Good News Thought

das ist ein GNM+ ArtikelLasst uns über Psychedelika (in der Medizin) reden

von | 9. August, 2023

Sind Psychedelika das Wundermittel der Psychiatrie? Unser Good News Thought zu drei aktuellen News zu Psilocybin, MDMA und Co.

Wir waren uns in der Redaktion selbst unsicher, ob wir das Thema “Psychedelika” aufgreifen wollen. Sind das tatsächlich Good News? Als ein derartiger Themenvorschlag vor einem halben Jahr kam, wählten wir ihn noch ab. Doch nun gibt es drei News, die uns dazu bringen, uns tatsächlich mit dem Thema zu beschäftigen: In den USA verwandelte eine Dosis MDMA einen „White Supremacy“-Anführer, Australien erlaubt die ärztliche Verschreibung von Psychedelika und das Science Media Centre informierte in einer Aussendung umfassend über Psilocybin in der Medizin. Zeit also, dass auch wir uns der psychotherapeutischen Verwendung von Psychedelika und den aktuellen Erfolgen widmen. Unser Good News Thought im August.

Was wollen wir damit erreichen? Unsere Good News Thoughts sind oft recht persönlich – was in diesem Fall wohl etwas schwierig wird. Tue ich als Schreiberling so, als hätte ich jedes einzelne der vorgestellten Psychedelika bereits probiert, könnte der Artikel zu sehr ins Missionarische abdriften. Habe ich wiederum gar keine Ahnung von der Materie, laufe ich Gefahr, in einem Kommentar schwammigen Blödsinn zu schreiben. Die Lösung ist jedoch ganz einfach: Ich halte mich an Fakten, aktuelle Studien, Entwicklungen in der Medizin oder die Gesetzgebung in verschiedenen Ländern. Die Frage, ob wir über illegale Drogen oder heilende Medizin sprechen, erübrigt sich damit. Stattdessen zeigen wir einfach den aktuellen Stand der Entwicklung. So wertfrei wie möglich.

Tatsächlich existieren viele Psychedelika seit Tausenden von Jahren. Erst nach der psychedelischen Bewegung in den 1960er-Jahren wurden psychedelische Substanzen in den 1970er-Jahren vielerorts verboten und als illegale Drogen eingestuft. Sie galten lange als gesundheitsschädigend. In den letzten Jahren mehren sich jedoch die Studien zu ihrer Wirkung und die mögliche medizinische Anwendung macht die Wirkstoffe für viele Länder und Zwecke immer attraktiver. 

MDMA verändert das Leben eines „White Supremacy“-Anführers 

Eins gleich vorweg: Das Beschriebene ist ein Einzelfall und im Rahmen einer Studie beobachtet worden. MDMA ist bekannt unter dem Namen “Ecstasy” und sorgt für eine vermehrte Ausschüttung des Glückshormons Serotonin. Konsument:innen empfinden meist eine besondere Nähe zu anderen Menschen, starke Glücksgefühle und fühlen sich wacher und leistungsfähiger. Was nach schönen Momenten klingt, kann bei einer starken Überdosierung – wie aktuell bei den Fällen in Deutschland rund um die “Blue Punisher”-Pille – jedoch tödlich verlaufen.

In der Medizin jedoch hat die Forschung zu MDMA in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, und das Medikament wird als potenzielle therapeutische Behandlung für psychische Störungen wie Traumata, Depressionen und Essstörungen betrachtet. Obwohl MDMA nicht automatisch extreme politische Ansichten verändern kann, könnte es Menschen dabei helfen, ihre Ideologien zu überdenken. In den USA hat MDMA beispielsweise das Leben eines ehemaligen weißen Nationalisten radikal verändert. 

Brendan, der zuvor der Leiter der US-Midwest-Fraktion von Identity Evropa, einer berüchtigten weißen nationalistischen Gruppe, gewesen war, nahm an einer wissenschaftlichen MDMA-Studie teil. Diese untersuchte, ob das Medikament die Annehmlichkeit sozialer Berührungen bei gesunden Freiwilligen erhöht. Bei Brendan gab es ein überraschendes Ergebnis: Nach der Einnahme des Medikaments änderten sich seine extremistischen Überzeugungen. Er erkannte, dass Liebe das Wichtigste im Leben ist und dass Hass und Vorurteile nichts bedeuten. Auch wenn Brendans Erfahrung außerhalb der Norm liegt, so ist sie doch nicht ohne Präzedenzfall. In den 1980er Jahren gab es einen ähnlichen Erfolg mit einem Piloten, der in einem rassistischen Elternhaus aufgewachsen war und seine bigotte Denkweise bis zur Verabreichung von MDMA als normales, korrektes Spiegelbild der Dinge akzeptiert hatte.

Diese Erfahrungen mögen Ausnahmen sein, aber sie werfen Fragen über das Potenzial von MDMA auf, Werte und Prioritäten zu beeinflussen. Es gibt Hoffnung, dass die Substanz in der richtigen Umgebung und mit angemessener Vorbereitung dazu beitragen könnte, das Empathievermögen von Menschen zu steigern und Vorurteile abzubauen. Einige Expert:innen glauben, dass MDMA in Gruppenkontexten genutzt werden könnte, um Dialoge zwischen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zu fördern und so Brücken zwischen getrennten Kulturen zu schlagen. Wie das jedoch geschehen soll, muss die weitere Forschung zeigen. Denn wer entscheidet, welche Einstellungen vertretbar sind und welche behandelt werden müssen? Das kann im Idealfall nur der Patient oder die Patientin selbst und frei entscheiden. 

Australien erlaubt ärztliche Verschreibung von Psychedelika 

In einem wegweisenden Schritt hat Australien als erstes Land Psychedelika als Arzneimittel auf nationaler Ebene anerkannt. Ärzt:innen können seit Juli 2023 Rezepte über MDMA zur Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung und Psilocybin (der psychoaktive Inhaltsstoff von Magic Mushrooms) bei schwer behandelbarer Depression ausstellen. Die Wirkung von Psilocybin ist gekennzeichnet durch körperliche Leichtigkeit und Energie, unkontrolliertes Lachen, Freude, Euphorie und eine veränderte visuelle Wahrnehmung. Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Panikattacken können als Nebenwirkungen von Psilocybin auftreten.

„Psychedelika sind wirkmächtige Substanzen, die im Einzelfall Psychosen, Manien und auch Depressionen und Angsterkrankungen auslösen können. Entsprechend disponierte Menschen können sie erheblich destabilisieren. Diese Risiken kann man in einem medizinischen Setting erheblich reduzieren.“

Prof. Dr. Gerhard Gründer, Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim

Seit Jahrhunderten weiß die Menschheit um die halluzinogene Wirkung von Pilzen. Heutzutage werden derlei Magic Mushrooms auch zunehmend für die Medizin relevant. Auch in Deutschland wird die Forschung zu Psilocybin und dessen potenzieller Rolle bei der Behandlung von Depressionen intensiv vorangetrieben. 

„Die meisten Daten zu einer Psilocybin-Therapie gibt es zu Depression. Es gibt ebenfalls ermutigende Daten zu Alkoholabhängigkeit, Angststörungen und der posttraumatischen Belastungsstörung. (…) Für eine reguläre Zulassung braucht es Firmen, die große randomisierte, placebokontrollierte Studien durchführen und die Daten an die Zulassungsbehörden einreichen. In den USA scheint man kurz vor der Zulassung für MDMA bei der posttraumatischen Belastungsstörung zu sein. Ob und wann Psychedelika in der EU zugelassen werden, kann ich nicht vorhersagen.“

Prof. Dr. Gregor Hasler, Universität Freiburg, Schweiz

Psilocybin ähnelt strukturell dem Neurotransmitter Serotonin – dem “Glückshormon”. Die Substanz verändert die Wahrnehmung, Stimmung und das Bewusstsein. Die genaue Wirkung ist noch nicht vollständig geklärt, erste klinische Therapieansätze sind jedoch vielversprechend: So kann Psilocybin bei Personen mit schwersten Depressionen kurzfristig die Symptome lindern. Erfolge wurden zudem bei der Raucherentwöhnung, bei psychischen Traumata oder in der Palliativmedizin erzielt. Ein heilsamer Effekt wird aktuell auch bei Magersucht erforscht. 

“Einige Studien zeigen nach der Psilocybin-unterstützten Therapie Veränderungen in der Art und Weise, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, jedoch konnte bisher noch nicht gezeigt werden, dass diese mit einer Verbesserung der Symptomatik einhergehen. Auch wird spekuliert, dass Psilocybin die Neuroplastizität anregt – also Lernen und Vergessen vereinfacht. Aber dies wurde bisher nur in Tierstudien untersucht. (…) Wir brauchen hier definitiv noch weitere Forschung.“

PD Dr. Katrin Preller, Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Universität Zürich, Schweiz

Aus dem Schatten ins Licht: Offen über Psychedelika reden

Neben der Medizin sind Psychedelika deutlich mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen, als das noch vor ein paar Jahren der Fall war. Im US-Bundesstaat Oregon stimmte die Bevölkerung 2020 ab, ob Psilocybin legalisiert werden solle – seit Januar 2023 ist die Komplettlegalisierung in Kraft. In New Hampshire ist aktuell ein Gesetzentwurf zur Legalisierung von LSD und Psilocybin in Arbeit.

Auch über solche regionalen Bestrebungen hinaus wird offen über Psychedelika gesprochen – vor allem in der Popkultur: Das Schweizer Magazin “Lucy’s Rausch” geht mittlerweile in sein achtes Jahr, zahlreiche Bücher berichten von eigenen Erfahrungen, über neue therapeutische Ansätze oder unterhalten mit Comics zum Bicycle Day. Der Streaminganbieter Netflix verfilmte mit “Verändere Dein Bewusstsein” (“How to Change Your Mind”) das wohl aktuell berühmteste Buch des US-amerikanischen Journalisten Michael Pollan als Dokumentarserie. Pollan untersucht in seinem Bestseller und in der Serie – durchaus kritisch – die Geschichte und Wirkung von LSD, Psilocybin, MDMA und Meskalin. 

Letzteres ist besonders in den USA immer wieder in den Nachrichten, da die Ureinwohner:innen im Grenzgebiet Mexikos und der USA darum kämpfen, die Zuchtgebiete des Peyote-Kaktus unter Schutz zu stellen. Meskalin ist der halluzinogene Bestandteil des Kaktus und wird seit 6.000 Jahren für religiöse Zeremonien benutzt. Obwohl illegal in den USA, ist die Nutzung für ihre Zeremonien für die indigenen Völker seit 1994 legal. Viele Indigene machen sich zudem in der Aufklärungskampagne Decriminalize Nature für eine Entkriminalisierung entheogener Pflanzen und Pilze stark.

LSD “legal” in Deutschland? Ja und nein.

Psychedelika - LSD Papier
Lasst uns über Psychedelika (in der Medizin) reden 3

Um die Entkriminalisierung bzw. Legalisierung verschiedener Substanzen wird auch in Deutschland immer wieder debattiert. Während die Legalisierung von Cannabis aktuell in der deutschen Politik voranschreitet, steht die Legalität psychoaktiver Drogen aktuell (noch) nicht zur Debatte. Ein interessanter Sonderfall ist LSD, neben Psilocybin und MDMA die am meisten konsumierte Substanz. 

LSD ist ein halbsynthetisches Halluzinogen (Lysergsäure ist ein natürlicher Wirkstoff des Mutterkorns, eines Pilzes, der in Getreideähren parasitiert) und eine der stärksten bekannten Drogen. LSD ist prinzipiell in Deutschland verboten, ebenso sogenannte LSD-Derivate – von LSD abgeleitete Substanzen. Bei diesen wird die Molekülstruktur von LSD nur geringfügig verändert, sodass eine neue Substanz als „Forschungschemikalie“ bezeichnet werden kann. Aufgrund der Vielfalt und der raschen Entwicklung der Derivate besteht eine Art Wettlauf zwischen Herstellern und Gesetzgeber: Kaum ist eine Substanz verboten, gibt es längst neue Substanzen, die gehandelt werden. Zuletzt traf das 2022 die Variante “1V-LSD” – mittlerweile bieten die Shops jedoch “1D-LSD” an. Und das völlig legal. 

Das führt dazu, dass der größte deutsche Shop im Durchschnitt 60-120 Bestellungen pro Tag erhält und teilweise sechsstellige Monatsumsätze verbucht. Und all das ist nicht mal schwer herauszufinden, denn als ich beispielsweise an der East Side Gallery in Berlin spazieren ging, lachte mich die höchst offizielle Werbung für den Shop prominent an. 

Ähnlich “getrickst” wird in den Niederlanden. Seit 2007 der Verkauf psychoaktiver Pilze verboten wurde, sind diese im Nachbarland illegal. Nicht jedoch ihre Sklerotien, verhärtete Dauerformen des Pilzes. Als sogenannte Magic Truffles werden diese Sklerotien seitdem ganz legal in den niederländischen “Smart Shops” verkauft. 

Da fragt man sich auf beiden Seiten der deutsch-niederländischen Grenze: Ist es nicht Zeit für ein Überdenken der Gesetze, wenn die Schlupflöcher so offenkundig sind? Sollte die Debatte ähnlich offen wie bei Cannabis geführt werden? Was bei einem unregulierten Schwarzmarkt passiert, zeigen die “Blue Punisher”-Vorfälle. Kann eine medizinische Legalisierung mit geführter Therapie und regulierten Dosen hingegen Hoffnung für zahlreiche Krankheitsbilder schaffen? Die Antwort sollte im Idealfall die Wissenschaft geben.

Beitragsbilder: Depositphotos.de

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Viktoria Franke

Unsere Chefredakteurin a.D. Viktoria begann noch während des Studiums, als Sportjournalistin durch die Welt zu ziehen. Mittlerweile berät sie kleine Einzelkämpfer und große Unternehmen in ihrer Innen- und Außenkommunikation und organisiert weltweit Pressebereiche bei Sportevents. Good News sind bei all dem Trubel genau so wichtig für ihre mentale Gesundheit wie ein Stück Schokolade.

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