Das Joggen, Radeln und Rudern hat in einem Berner Fitnessstudio einen netten Nebeneffekt: Durch die an den Geräten angeschlossenen Mühlen und Pressen entstehen Lebensmittel.
Sich im Fitnessstudio abzustrampeln, ist für viele Menschen der ideale Weg, dem eigenen Körper etwas Gutes zu tun und den Kopf nach einem Arbeitstag freizubekommen. Doch was wäre, wenn bei der schweißtreibenden Freizeitbeschäftigung gleichzeitig auch direkt das Abendessen produziert würde? In der Nähe von Bern ist genau das möglich.
Lebensmittel durch Muskelkraft
In der schweizerischen Gemeinde Thörishaus können Sportbegeisterte durch Muskelkraft ihre eigenen Nahrungsmittel produzieren. Jeden Mittwochnachmittag öffnet dafür der GmüesEsel kostenlos seine Türen. Dahinter verbergen sich zwei „Velos“ (Fahrräder), ein Crosstrainer und ein Rudergerät. Die Geräte in der alten Lagerhalle treiben auf umweltfreundliche Weise Maschinen zur Verarbeitung von Lebensmitteln an, sodass die Sporttreibenden dort beispielsweise aus Maiskörner Polenta machen, Hartweizen zu Grieß und Roggen zu Mehl mahlen oder Rapssamen zu Öl pressen können.
Dementsprechend laut ist es in der Lagerhalle auch: Statt den Fitnessstudio-üblichen Beats bestimmen hier krachende Maschinen die Geräuschkulisse.
Fitnessstudio, aber umweltfreundlich
Der Betreiber dieses Fitnessstudios, Thomas Wieland, hatte so seine Zweifel am herkömmlichen Prinzip von Fitnessstudios: „Es ist doch irgendwie komisch, dass normale Fitnessstudios Strom brauchen, obwohl da ja Energie hergestellt wird.“
2016 baute der heute 47-Jährige gemeinsam mit einem Kollegen die alte Lagerhalle zum Fitnessstudio um. Sie schlossen Mühlen und Pressen an Geräte an, die es je nach Fitness ermöglichen, die gemahlene Polenta schneller oder langsamer in den angeschlossenen Behälter fließen zu lassen. „Jemand, der gut trainiert ist, schafft in einer Stunde fünf Kilo“, so Wieland.
Die sportliche Anstrengung lohnt sich hier gleich doppelt: Ein Fünftel des erstrampelten oder erruderten Ertrags dürfen die Sportelnden dann in selbst mitgebrachte Gefäßen abfüllen und mit nach Hause nehmen – sichtbares Resultat der eigenen Anstrengung.
Der GmüesEsel des Gumme-Hofs
Betreiber Wieland selbst wohnt mit seiner Familie auf dem Gumme-Hof, an sonniger Hanglage mit Aussicht auf die Gantrischkette, einer Bergkette im Berner Oberland. Dort leben und arbeiten drei Familien, die gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfer:innen auf 8 ha Land Obst und Gemüse anbauen und Ackerbau betreiben. Die daraus hervorgehenden Produkte transportiert er mit seinem E-Bike und dem Anhänger mit einer Nutzlast von bis zu 200 Kilo rund um Bern auf den Markt und an verschiedene Unverpackt-Läden in Bern.
Der Bio-Gemeinschaftshof in Thörishaus ist außerdem als Mitglied der „Ökonomisch Gemeinnützigen Gesellschaft“ (ogg.ch) beim Aufbau eines Ernte-Netzwerks beteiligt. Dabei sollen Produzierende, ehrenamtlichen Erntehelfer:innen und Verarbeitende verbunden werden.
Arbeit mit Sinn
Noch vor vier Jahren war Wieland als Elektro-Ingenieur tätig und verdiente damit gutes Geld. Doch die Allgegenwärtigkeit des Klimawandels brachte den Schweizer zum Umdenken: „Ich wollte nicht länger einfach nur ‘mitlaufen’ und mich als handlungsunfähiges Opfer von der ganzen Entwicklung sehen“, erzählt er heute.
Bevor er stolzer Betreiber des Fitnessstudios wurde, brachte er bereits andere Projekte an den Start: So sorgte er etwa dafür, dass das Fallobst auf unbewohnten Grundstücken zu Dörrfrüchten verarbeitet wurde.
„Mein Ziel ist es, vom Anbau bis zum Endprodukt mit möglichst einfachen Hilfsmitteln und eigener Muskelkraft zusammen mit anderen Menschen zu produzieren.“
Wieland gegenüber der Könizer Zeitung
Die Priorisierung seiner Werte und die Freude am Ausprobieren brachten ihn schließlich dorthin, wo er heute ist. Zwar sei der Lohn im Vergleich zu seinem einstigen Job geringer, doch nun hat er Sinnhaftigkeit gefunden.
Alle sportbegeisterten Nicht-Berner werden nun leider erfolglos weitere Ableger des GmüesEsels recherchieren. Denn: Eine große Fitness-Kette wolle er nicht aufbauen, so Wieland. Stattdessen würde er sich freuen, wenn sein Konzept Nachahmer:innen findet und die Idee auch anderswo Anklang findet. Schließlich würden von dem Konzept alle profitieren.
Beitragsbild: Thomas Wieland