“Unsere Währung ist Zeit”

das ist ein GNM+ ArtikelDer wahrgewordene Traum vom Tiny House

von | 14. Dezember, 2023

Viele Menschen träumen davon, ein eigenes Haus zu bauen. Stefanie und Philipp Sanders haben gleich mehrere gebaut. Das Besondere: keines davon umfasst mehr als 30 Quadratmeter.

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Im Nordosten Bayerns erstreckt sich das Fichtelgebirge, ein großer grüner Fleck auf der Landkarte. Hier, umringt von der Natur, leben Stefanie und Philipp Sanders mit ihrer Tochter in einem Tiny House am Waldrand. Der Trend Tiny Living aus den USA steckte die beiden vor etwa acht Jahren an. Inzwischen haben sie das erste legale Tiny House Village in Deutschland gegründet und entwerfen, bauen und verkaufen die kleinen Häuser selber. 

TinyHouseVillage Philipp Stefanie Sanders
Philipp und Stefanie Sanders. Foto: TinyHouseVillage.

Der Kaufpreis des Tiny Houses LOVT, in dem sie leben, beträgt zurzeit 112.000 Euro. „Und das sind realistische Preise für Made in Germany und ökologisch“, sagt Philipp Sanders. „Unsere Häuser werden in 100 Jahren noch stehen.“ Viele ihrer Kund:innen kommen aus Einfamilienhäusern und möchten Ballast loswerden.

Inspiriert von den Tiny Houses in den USA

Zu zweit dauerhaft auf engstem Raum zusammenzuleben, würden die meisten Menschen wahrscheinlich nicht als Lebenstraum bezeichnen. Für Stefanie (29) und Philipp (28) Sanders begann genau dieser Traum 2015 während ihres Work-and-Travel-Vanlifes in Kanada und den USA. Tiny Houses waren dort schon Trend und es wurde in Fernsehsendungen darüber berichtet. „Dann haben wir das wirklich gesuchtet und angefangen, erste Zeichnungen zu machen und ein winziges Modell zu bauen. Und haben für uns gemerkt, dass uns das auf jeden Fall reichen würde.“

„Viele Paare argumentieren, dass sie unbedingt zwei separate Räume benötigen, für den Fall, dass sie ihren Partner oder ihre Partnerin einmal nicht sehen möchten. In solchen Situationen schlage ich vor, einfach mal einen Spaziergang zu machen oder sich Kopfhörer aufsetzen. Warum gleich einen zusätzlichen Raum anbauen?”

 Philipp Sanders

Sie reisten mit einem Van durch die USA, besichtigten um die 30 Tiny Houses und machten Pläne für den Bau eines ersten eigenen Hauses auf Rädern. Zurück in Deutschland begannen sie mit dem Bau des Hauses Nordic Fjöll, der statt geplanten sechs Wochen dann ganze 18 Monate dauerte. Sie studierten ein Semester in Augsburg, wo sie als Paar zum Wohnen nichts Kleineres als eine 60-Quadratmeter-Wohnung bekamen.

„Dann sind wir in eine der kleinsten Wohnungen Deutschlands gezogen“

„Wir haben unsere Studentenmöbel reingestellt und gemerkt: ‚Oh Gott, das ist total leer und hallt’. Und dann haben wir uns dabei erwischt, wie wir angefangen haben zu überlegen, was wir kaufen könnten, damit diese Wohnung gemütlicher wird. Das heißt, wir hätten nur Möbelstücke gekauft, um sie gemütlicher zu machen, aber nicht, weil wir sie brauchen.“

Philipp und Stefanie merkten, dass diese Art zu wohnen nichts für sie ist. Auf der Suche nach einem Stellplatz für ihr Tiny House auf Rädern fanden sie ihre neue Wahlheimat, das Fichtelgebirge. „Da sind wir dann mit elf Quadratmetern in eine der wahrscheinlich kleinsten Wohnungen Deutschlands gezogen.“

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Tiny House Village Mehlmeisel im Winter. In der Mitte das Haus Nordic Fjöll. Foto: TinyHouseVillage.

Seit sieben Jahren leben sie durchgängig in Tiny Houses, zuerst in Mehlmeisel in ihrem selbst gebauten Tiny House mit 14 Quadratmetern. Dort gründeten sie 2017 auch das erste Tiny House Village Deutschlands und starteten mit der Vermietung des Hauses. Inzwischen stehen im Tiny House Village Mehlmeisel über 25 Tiny Houses. 2020 wurde das Tiny House Village Mehlmeisel als erstes offizielles und legales Wohngebiet für Kleinsthäuser eingetragen.

Das Paar verkaufte das Village 2021 an die Tiny House Village GmbH. Seit 2022 leben sie in der Tiny House Gemeinschaft Hüttstadl, ebenfalls im Fichtelgebirge in ihrem neuesten Tiny House Modell LOVT auf 25 Quadratmetern plus acht Quadratmetern Kinderhaus für ihre Tochter. In Unterlind und in Sauerhof am See gründeten sie ebenfalls kleine Villages.

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Das Tiny House Modell LOVT. Foto: TinyHouseVillage.

Wohnen in der Natur und in einer Gemeinschaft

Ihr Leben habe sich durch den Einzug in ein Tiny House nicht wirklich verändert. Laut Philipp Sanders liegen die größten Unterschiede darin, dass sie jetzt viel näher an der Natur leben und dadurch deutlich mehr Zeit draußen verbringen und dass sie in einer Gemeinschaft leben. Sie können viele Dinge teilen, wie einen WLAN-Router, einen Rasenmäher, oder eine Gerätehütte, die in der Stadt sonst vermutlich jede:r für sich hätte.

„Wir sind zufrieden mit dem Platz, den wir haben und wollen auch gar nicht mehr. Wir fühlen uns auch immer unwohl, wenn wir großen Platz haben“, sagt Philipp Sanders. Der einzige Raum, der mit einer Tür vom Rest des Wohnraums getrennt ist, ist das Badezimmer.

Die Sachen, die die Familie braucht, bringen sie in geschickt verstecktem Stauraum unter, beispielsweise einer Treppe mit Schubladen. Der beschränkte Platz beschränkt sie gleichzeitig in der Menge an Dingen, beispielsweise Kleidung, die sie besitzen können. „Wenn es zu viel ist, dann muss man halt aussortieren. Das ist sicherlich eine gute Variante, um sich darin zu zwingen und zu sagen, ‚Okay, das kann ich halt jetzt einfach nicht mehr behalten.’”

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Bad, Schlafzimmer und Küche im Tiny House Modell LOVT. Fotos: Julian Meinhardt.

Mehr Grundstücke für Tiny Houses

Der Weg zum ersten Tiny House Village bis heute war lang und mit vielen Behörden und Bürokratie verbunden. Doch der Trend zum Leben im Tiny House ist auch in Deutschland angekommen und die Beratungen rund um Tiny Houses sowie der Verkauf werden gut angenommen. Menschen, die über ein Leben im Tiny House nachdenken, empfiehlt Philipp Sanders erstens „definitiv ein Probewohnen“ und zweitens „kauft niemals ein Haus, wenn ihr kein Grundstück habt.“

„Die Meisten entscheiden sich aus minimalistischen und umweltfreundlichen Gründen für ein Leben im Tiny House.“

Philipp Sanders

Um eine Genehmigung für ein Grundstück für ein Tiny House zu bekommen, müsse man dranbleiben. „Aber es ist definitiv möglich und wir hoffen, dass sich das Ganze durch immer mehr Beispiele, die entstehen, weiterentwickelt und mehr Grundstücke, oder einfach zugängliche Grundstücke für Tiny Houses entstehen, weil nur so wird dieser Minimalismus-Trend auch langfristig funktionieren. Es reicht nicht, wenn wir im Jahr 100 Tiny Houses in ganz Deutschland aufstellen und währenddessen 100.000 Einfamilienhäuser aufgestellt werden. Das ist ein Verhältnis, bei dem du nicht darüber reden kannst, dass wir jetzt einen minimalistischen Bauzweig bekommen haben. Es müsste in der Bauwirtschaft zumindest mal zehn bis 20 Prozent ausmachen, dann könnte man darüber reden, dass wir nachhaltig etwas verändern.“

Die Freiheit von Dingen

Philipp und Stefanie Sanders haben sich ihren Traum erfüllt und ihn zu ihrem Hauptberuf gemacht. Für sie bedeutet Minimalismus nicht nur, kleiner zu wohnen, sondern auch im Bereich Kleidung oder Besitz generell zu minimieren. Auch viele ihrer Kund:innen sind wohl Menschen, die aus großen Einfamilienhäusern in ein Tiny House ziehen, weil sie Ballast loswerden wollen und sich nicht mehr um so viele Dinge kümmern möchten.

Tiny House Modell LOVT.
Ausblick aus dem Tiny House Modell LOVT. Foto: Julian Meinhardt.

„Minimalismus bedeutet für mich insbesondere, die Freiheit von Dingen zu haben. Wir eifern jetzt auch nicht dem nächsten iPhone oder irgendwelchen Reisen hinterher. Das ist überhaupt nicht in unseren Köpfen drin, sondern wir sind sehr zufrieden mit dem, was wir so haben. Uns ist es wichtiger, dass wir Zeit bekommen. Als Selbstständige ist es schwierig, immer Zeit aufzubringen, aber das ist eher unsere Währung”, sagt Philipp Sanders, während er in seinem Tiny House sitzt, hinter sich ein Panoramafenster mit Blick in die Natur.

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Pia Bergmann

Pia Bergmann ist Redakteurin beim Good News Magazin. Das Schreiben hat ihr schon immer viel Freude bereitet – umso besser, findet sie, dass sie beim Good News Magazin über so viele spannende, positive Menschen und Projekte schreiben kann.

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