, sind manchmal ganz schön schwer zu finden. Ob konsumfreie Räume wirklich so utopisch sind, habe ich versucht, für euch herauszufinden.
Das ist ein Beitrag aus unserem fünften Printmagazin mit dem Thema “Auf der Suche nach dem guten Geld”. Diesen und weitere exklusive Beiträge gibt’s im GNM+ Abo
Für alle Mitglieder: ePaper
– Direkt zur Audiodeskription springen
Unsere ePaper hier mit tiun ohne Abo als lesen.
Wie schwierig es manchmal ist, konsumfreie Orte zu finden, merkt man oftmals erst dann, wenn man sie braucht. Aber was sind konsumfreie Räume eigentlich? Allgemein gelten sie als Orte im öffentlichen Raum, die allen Bevölkerungsgruppen offen zugänglich sind. Zudem sollen sie Integration durch Austausch und Begegnung fördern. Diese konsumfreien Räume können ganz unterschiedlich aussehen. Vom attraktiv gestalteten öffentlichen Ort bis hin zu extra konzipierten Angeboten. Aber auch wenig bis kaum genutzte Flächen, wie Innenhöfe oder Grünflächen zwischen Wohnblocks. Auch diese oftmals nur (halb-)öffentlichen Räume können zur öffentlichen Nutzung und zum Raum der Begegnung umgestaltet und zugänglich gemacht werden.
Hier ist Platz für alle!
Im Falle von Deutschland fallen euch vermutlich als erstes öffentliche Parks ein, Spielplätze und Bänke, die am Wegesrand stehen. Das Problem: Es fühlt sich an, als ob es immer weniger davon gibt. Die Band Provinz singt in ihrem Lied Unsere Bank:
„Sie haben uns’re Bank von früher für ein Altersheim zerstört
Wo soll’n jetzt unsere Kinder später ihre Drogen nehm’n?
Und da wo „M plus V gleich Herzchen“ in die Bretter eingeritzt war
Da ist jetzt ein kleiner Parkplatz, wo die Rettungswagen steh’n”
Aber wie viele Parks, Spielplätze und Bänke gibt es eigentlich wirklich in Deutschland? Vermutlich ist das gar nicht so einfach festzustellen, hier trotzdem ein kleiner Versuch.
Tatsächlich ist Deutschland recht grün. Es gibt jede Menge Parks und Gärten. Dazu zählen einfache Stadtparks sowie modern angelegte Landschaftsparks, aber auch historische Schlossgärten. Diese frei zugänglichen und viel genutzten Grünflächen werden deshalb immer öfter direkt in die Städteplanung eingeschlossen.
Kritik gibt es trotzdem, denn einige Städte müssen aufgrund des Nachfrage-Nutzungs-Konflikts ihre Strategien für Grünanlagen überdenken. Die Forschungsergebnisse des Projekts GartenLeistungen, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wird, kommt zum Ergebnis, dass Parks zwar einiges an Kosten, vor allem durch Parkpflege, verursachen, der Gesellschaft aber ein Vielfaches zurückgeben.
“Sie erbringen unverzichtbare Leistungen, etwa beim Schutz vor Hitze und Starkregen, und bieten Räume für Naturerfahrung sowie sozialen Austausch. In diesen Mehrwert sollten Städte investieren und ihre Grünflächenämter deutlich besser ausstatten. Wer hier weiterhin den Rotstift ansetzt, handelt gegen den erklärten Willen der Stadtbevölkerung und schadet ihrer Gesundheit und Lebenszufriedenheit”, erklärt Projektleiter Prof. Jesko Hirschfeld vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.
Bei einer Befragung im Herbst 2020 gaben 95 Prozent der Befragten an, dass sie in den letzten zwölf Monaten mindestens einen öffentlichen Park besucht haben und sogar die Hälfte der Befragten nutzt Parks mehrmals die Woche. Es gibt kein anderes Freizeitangebot, das von der breiten Mehrheit öfter genutzt wird als öffentliche Grünflächen. Sie sind sozialer Treffpunkt und Erholungsraum in einem und zudem oft wohnungsnah zugänglich.
Anders als öffentliche Grünanlagen sind größere Naturparks etwas einfacher zu zählen. Aktuell gibt es in Deutschland 104 Naturparks mit einer unglaublichen Gesamtfläche von über 10,2 Millionen Hektar. Sie dienen überwiegend dem Schutz und Erhalt der Kulturlandschaften mit ihren Biotop- und Artenvielfalt. Diese teils angelegten Naturparks haben sich sogar über die Jahre vervielfältigt.
Übrigens: Die grünste Stadt Deutschlands liegt nicht, wie man vielleicht annehmen mag, in Baden-Württemberg oder Bayern. Tatsächlich ist Bremen die grünste Großstadt Deutschlands, mit rund 60 Quadratmetern Sport-, Freizeit- und Erholungsflächen pro Person! Wenn ihr dieses Good News Magazin 953 Mal in einem Rechteck auf dem Boden auslegt, dann habt ihr ungefähr diese Fläche. Stapelt man all diese Magazine aufeinander, erhält man einen Turm mit einer Höhe von knapp 67 Metern, also so hoch wie ein Hochhaus mit etwa 25 Stöcken.
Gemessen an der Grünfläche pro Einwohner:in, gewinnt allerdings Potsdam. Die Landeshauptstadt von Brandenburg bietet mit einer Grünfläche von 33,03 Quadratmetern pro Einwohner:in seinen Einheimischen die grünste Gegend. Das liegt überwiegend an den seit Jahrhunderten bestehenden und gut gepflegten Parkanlagen. Sie gehören sogar zum Weltkulturerbe. Die Parks, Garten und kilometerlangen Alleen – ein Traum eines jeden Spaziergängers und all das untermalt von Flüssen und königlichen Bauten. Manche dieser Parks lassen sich allerdings auch königlich bezahlen …
Aufgepasst, ich kommeeeeee …
Natürlich lässt es sich nicht nur in Parks wunderbar spielen. Kinder können sich in Deutschland auf Sage und Schreibe 100.000 Spielplätzen austoben.
Mithilfe der OpenStreetMap könnt ihr den nächsten Spielplatz
ganz bei euch in der Nähe suchen.
pixabay.com
Aber reichen so viele Spielplätze für die etwa elf Millionen Kinder in Deutschland? Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich vereinzelt auch um Spielplätze handelt, die in Kinderparks mit eingeschlossen sind und demnach nicht zu den konsumfreien Räumen zählen. Selbst wenn wir damit rechnen, dass 1.000 Spielplätze kostenpflichtig sind, klingen 99.0000 immer noch nach viel Platz, um sich die Zeit ganz kostenlos zu vertreiben. Die meisten Spielplätze findet man in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg, dicht gefolgt von Niedersachsen.
Der größte öffentliche Abenteuerspielplatz liegt im Sauerland. Ganz ohne Eintritt werden hier vermutlich nicht nur Kinderherzen höher schlagen. Und das ganz ohne Eintritt. Damit gehört er zu einem meiner liebsten konsumfreien Räume für Kinder.
Der AVENTURA SpielBerg in Medebach ist einer der beliebtesten Abenteuerspielplätze in Deutschland. Auf einer Fläche von 13.000 Quadratmetern erstreckt sich das ganze Jahr über ein ganz besonderes Outdoor-Erlebnis. Hier findet man neben einem Labyrinth, Schaukeln und Rutschen auch das mit 160 Metern längste Spielgerät Europas.
Die weitläufige Freizeitanlage verfügt zudem über Ruhepunkte und Relax-Zonen mit Bänken, Waldsofas und Pavillons, die sich hervorragend zum Picknicken und Entspannen nach einer Klettereinheit anbieten.
Stadt, Land …?
Auf dem Land mag es etwas einfacher sein, Orte zu schaffen, an denen jeder einfach nur „sein” kann. Sitzbänke findet man an Feldern, im Wald, auf dem Rathausplatz. Hier ist es einfacher: weniger Menschen = weniger Verkehr = weniger Autos = mehr Platz.
In der Stadt sieht das allerdings anders aus. Hier sind Parkbänke, Sitzgelegenheiten generell und Flächen, die nicht kommerziell genutzt werden, eher rar. Aber woran liegt das? Wolfgang Erichson, Bürgermeister für Kultur, Bürgerservice und Kreativwirtschaft der Stadt Heidelberg, sagt: „Das Schwierige an konsumfreien Räumen ist, einfach einen Raum aufzumachen und jeder geht rein. Wir erleben das selbst im studentischen Bereich, dass es oftmals daran scheitert, dass jemand die Verantwortung für so einen Raum übernimmt.”
Die Studentin und Unternehmerin Sophia Leser sieht das Problem allerdings an ganz anderer Stelle. Denn Projekte und Initiativen für offene, konsumfreie Räume gäbe es bereits genügend. Das Problem sei nicht immer die Verantwortung, sondern der Papierkram, der am Ende den kreativen Fluss hemmt. Hinzu kämen Sperrstunden für öffentliche Parks, Wiesen und Gärten, was die Nutzung von bereits vorhandenen Orten natürlich nicht unbedingt fördert, sondern einschränkt.
Oberbürgermeister Thomas Kufen aus Essen und Präsidiumsmitglied des Deutschen Städtetages machte im Zuge der Sitzung des kommunalen Spitzenverbandes Anfang des Jahres deutlich: „Unsere Innenstädte müssen sich neu erfinden. Wir wollen mehr Möglichkeiten für Begegnungen und Erlebnis bieten, mit einer höheren Aufenthaltsqualität. Nutzungsvielfalt, saubere, einladende öffentliche Räume. Mehr Grün und Wasser in der Stadt sind dafür zentral. Die Menschen wünschen sich Orte zum Ausruhen und Verweilen.”
Die Forderungen und Konzepte gibt es also bereits. Nun hängt es an Bund und Länder, die Innenstadt-Programme darauf auszurichten.
I steht für Innovation
In Dortmund ist genügend Platz für kreative Ideen für die Zukunft der Innenstadt, denn hier gibt es den Superraum. Einen Raum nur für Kultur und Kreativität. Hier finden Ausstellungen, Projekte, Beratungen und Vernetzungen der Dortmunder Kultur- und Kreativwirtschaft statt. Und das Beste: der Eintritt in den Superraum ist frei! Das Ziel: „Wir wollen die Kreativwirtschaft im Stadtraum sichtbar machen”, meint Reinhild Kuhn von der Stabsstelle Kreativquartiere Dortmund. Da durch den Online-Handel immer mehr Warenhäuser und Einzelhandelsfilialen schließen, müssen für die meisten deutschen Städte schleunigst neue Innenstadtkonzepte her. Grün sollen sie sein und ein Ort, an dem sich alle Menschen aufhalten, arbeiten und austauschen können.
Was wäre wenn?
Im Jahr 2020 haben sich Europas Minister:innen für Stadtentwicklung auf ein Leitbild geeinigt, das Innenstädte revolutionieren soll:die neue Leipzig-Charta. Darin steht, dass Städte in Zukunft „gerecht, grün und produktiv” werden sollen. Dafür müssen zunächst finanzielle und physische Barrieren abgebaut und im Gegenzug gute Infrastrukturen für den Handel und die Wirtschaft aufgebaut werden. Nur dann ließen sich nachhaltige und grüne Städte finalisieren.
Neben Gastronomie, Einzelhandel, Wohnraum, Medizin- und Gesundheitsangeboten soll nun auch mehr Raum für öffentliche Orte geschaffen werden. „Hier soll man zusammenkommen können, eine gute Zeit haben, kreative Dinge machen und sich bilden können”, erklärt Stadtforscher Frank Osterhage. Natürlich dürfen dabei Orte wie Grünflächen, Parks und Treffpunkte im Freien nicht fehlen. Am Ende, meint Osterhage, komme es auf die Zusammenarbeit an. Eine Innenstadt braucheganz viele Akteure und die müsse man dafür gewinnen und zusammenbringen. Die Zukunft der Innenstadt solle allen gehören. Deswegen sollten auch alle daran arbeiten.
Wird aus Utopie vielleicht also bald wirklich Realität? Kreative Konzepte zur Umgestaltung von Plätzen, attraktiven Innenstädten allgemein und Ideen für mehr offen zugänglichen Raum für alle gibt es schließlich bereits.
Beitragsbild: pixabay.com
Artikel aus dem Printmagazin als PDF ansehen:
print5-Konsumfreier-RaumDen Artikel als Audio anhören: