Good News Thought: Von Kleidung zu Klamotte – und wieder zurück?

das ist ein GNM+ ArtikelFashion Revolution Week: Für eine nachhaltigere Bekleidungsindustrie

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von | 23. April, 2022

Die Fashion Revolution Week macht auf Missstände in der Bekleidungsindustrie aufmerksam. In unserem Kommentar-Format Good News Thoughts zeigt unsere stellvertretende Chefredakteurin Nina, wie ein positiver Wandel aussehen kann.

Fast neun Jahre ist es her, dass am 24.04.2013 das Rana Plaza – eine Textilfabrik in Bangladesch – einstürzte. 1.134 Menschen starben dabei. Grund dafür waren gravierende Sicherheitsmangel, die allerdings auch viele westliche Modeketten nicht davon abhielten, ihre Kleidung dort unter schlimmsten Bedingungen produzieren zu lassen. 

Im Rahmen der Fashion Revolution Week machen seitdem jedes Jahr am 24. April weltweit Menschen auf die Missstände in der Modeindustrie aufmerksam. Ziel ist es, für die Produktionsbedingungen zu sensibilisieren und die Notwendigkeit eines Wandels zu verdeutlichen. Wir wollen die Fashion Revolution Week zum Anlass nehmen, um nicht nur auf die weitreichende Problematik hinzuweisen, sondern unseren Blick vor allem dorthin zu richten, wo gezeigt wird, wie ein solcher Wandel aussehen kann. 

Von Kleidungsstücken zu Klamotten

Es ist ein zynischer Topos der gegenwärtigen Konsumgesellschaft: Ein Kaffee beim Hipster-Barista um die Ecke kostet mittlerweile mehr als ein T-Shirt bei einem der Fast Fashion-Unternehmen, die die Innenstädte mit wöchentlich wechselnden Kollektionen und das Internet mit grellen Sale-Bannern dominieren. Doch der niedrige Preis sollte stutzig machen. Bedenkt man, wie viele Arbeitsschritte und Ressourcen nötig sind, wirken fünf Euro für das neueste Trendteil geradezu bizarr. 

Zu häufig wird diese Diskrepanz in der Konsumeuphorie allerdings verdrängt. Perfektes Beispiel einer Attitude-Behaviour-Gap – der Kluft zwischen den eigenen Werten und dem tatsächlichen Verhalten. Zu angenehm ist das Gefühl, sich für wenig Geld ein neues, cooleres Ich überzuziehen, sich etwas gegönnt zu haben. Verdient, so die innere Stimme, hat man es sich schließlich. 

Die Konsumentwicklung hin zu Fast Fashion spiegelt sich auch in unserer Alltagssprache wider: War früher noch von geschätzten und gepflegten Kleidungsstücken die Rede, so bemerkt Kreativdirektor Carl Tillessen, ist uns heute das Wort Klamotte geläufig. Jenes entstammt dem Rotwelschen, einer Sprache gesellschaftlicher Randgruppen, und beschrieb im 20. Jahrhundert zerbrochene Mauer- oder Ziegelsteine, später im übertragenen Sinne wertlose Gegenstände. Ziel muss es sein, einen Rückwärtstrend zu initiieren, der Kleidungsstücken wieder mehr Wert und Wertschätzung zuspricht. 

Zurück zur langsamen Mode

In einer Welt, in der Schnelligkeit zur geschätzten Qualität geworden ist, hat es ein Ansatz, der nach Langsamkeit strebt, nicht leicht. Die Anhänger:innen der Slow Fashion-Bewegung fordern, das Konsumverhalten im Bewusstsein über dessen Auswirkungen auf Mensch und Natur zu reduzieren bzw. vielmehr generell zu überdenken. Dass dieses Umdenken nötig ist, verdeutlicht eine Studie, nach der 40 Prozent der Kleidungsstücke in deutschen Schränken kaum oder nie getragen getragen werden. 

Slow Fashion gesteht der Entwicklung von Schnitten, nachhaltiger Materialauswahl sowie der Produktion als solcher mehr Zeit zu. Die Kleidungsstücke sollen nicht nur durch höhere Qualität langlebiger werden, sondern auch, indem die Konsumierenden ihnen mehr Sorgfalt entgegenbringen, sie bei Bedarf reparieren oder entsprechend abändern. 

Ohnehin muss die Lust nach Neuem nicht immer in einem Kauf resultieren. Stattdessen gilt es, Vorhandenes neu zu kombinieren, Kleidung zu teilen oder Leih-Dienste in Anspruch zu nehmen. Außerdem muss ein Kauf auch nicht immer einen Neukauf bedeuten. Second Hand ist spätestens seit dem Hype um Vintage-Läden und Kleidertauschpartys der Schmuddelecke entkommen.

Empower your dressmaker 

Um Kleidung wieder mehr Wert zu verleihen, will das Stuttgarter Label EYD die Macher:innen von Kleidung sichtbarer machen. Zugleich vereint Gründerin Nathalie Schaller mit ihrem Label allerdings noch eine weitere Mission: Ausbeutung, Menschenhandel und Sklaverei, von der vermehrt Frauen betroffen sind, ein Ende zu bereiten. 

Gemeinsam mit karitativen Nähereien in Mumbai (Indien) sowie Kathmandu (Nepal) beschäftigt sie Frauen, die aus Menschenhandel und Zwangsprostitution befreit werden konnten und nun neben einer Arbeit als Näherin in einem geschützten Umfeld Hilfestellung erhalten, um sich ein eigenes, unabhängiges Leben aufbauen zu können. Dazu gehören neben verschiedenen Bildungsangeboten etwa praktischer Unterricht in Life-Skills. Die nepalesische Partnerwerkstatt ist sogar Mitglied der World Fair Trade Organisation (WFTO) und der Freedom Business Alliance. 

Seit 2020 entstehen einige Produkte von EYD sogar in Deutschland: In einer integrativen Nähwerkstatt am Rande des Schwarzwalds fertigen geflüchtete Menschen hochwertige Kleidungsstücke für das kleine Sozialunternehmen.  

Salzwasser macht Mode zum Social Business

Wie nachhaltige nachhaltige Kleidung geht zeigt u.a. Salzwasser
Wie nachhaltige Kleidung geht zeigt u.a. Salzwasser | Bild: Salzwasser

Auch im Norden Deutschlands wird unternehmerisches Handeln zum Werkzeug für einen positiven gesellschaftlichen Wandel: Das Social Business Salzwasser aus Hamburg setzt einen wesentlichen Teil der Einnahmen zum Schutz mariner Ökosysteme ein, die essentiell für ein harmonisches Zusammenleben von Mensch und Natur sind. Damit agiert das kleine Unternehmen entgegen des sonstigen Negativ-Impacts der Modebranche, die für mehr Emissionen verantwortlich ist als Flüge und Seeschifffahrt zusammen.

Doch das ökologische wie soziale Handeln des Unternehmens wird nicht nur durch das GOTS-Siegel (Global Organic Textile Standard), welches jeden Schritt der Liefer- und Produktionskette unabhängig und streng kontrolliert, transparent. Zum einen wird im Online-Shop die Nachhaltigkeit jedes Produkts nach den Faktoren Materialien, Rückverfolgbarkeit, Zirkularität und Impact bzw. Spende bewertet. Zum anderen werden Produktionskosten sowie Verkaufspreis genauestens aufgeschlüsselt. Sichtbar wird hierbei etwa, dass der Lohn der Textilarbeiter:innen bei einem Shirt des Social Businesses acht Prozent im Vergleich zu einem Prozent des Kaufpreises in der konventionellen Herstellung beträgt.

Unser persönlicher Einfluss

Die Verlockung ist groß, der Regierung die alleinige Verantwortung dafür zuzuweisen, sozial sowie ökologisch verträglichen Konsum zu erleichtern oder sogar gänzlich zu verbieten. Doch auch, wenn es immer Ziel sein sollte, durch politisches Engagement eine Änderung auf Gesetzesebene zu erreichen, sollten wir die Macht, die mit unseren persönlichen Kaufentscheidungen einhergeht, nicht unterschätzen. 

Die zwei oben genannten Beispiele zeigen, dass Unternehmen auf unsere Nachfrage reagieren. In unserer globalisierten, westlichen Welt können wir zwar nicht nicht konsumieren, doch wir haben je nach individueller Situation Möglichkeiten, unseren Konsum achtsamer zu gestalten: Nicht nur in Sachen Kleidung, sondern auch hinsichtlich Fortbewegung, Ernährung und anderen Verbrauchsprodukten etwa. Dabei gilt es, vom Streben nach Nachhaltigkeit in Perfektion Abstand zu nehmen. Ein erster Schritt kann beispielsweise das Schreiben von Wunschlisten sein, um Käufe im Vorhinein zu überdenken. New Fashion-Newbies finden hier weitere Infos:

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Denn ja, ein unter menschenwürdigen Bedingungen hergestelltes Shirt kostet mehr als ein Kaffee. Doch dafür bleibt davon auch mehr als ein kurzes (Konsum-)High.

Der nächste Good News Thought folgt im Mai

Beitragsbild: Salzwasser

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    Nina Kegel

    Nina ist stellvertretende Chefredakteurin beim Good News Magazin und vor allem eins: Neugierig. Immer auf der Suche nach Good News beschäftigt sie sich am liebsten mit Themen rund um einen nachhaltigen Wandel – egal ob kreatives Bauprojekt, ökologische Initiative oder innovatives Unternehmenskonzept, sie lässt sich für vieles begeistern. Außerdem studiert sie im Master Medienkultur und Globalisierung.

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