Mit Geodaten Menschenleben retten

Neue OneFleet-App erleichtert Seenotrettung auf dem Mittelmeer

von | 11. April, 2024

Die App OneFleet nutzt Geodaten, um Rettungseinsätze für Geflüchtete in Seenot besser zu koordinieren und zu dokumentieren. 
So soll Menschen auf dem Mittelmeer in Seenotfällen in Zukunft schneller und effizienter Beistand geleistet werden. Mehrere Jahre hat ein Team von Softwareentwickler:innen der Initiative SeaWatch an der App gearbeitet. Vor kurzem wurde das Ergebnis nun vorgestellt – und wird bereits eingesetzt, von SeaWatch und anderen Organisationen der zivilen Seenotrettungskoordination civilMRCC

OneFleet: Eine Datenbasis für eine Flotte

Die grundlegende Idee hinter der App steckt bereits im Namen: Eine einheitliche Daten- und Kommunikationsbasis für alle Schiffe zu schaffen, sie sozusagen zu “einer Flotte” zu machen. Denn bisher nutzten alle Organisationen unterschiedliche Kommunikationsmittel, Softwares und Softwarelösungen. Auch die Dokumentation der Seenotrettungsfälle verlief nach unterschiedlichen Standards, erklärt Nicolas Zemke, Ideengeber für OneFleet.

Zemke ist seit 2015 IT-Verantwortlicher von SeaWatch und war selbst bei mehreren Einsätzen der Organisation an Bord. Wie die anderen Angehörigen der NGOs im Einsatz auf dem Mittelmeer bezeugte Zemke in diesen Jahren steigende Zahlen von Geflüchteten und Todesfällen auf der gefährlichen Route von Libyen nach Italien und eine zunehmende Verschärfung der Grenzen.

Angesichts der abnehmenden Kooperations- und Handlungsbereitschaft der EU-Zielländer wie Italien wird der Einsatz ziviler Organisationen immer wichtiger. Gleichzeitig kann die Dokumentation der Einsätze wichtige Aufklärungsarbeit leisten und politischen Druck ausüben.

Eine App, zwei Ziele

Die Konzeption der App spiegelt diese Ziele wider: OneFleet soll zum einen die Rettungseinsätze flexibler machen und besser koordinieren. Denn mit steigenden Zahlen von Booten und der bislang höchsten Zahl von NGO-Schiffen im Einsatz auf dem Mittelmeer ist eine gute Absprache wichtiger denn je. Zum anderen soll die App die Einsätze dokumentieren und archivieren.

Wie genau also hilft OneFleet dabei, Rettungseinsätze effektiver zu machen? 

Die App integriert ein Geo-Informationssystem (GIS) und eine einheitliche Datenbasis, auf die alle in der Seenotrettung tätigen Organisationen zugreifen können. Auf der Plattform können Informationen zu den Search and Rescue-Areas (SARs) ebenso angezeigt werden wie Wetterdaten zu Wellen, Wind und weiteren Faktoren, die gegebenenfalls beeinflussen, ob und wie viele Boote von der nordafrikanischen Küste ablegen. Auch Orientierungspunkte wie Ölplattformen oder Ähnliches, die zur Navigation oder Identifikation der Position eines Schiffes relevant sein können, werden angezeigt. Vor allem aber werden alle Schiffe kartiert – nicht nur die der NGOs, sondern auch Handelsschiffe. 

Einheitlicher, flexibler, integrierter

Ähnliche Systeme zur Kartierung relevanter Geodaten bestehen bereits. Doch OneFleet hat die bestehenden Ansätze in mehrerer Hinsicht weiterentwickelt. Zum einen arbeitet das System mit anpassbaren Felddefinitionen. Heruntergebrochen heißt das: Die neue Anwendung basiert nicht wie vorige Apps auf einer Datenbank mit festen Einträgen, sondern auf einem Platzhaltersystem, in das Informationen zum Beispiel zum Namen des Schiffes, der Anzahl der Menschen an Bord etc. situationsbezogen eingegeben werden können. Das ermöglicht es, die unterschiedlichen Gegebenheiten der verschiedenen NGOs und Notsituationen einzubeziehen und flexibel zu handeln.

Außerdem funktioniert OneFleet nach einem offline-first Ansatz: “Wir können mit unserer Applikation davon ausgehen, dass unsere User eigentlich immer offline sind und im besten Fall können sie ihre Daten synchronisieren, das heißt, wir haben nicht die Probleme, die man hat, wenn das Handy ständig aus dem Internet geht und das Schiff zwischendurch keinen Satellitenempfang hat”, erklärt Zemke.

Live gehen

Einer der entscheidendsten Faktoren von OneFleet ist jedoch, dass die App mit Live-Daten arbeitet anstatt wie vorige Systeme mit historischen Daten. Das erlaubt es nicht nur, Daten schnell anzupassen und auf Änderungen im Feld zu reagieren. Es erlaubt vor allem, Schiffe in Echtzeit zu kartieren.

Dadurch, dass auch Handelsschiffe erfasst werden, können diese so gezielter alarmiert werden – und auch in die Verantwortung genommen werden. “Es ist mehrfach vorgekommen, dass Handelsschiffe in der Vergangenheit Seenotrettungsfälle ignoriert haben”, erklärt Zemke. Die Live-Erfassung der Positionen von Booten in Seenot und Handelsschiffen in unmittelbarer Nähe erhöht die Möglichkeit, Druck auszuüben, sodass Schiffe bei Seenotrettungsfällen in nächster Nähe auch wirklich eingreifen.

Menschenrechtsverletzungen dokumentieren: Das SARchive

Das greift bereits in das andere übergreifende Ziel der App. Denn der zweite grundlegende Bestandteil neben dem Echtzeit-GIS ist die historische Datenbasis, die das Team um Zemke in Anlehnung an die Abkürzung für Such- und Rettungszonen mit dem Namen SARchive betitelt hat. Sie dient der einheitlichen und systematischen Dokumentation und Archivierung von Daten zu Seenotfällen und Rettungseinsätzen.  

“Uns ist keine Stelle bekannt, die als ziviler Akteur die ganze Situation archiviert. Wir haben bei uns auch die Aufgabe gesehen, die Menschenrechtsverletzungen, die dort stattfinden, historisch zu archivieren.”

Nicolas Zemke

Für die NGO-Schiffe ist die Dokumentation der Seenotrettungen zudem wichtig, weil die Aktivitäten der Schiffe von EU-Staaten zunehmend kriminalisiert werden: Gegen zehn der 18 Schiffe, die 2023 als Teil der Initiative auf dem Mittelmeer im Einsatz waren, wurde juristisch vorgegangen. Das Datenarchiv dient damit auch als Beweismaterial vor Gericht.

Daten für die Öffentlichkeit

Die Hauptfunktion des Archivs jedoch ist es, die Geschehnisse auf dem Mittelmeer, die Schicksale der Menschen und die Aktionen der Verantwortlichen festzuhalten. Die Situation soll nicht in Vergessenheit geraten, im Gegenteil: Sie soll der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Darum ist das Archiv, wie die gesamte App, kostenlos und OpenSource. 

Die offene Infrastruktur von OneFleet soll dabei leichteren und schnelleren Datenaustausch und die Einbeziehung neuer relevanter Daten fördern, um die Leistungsfähigkeit und Performanz der App noch zu verbessern. Die erhobenen Daten wiederum werden Forscher:innen und Journalist:innen, aber auch der Öffentlichkeit, frei zur Verfügung gestellt, um Aufklärungsarbeit zu fördern und die Sichtbarkeit zu erhöhen für das, was auf dem Mittelmeer geschieht – und dafür, was getan werden kann und bereits getan wird, um Menschenleben zu retten. 

Beitragsbild: Hannah Wallace Bowman, SOS Méditerranee press photos

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Luisa Vogt

Luisa Vogt ist stellvertretende Print-Chefredakteurin beim Good News Magazin und liebt Sprachen, Reisen und das kennenlernen verschiedenster Kulturen. Beim Good News Magazin lebt sie ihre Leidenschaft für Sprache und für spannende, schöne Berichte aus aller Welt - weil die Welt viel mehr realistischen Idealismus braucht. Außerdem studiert sie nach ihrem Bachelor in Englisch und Französisch inzwischen im Master Asien- und Afrikastudien in Berlin und arbeitet als Lerntherapeutin.

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