“Angst ist ein schlechter Berater”, heißt es – vor allem in Medien und Politik ist Angst allerdings auch ein wirksames Mittel. Doch ist die Panik vor steigender Gewalt auf der Welt und auch in Deutschland gerechtfertigt? Führt mehr Migration zu mehr Verbrechen? Steigen die Anträge auf Asyl nicht enorm an und das bringt neue und mehr Probleme? … Nein, nein und nein. Höchste Zeit, Zahlen und Behauptungen genauer unter die Lupe zu nehmen.
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Bevor wir zu schnellen oder gar dramatischen Schlussfolgerungen kommen, sollten Statistiken und andere Daten eingeordnet und ihr historischer Zusammenhang betrachtet – und dadurch relativiert werden. Das ist (leider) etwas, das viele Medien und auch Politiker:innen nicht immer tun. Zuletzt war dies eindrucksvoll zu beobachten bei der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für Deutschland für das Jahr 2023, die im Mai 2024 veröffentlicht wurde. Noch vor der eigentlichen Veröffentlichung ging es mit den alarmierenden Schlagzeilen los. Die WELT veröffentlichte Auszüge aus der PKS, laut denen 2023 5,9 Millionen Straftaten verzeichnet wurden, ein Plus von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Von den Tatverdächtigen haben 41 Prozent keinen deutschen Pass, hieß es dort weiter.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Interpretationen und Schuldzuschreibungen von Medien und Politik sich überschlugen: „Gewaltkriminalität in Deutschland steigt massiv“, titelte die Welt. “Straftaten explodieren!”, posaunte die BILD und “Gewaltkriminalität ist so hoch wie seit 15 Jahren nicht”, schreiben ZEIT und N-tv. Auch Friedrich Merz äußerte sich umgehend und nutzte die Daten für seinen Wahlkampf. Er bezeichnete den Anteil von 41 Prozent nicht-deutscher Tatverdächtiger als „alarmierend“ und forderte konsequente Abschiebungen.
Viel Lärm um – was genau?
Solche Schlagzeilen und Forderungen rütteln die Gesellschaft auf, schließlich vermitteln sie eine akute Bedrohung; Steht die Gewalt vor der Tür? Sind wir, bin ich, ist meine Familie in Gefahr? Das sind existenzielle und ernstzunehmende Sorgen. Doch um solchen Sorgen zu begegnen, wäre zunächst die besagte Einordnung sinnvoll gewesen. Denn was zeigt die PKS überhaupt?
Die Statistik bildet nicht die reale Kriminalität ab, sondern lediglich die Anzeigen, die die Polizei bearbeitet hat. Es sind alle verzeichneten Anklagen aus einem Jahr, also quasi ein Tätigkeitsbericht der Polizei. Die PKS sagt also nicht aus, ob tatsächlich die Anzahl der Straftaten gestiegen ist oder nur die Anzeigebereitschaft innerhalb der Gesellschaft. Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht und Kriminologie, ordnete die Zahlen im Interview mit der ZEIT in drastischen Worten ein: “Es ist bizarr, wie sie (die PKS) Jahr für Jahr in der öffentlichen Debatte überinterpretiert wird. (…) Die Statistik spiegelt nur das wider…