Das Bewusstsein für diskriminierende Szenen in alten Filmen wächst und verschiedene Lösungen werden angeboten. In unserem neuen Kommentar-Format Good News Thoughts setzt sich unsere Chefredakteurin Viktoria mit der Thematik auseinander.
Dass Winnetou nicht das echte Leben indigener Völker widerspiegelt, sollten wir besser früher als später lernen. Ebenso, dass Sklav:innen sich ihren Herr:innen gegenüber nicht so willentlich devot verhalten haben wie in Vom Winde Verweht.
Filmklassiker werden neu eingeordnet – und das ist nicht nur gut so, sondern auch sehr wichtig. Doch dass das Löschen von Szenen nicht die einzige Lösung ist, zeigen zahlreiche Diskussion um unterschiedlichste Filme in den vergangenen Jahren. Erst im Februar stand Frühstück bei Tiffany’s im Fokus einer solchen.
Frühstück bei Tiffany’s
Anfang 2022 war der britische Channel 5 Gegenstand einer Debatte, nachdem er im Audrey Hepburn-Klassiker Frühstück bei Tiffany’s alle Szenen mit Co-Star Mickey Rooney strich. Für die Rolle des Vermieters von Holly Golightly trug Rooney “Yellowface”-Make-up und Hasenzähne, klebte sich die Augen zu und sprach den Text mit einem übertriebenen Akzent.
Seine Darstellung des japanischen Charakters Mr. Yunioshi löste bereits bei der Veröffentlichung des Films 1961 Kritik aus, die im Laufe der Jahre immer lauter wurde. Sowohl Rooney als auch Regisseur Blake Edwards bedauerten vor ihrem Tod die Rolle.
Während andere TV-Sender den Film in den letzten Jahren mit einer Inhaltswarnung versahen, schnitt Channel 5 alle Szenen mit Rooney heraus. Damit fiel auch eine der berühmtesten Szenen Hepburns weg:
Hepburns Sohn Sean Hepburn Ferrer, ein Filmproduzent, sagte der Daily Mail dazu: “Man muss die Sache aus der Perspektive der Menschen von damals betrachten. Das ist heute das große Problem. Alles wird aus dem Blickwinkel eines einzigen Lebens betrachtet… als ob wir der wichtigste Punkt in der Geschichte wären. Der Film ist, was er ist, und man sollte eine Warnung an den Anfang stellen, die besagt, dass er 1961 gedreht wurde und dass dies die Entscheidungen waren, die damals getroffen wurden.”
Pippi Langstrumpf
Das schwedische Fernsehen SVT ging 2014 einen ähnlichen Weg bei dem Kinder-Klassiker Pippi Langstrumpf: “SVT hat Elemente, die als anstößig betrachtet wurden, herausgeschnitten”, teilte der öffentlich-rechtliche Sender damals mit. “Unser Publikum sind Kinder, und wir wollen nicht, dass sie sich beleidigt oder verletzt fühlen könnten.”
Vom Schnitt waren konkret jene Szenen betroffen, in welchen Pippi ihren Vater als “N-König” bezeichnete. Daraus wurde schlichtweg ein König. Eine Szene, in der Pippi ihre Augen zu Schlitzen formt und als Chinesin auftritt, wurde komplett herausgeschnitten.
In Deutschland wurden diese Anpassungen bislang nicht vorgenommen, allerdings hatte hier bereits der Verlag Friedrich Oetinger den Vater von Pippi in allen Neuauflagen ab 2009 zum “Südseekönig” gekrönt und andere problematische Worte gestrichen oder ersetzt.
Disney
2020 strich Disney Klassiker wie Dumbo, Peter Pan, Aristocats oder Das Dschungelbuch aus dem Kinderprogramm seines Streamingdienstes Disney+ und stellte sie Kindern nur noch unter Aufsicht Erwachsener zur Verfügung. Aufgrund der problematischen Inhalte versahen sie die Filme zusätzlich mit einer Warnung:
„Dieses Programm enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen oder Kulturen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es noch heute. Anstatt diese Inhalte zu entfernen, ist es uns wichtig, ihre schädlichen Auswirkungen aufzuzeigen, aus ihnen zu lernen und Unterhaltungen anzuregen, die es ermöglichen, eine integrative Zukunft ohne Diskriminierung zu schaffen.“
Inhalt der Warnung auf Disney+
Vom Winde verweht
2020 nahm das Streamingportal HBO Max den achtfachen Oscarpreisträger von seiner Plattform. Aufgrund der Unruhen nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd hatte der Drehbuchautor John Ridley (“12 Years a Slave”) in einem Gastbeitrag für die Los Angeles Times gefordert, das Südstaaten-Epos von 1939 nicht mehr zu zeigen.
Kurze Zeit später machte HBO Max den Film wieder verfügbar – nun mit einem knapp fünfminütigen Clip vorgeschaltet, in dem die afroamerikanische Filmwissenschaftlerin Jacqueline Stewart den Film historisch einordnet. So lernt man, dass die Kritik bereits mit Ankündigung der Verfilmung aufflammte, da er eine Südstaatenromantik anpries, die mitnichten auf die brutale Realität der Sklaverei einging.
Besser einordnen als Löschen?
Es stimmt positiv, dass das Bewusstsein für falsche und diskriminierende Darstellungen wächst. Immer häufiger werden Filme werden kritisch diskutiert und unter die Lupe genommen. Doch was ist eigentlich richtig? Löschen oder Einordnen? Beides!
(Film)wissenschaftler:innen sind sich einig, dass das Löschen von Szenen oder die Nicht-Ausstrahlung ganzer Filme selten der richtige Weg ist. Die Einordnung des Filmes in die Entstehungszeit hingegen kann eine Diskussion und Auseinandersetzung mit der Thematik begünstigen.
Beim Ersatz problematischer Wörter hingegen ist der öffentliche Konsens, dass Sprache Macht hat. Eine positive Entwicklung ist, dass die Thematik bei Kinderbüchern bereits einen Schritt weiter ist als im Film. Bei Pippi Langstrumpf oder Otto – Der Film wäre ein Austausch diskriminierender Worte dank heutiger Technologien problemlos möglich.
Dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden, zeigt der Erfolg von Schauspielerin Thelma Buabeng, die im Januar Netflix darauf aufmerksam machte, dass die deutsche Synchronisation von Kevin allein zu Haus im Gegensatz zum Original rassistische Begriffe benutzt. Netflix trat mit Buabeng in Kontakt und versprach, die betreffenden Stellen vor der nächsten Ausstrahlung zu ändern.
Beitragsbild: Wikimedia Commons
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Der nächste Good News Thought des Good News Magazin folgt im April
Unsere Chefredakteurin Viktoria ist selbst große Cineastin. In der Pandemie erst hat sie gemerkt, wie selbstverständlich ihre wöchentlichen Kino-Besuche für sie waren. Seit den ersten Lockerungen versucht sie, es für ihr Wohlbefinden wieder einmal pro Woche ins Kino zu schaffen. Das Thema Film hat sie auch stets in ihrer Arbeit begleitet, sei es früher als Pressesprecherin für die Filmnächte am Elbufer oder aktuell als Filmrezensentin für den Kinokalender Dresden.