Kürzere Vollzeit statt Teilzeit als Lösung?

Die Vorteile der 4-Tage-Woche für Geschlechtergerechtigkeit

von | 29. Mai, 2023

Die Wirkung einer 4-Tage-Woche für echte Geschlechtergerechtigkeit könnte beeindruckend werden. Vision: Alle arbeiten in kürzerer Vollzeit statt Teilzeit. Wer mehr arbeiten will, macht „Vollzeit-Plus“.

Auszug aus dem Buch 4 TAGE WOCHE von Martin Gaedt (Werbung)

Die 4-Tage-Woche mit weniger Arbeitszeit bei gleichem Gehalt kann mehrere strukturelle Probleme lösen. Sie eröffnet Frauen einen Zugang zu voll bezahlter Vollzeit-Arbeit, ohne 40 Stunden oder gar 43,5 Stunden arbeiten zu müssen. Traditionell sind es Frauen, die die Pflege von Kindern und Senioren übernehmen. Ehrenamtliche familiäre Care-Arbeit plus Erwerbstätigkeit – beides zugleich ist mit einer traditionellen Vollzeitstelle kaum zu schaffen. Dies ist einer der Hauptgründe dafür, dass Frauen im bezahlten Beruf viel häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer. Daraus folgen deutlich geringere Rentenansprüche im Alter für Frauen. 

  • In Österreich arbeitet „fast die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen Teilzeit, von den Männern nur jeder zehnte. Dieser Teilzeit-Gap wird seit Jahren größer. Viele Frauen arbeiten nicht freiwillig weniger als Männer, sondern weil eine klassische Vollzeitstelle und Care-Arbeit nicht zusammenpassen. Und den Teilzeit-Gap spüren sie schmerzlich bei Einkommen und Pensionen.“
  • In der Schweiz arbeiten 85 % der erwerbstätigen Männer Vollzeit, während bei den Frauen 60 % Teilzeit angestellt sind.
  • In Deutschland arbeiten „66 % der erwerbstätigen Mütter Teilzeit, aber nur 7 % der Väter. Mütter mit jüngeren Kindern arbeiten in Deutschland fast doppelt so häufig Teilzeit wie im EU-Durchschnitt.“

Die ungleiche Verteilung von Arbeit und Gehalt ist weder ein Naturgesetz noch notwendig. Sie ist eine strukturelle Ungerechtigkeit, die ihren Ursprung allein in traditionellen Gewohnheiten hat. Die 40-Stunden-Woche war lange Zeit das Standard-Modell, als Männer in Vollzeit gearbeitet haben und mit dem Lohn die ganze Familie finanzieren konnten. Frauen haben unbezahlt die Haus- und Care-Arbeit geleistet und den Männern den Rücken freigehalten, zuhause waren Männer befreit von Arbeit. Abgesehen davon, dass dieses Konzept in der Menschheitsgeschichte einen sehr kurzen, kaum erkennbaren Zeitabschnitt einnimmt, ist es völlig offensichtlich, dass wir ein fettes Update des Modells brauchen. 

Die Mehrheit der Frauen arbeitet inzwischen bezahlt in ihren Professionen – zum Glück. Das alte Modell ist damit eindeutig überholt. Während ich dies schreibe, macht mein Smartphone gerade minutenlang ein Systemupdate, während die Arbeitszeiten und -verträge am alten Vollzeitmodell kleben. Vollzeit lässt als gnädige Variante einen Job in Teilzeit zu. Das ist aber kein Systemupdate. 

Natürlich können Paare weiterhin vereinbaren, dass eine oder einer der beiden Vollzeit arbeiten geht, und die zweite Person sich zuhause der Care-Arbeit widmet. Das wird niemand verhindern oder gar verbieten wollen. Vollzeit-Teilzeit funktioniert allerdings nicht mehr als Basismodell in unserer veränderten Gesellschaft. Das belegen die Zahlen, wie absurd unterschiedlich Frauen in Teilzeit und Männer in Vollzeit arbeiten. 

Stell dir vor, eine Mama und ein Papa würden beide in Vollzeit mit jeweils nur 32-Stunden pro Woche arbeiten, und sie würden beide ein volles Gehalt verdienen. Und jetzt stell dir das als den neuen Standard vor. Dann hätten Frauen höhere Einkommen und Renten, während Männer ohne finanzielle Einbußen mehr Freizeit mit ihren Familien genießen könnten.

  • Männer behalten ihre Vollzeitjobs mit Vollzeitgehalt, arbeiten weniger und gewinnen Freizeit, die sie zum Beispiel mit ihren Kindern und Familien genießen können.
  • Frauen arbeiten genauso normal in einer Vollzeitstelle mit gerechter Vollzeit-Bezahlung, statt sich weiterhin mit Teilzeit-Jobs, Teilzeit-Bezahlung und Teilzeit-Renten zufrieden geben zu müssen. Teile der Care-Arbeit können sie an Männer abgeben.

Die 4-Tage-Woche kann gesellschaftlich dazu beitragen, Arbeitszeiten- und Lohn-Ungerechtigkeit aufzulösen. Genau das ist der Wunsch vieler Menschen.

„Aus mehreren Umfragen geht hervor: Teilzeitbeschäftigte Frauen wünschen sich längere Arbeitszeiten, vollzeitbeschäftigte Männer hingegen kürzere. Eine kurze Vollzeit klingt daher sinnvoll“,

schreibt Martina Maier in einem Tagungsbericht der Akademie für Politische Bildung Tutzing.

Bei genauerem Hinsehen schlägt eine 4-Tage-Woche mit 32 oder 34 Wochenstunden mehrere Fliegen mit einer Klappe:

  • mehr Freizeit für Väter mit Kindern und auch mehr Anteil an der Care-Arbeit mit Eltern 
  • mehr Vollzeit-Arbeit mit Vollzeit-Lohn und Vollzeit-Rente für Frauen, ohne 40 oder 43,5 Stunden arbeiten zu müssen
  • mehr Fachkräftepotenzial unter den Millionen erwerbstätigen Frauen, die in Teilzeit arbeiten müssen, obwohl sie gerne mehr arbeiten würden. 

Mehr Freizeit durch die 4-Tage-Woche ist nicht nur ein privates Thema, sondern auch gesellschaftlich von größter Relevanz. Genauso wie mehr Freizeit, die ehrenamtlich in Vereinen eingebracht und der Gesellschaft gespendet wird. Aktuell liegt die Entscheidung, die Arbeitszeit zu reduzieren, um positiv für die eigene Gesundheit zu sorgen, privat bei jedem einzeln. Diese individuelle Lösung heißt: Teilzeit. Und Teilzeit bedeutet weniger Einkommen und weniger Rente. Verantwortliche Gesundheitsprävention wird bestraft. Dem Einzelnen geht es gesundheitlich besser und Krankenkassen werden entlastet. Doch der privat bezahlte Preis dafür sind niedrigere Einkommen und Renten. 

Teilzeit kann privat eine sinnvolle Lösung sein, doch gesellschaftlich ist sie eine Sackgasse. Das dahinterliegende Problem wird nicht löst, im Gegenteil, langfristig führt Teilzeit zu mehr Problemen. Was wäre, wenn wir die aktuelle Lage umdrehten?

  • Die Gesundheit aller Erwerbstätigen wird konsequent durch neue Gesetze geschützt, die allgemeine Vollzeit-Arbeitszeit wird gesenkt. So werden gesetzliche Rahmenbedingungen für Erholung geschaffen. Menschen und Krankenkassen werden entlastet. Mittel- und langfristig steigt die Entlastung sogar, wenn Erwerbstätige im Arbeitsleben mehr schlafen und gesünder bleiben. Die neue, kürzere Vollzeit-Arbeitszeit mit – TROMMELWIRBEL – einem Vollzeit-Gehalt lässt Menschen genug Zeit zur Erholung und Ruhe für gesunden Schlaf. 
  • Die Entscheidung, mehr zu arbeiten, bleibt dem Einzelnen überlassen. Privat kann jeder Mensch entscheiden, mehr als die neue Vollzeit-Arbeitszeit zu arbeiten. Wer gut schläft und mit arbeitsbedingtem Stress gut umgehen kann, wird nicht eingeschränkt und arbeitet so viel und so lange, wie die Person selbst will.

Damit würde die Allgemeinheit geschützt, und privat wäre jeder Mensch frei, so viel zu arbeiten, wie gewünscht. Das Risiko, arbeitsbedingt zu erkranken, würde für alle reduziert. Wer mehr arbeiten will und kann, bekommt das neue ‚Vollzeit-Plus‘ angeboten. Teilzeit wird abgeschafft, denn der neue Vollzeit-Standard ist so flexibel gestaltet, dass die Mehrheit in unterschiedlichen Vollzeit-Modellen arbeitet.

Verbinden wir alle Vorschläge für gesunde Menschen und Geschlechter-Gerechtigkeit, so wird eine runde Sache aus der neuen Verteilung:

  • Auf garantierte Ruhe und Erholung ist zu achten. Gesundheit wird Priorität #1. 
  • Um die Gesundheit aller Erwerbstätigen konsequent zu schützen, wird die allgemeine Vollzeit-Arbeitszeit gesetzlich gesenkt.
  • Die neuen Vollzeitstellen mit weniger Wochenstunden sind flexibel auszugestalten je nach Möglichkeit der Beschäftigten und Abläufen in den Firmen. 
  • Teilzeit-Stellen, Teilzeit-Löhne und Teilzeit-Renten werden abgeschafft.
  • Frauen und Männer arbeiten gleichberechtigt mit Vollzeit-Bezahlung in Vollzeitstellen mit weniger Wochenstunden als bisher. Alle Bullshit-Anteile in Jobs werden gestrichen. Das setzt genug Zeitreserven frei.
  • Jeder Mensch kann entscheiden, mehr als Vollzeit zu arbeiten und mit seinem Arbeitgeber über das neue ‚Vollzeit-Plus‘ verhandeln. 
  • Männer und Frauen verteilen Care-Arbeit mit Senioren und Kindern gerecht untereinander.

Was spricht dagegen? Was spricht dafür?

Mehr dazu:

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Beitragsbild: Depositphotos

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Martin Gaedt

Martin Gaedt ist Autor der Bücher "Rock Your Idea" und "Mythos Fachkräftemangel". Er ist Arbeitsmarktexperte, mehrfacher Unternehmensgründer und war 2007 bis 2020 Arbeitgeber. Good Work mit Raum zur Entfaltung, Ideenfitness und Provotainment liegen ihm am Herzen, denn Fragen, Humor, Provokation und engagierte Kolleg:innen sind der Keim aller Veränderung.

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