“Ihr könnt auf uns zählen”. Diese starken Worte zieren das Cover der Februar Ausgabe des bekannten 11 Freunde – Magazin für Fußballkultur. Über 800 aktive Fußballer:innen und Funktionäre sprechen sich darin für mehr Toleranz bei Homosexualität im Fußball aus. Starke Worte, die zeigen: Wir sind bereit für das erste Outing eines aktiven Profifußballers in Deutschland. Doch sind wir das wirklich?
Der Fußball im Wandel
Das Outing ist eine ganz persönliche Sache. Jeder oder jede entscheidet nach dem eigenen Befinden, wann die richtige Zeit dafür ist. Als Gesellschaft ist es unsere Aufgabe potenzielle Ängste auszuschließen. Niemand sollte Angst vor der Reaktion der Mitmenschen haben müssen. In den letzten Jahren hat ein Wandel in der Gesellschaft stattgefunden. Mehr Toleranz, mehr Empathie und mehr Verständnis.
Auch im “Männergeschäft” Profifußball hat ein Wandel stattgefunden. Inzwischen hat fast jeder Verein der Bundesliga einen schwulen oder lesbischen Fanclub, z.B. die Stuttgarter Junxx. Thomas Hitzlsperger, früherer deutscher Nationalspieler und deutscher Meister, bekannte sich 2014 kurz nach Karriereende öffentlich zu seiner Homosexualität. Damals schien sein Outing die Hoffnung zu stärken, dass weitere homosexuelle Spieler seinem Beispiel folgen würden. Seitdem – immerhin schon 7 Jahre – hat sich kein weitere Spieler öffentlich geoutet. Woran liegt das?
Kein Platz für Hass in der Kabine
Jede:r Mannschaftssportler:in kennt diesen Ort: Die Kabine. Sie scheint abgeschnitten zu sein von der Öffentlichkeit. Ein Zufluchtsort, in dem Teamkollegen Freunde sind. Gemeinsame Siege feiern. Gemeinsame Niederlagen wegstecken. Man sollte meinen ein Ort in dem jede/r akzeptiert wird. Ein Ort, der Toleranz und Freundschaft groß schreibt.
Wenn du im Fußball unterwegs bist, weißt du was Vielfalt ist.
Steffen Baumgart (Trainer des SC Paderborn)
Recht hat er, wenn man dies auf die verschiedenen Religionen, Hautfarben und Nationen bezieht. Doch hat er damit auch Recht, wenn man dies auf die Sexualität bezieht?
Die Kabine ist auch ein Ort der flapsigen Sprüche. Freunde untereinander, die sich auch mal etwas an den Kopf werfen. Homosexuelle Beleidigungen gehören dazu. Unbewusst, nicht ernst gemeint und unbedacht, aber sie kommen vor. Einen Spieler, der sich outen möchten, bedrückt dieser Umgang womöglich. Oft haben die anderen Spieler jedoch kein Problem mit der Sexualität der anderen. Diese Offenheit sollte sich auch in der Sprache widerspiegeln. Die Toleranz, die in einem guten Team, in einer starken Freundschaft, schon da ist, muss auch kommuniziert werden. Ein bewussterer Umgang mit der Sprache kann seinen Teil dazu beitragen, dass keine Angst vor der Reaktion der Mitspieler:innen auf ein Outing besteht.
Ort der Emotionen
Das Stadion, insbesondere die Fankurven, ist ein Ort der Emotionen. Diese Emotionen machen den Fußball so schön. Extase, Freudentränen, fliegende Bierbecher, wildfremde Menschen liegen sich in den Armen. Doch die Kurve kann auch anders. Hasstiraden, Beschimpfungen, gellende Pfeifkonzerte. Als Spieler wirst du verehrt oder gehasst! Selten etwas dazwischen. Ist ein Ort der überkochenden Emotionen bereit für tolerantes Verhalten?
Schwul-lesbische Fanclubs, Plakate und Choreografien der Fans, die sich für Vielfalt und Toleranz aussprechen verfolgen alle das gleiche Ziel: Die Spieler sollen die Unterstützung der Fans spüren. Es kann aber auch ein ganz anderer Wind wehen. Affengeräusche gegenüber dunkelhäutigen Spielern und Hassplakate gegenüber einzelnen Personen gehören nicht der Vergangenheit an. Wichtig wird sein, wie die Mannschaft damit umgeht. Sie kann einem betroffenen Spieler das Gefühl geben nicht alleine zu sein. So geschehen in den USA.
Collin Martin ist Spieler von San Diego Loyal. Er ist homosexuell. Öffentlich outete er sich 2018. Zwei Jahre später stand er auf dem Platz, als er Anfeindungen aufgrund seiner Sexualität ausgesetzt war. Was sein Team tat war beispielhaft für Freundschaft und Toleranz. Obwohl es ein wichtiges Spiel war, obwohl sie im Begriff waren das Spiel zu gewinnen, entschieden sich die Spieler geschlossen den Platz zu verlassen. Sie wollten nicht Teil solcher Anfeindungen sein.
Eine Aktion auf die der gesamte Verein zurecht Stolz ist. So konnten die Spieler den Fans, den Gegnern, den Zuschauer:innen und den Medien vermitteln: Bei uns ist kein Platz für Homophobie!
Homosexualität in der Sportberichterstattung
Stichwort Medien. Sportberichterstattungen lechzen nach Heldengeschichten, nach großen Emotionen, nach “Geschichten, die nur der Sport schreibt”. Jede/r Sportler:in kennt auch die Schattenseiten. Auf Gefühle wird oft keine Rücksicht genommen. Bei Niederlagen wird ein/e Spieler:in nicht mehr als Mensch betrachtet, sondern nur als Spieler:in, der/die funktionieren muss. Diese Berichterstattung kann Ängste schüren. Die Angst davor, wie mit der Homosexualität umgegangen wird.
Auch die Medienlandschaft ist also verpflichtet einen Teil zu einem toleranten Umgang beizutragen. Vielleicht in anderer Weise als gedacht. Das Outing eines Spielers sollte zur Normalität werden. Da ist eine große Titelgeschichte à la “Dieser Spieler bekennt sich zu seiner Homosexualität” womöglich sogar kritischer zu beäugen als angenommen. Keine Sensationsnachricht, keine große Titelstory mit zweiseitigem Interview. Eine kurze Nachricht und weiter gehts mit dem Sportlichen. Homosexualität im Fußball wird nur als Normalität betrachtet, wenn die News darüber auch so gestaltet werden. Natürlich ist ein öffentliches Outing ein Vorbild für weitere. Eine riesige Berichterstattung mit den entsprechenden reißerischen Schlagzeilen darüber könnte auch abschrecken.
Eine tolerantere Zukunft
Im 11 Freunde-Magazin sprechen sich über 800 aktive Fußballer:innen und Funktionäre für mehr Toleranz im Fußball aus. Sie versichern ihre Unterstützung und ihren Rückhalt beim Outing und garantieren ihre Akzeptanz. Es braucht mehr solcher Menschen, die ihren Teamkolleg:innen zur Seite stehen – egal ob in der Kabine, im Stadion oder vor den Medien.
Damit Homosexualität im Männerfußball zur Normalität gehören kann, ist es wichtig Vorurteile gegenüber geouteten Männern aufzuarbeiten und abzulegen. Solche Vorurteile müssen im Sport generell bearbeitet werden. Dazu gehört auch die weitverbreitete und absolut stumpfe Annahme, alle Profifußballerinnen seien lesbisch. Wir als Gesellschaft sind in der Pflicht unseren Teil dazu beizutragen, dass die Homosexualität kein Tabu Thema im Fußball bleibt. Daher ist den 11 Freunden nur beizupflichten: Ihr könnt auf uns zählen!
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Beitragsbild: Jose Pablo Garcia / Unsplash