Ein Londoner Kinderkrankenhaus erhält durch die Urheberrechte an Peter Pan zusätzliche Einnahmen für die Versorgung kranker Kinder.
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Vor dem Eingang des Great Ormond Street Hospital in London steht eine Statue. Ein Junge streckt den linken Arm nach oben. Eine kleine Fee umschließt den Zeigefinger seiner linken Hand, seine rechte hält er vor den Mund und pustet daraus Feenstaub. Peter Pan und Tinkerbell haben viele von uns früher nach Nimmerland begleitet. Doch mit dem renommierten Londoner Kinderkrankenhaus eint sie eine besondere Verbindung, denn der Autor der Erfolgsgeschichte schenkte Letzterem die Urheberrechte an seinem Werk. Bis heute erhält das Krankenhaus so Lizenzgebühren und damit wichtige Einnahmen für Investitionen in noch bessere Behandlungsmöglichkeiten für kranke Kinder.
Ein überraschendes Geschenk
Seit über 100 Jahren entführt Peter Pan Groß und Klein in eine Fantasiewelt voller Magie und Abenteuer. Geschaffen wurde die Figur des Jungen, der nicht erwachsen werden will, von Autor James Matthew Barrie. Er schrieb die Geschichte zunächst als Theaterstück. Die Uraufführung in London im Dezember 1904 war ein voller Erfolg, 1911 folgte die Romanadaption „Peter und Wendy“. Das Buch avancierte sofort zum Bestseller, heute ist die Geschichte von Peter Pan, Wendy Darling, den Lost Boys und ihren Abenteuern in Nimmerland auch durch die Disney-Verfilmung ein Klassiker.
Wie jedoch erhielt das Great Ormond Street Hospital (GOSH) die Rechte an der Erfolgsgeschichte?
Barrie war langjähriger Unterstützer des GOSH. Als ihn das Krankenhaus im Jahr 1929 bat, als Teil eines Komitees die Erweiterung des Gebäudes um einen neuen Flügel zu unterstützen, lehnte er ab. Er wollte „einen anderen Weg finden, um zu helfen“. Zwei Monate später erfuhr die erstaunte Klinikleitung, dass Barrie dem Krankenhaus alle Rechte an seiner Geschichte vermacht hatte. Er erklärte seine Entscheidung später mit den Worten:
„Es gab eine Zeit, in der Peter Pan als Invalide im Krankenhaus lag …, und er war es, der mich zu dieser kleinen Sache angestiftet hat.“
Von zehn kleinen Patient:innen zu über 250.000
Für das Great Ormond ist die Schenkung viel mehr als eine „kleine Sache“. Denn die Urheberrechte an Peter Pan gewähren dem GOSH eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle. Auch dadurch kann das Klinikum seinem Ruf als eines der besten und fortschrittlichsten Kinderkrankenhäuser weltweit gerecht werden.
Das GOSH wurde 1852 als Hospital for Sick Children (at Great Ormond Street) gegründet. Als erstes Krankenhaus in der englischsprachigen Welt war es spezifisch auf die medizinischen Bedürfnisse von Kindern ausgerichtet. Unter der Aufsicht von Gründer Dr. Charles West erhielten die kleinen Patient:innen dort nicht nur eine auf ihre Nöte angepasste Behandlung, sondern auch Unterkunft und Verpflegung.
Die Anfänge des Klinikums, das heute eines der größten Zentren für Pädiatrie ist, waren bescheiden: Nur zehn Betten gab es für die jungen Patient:innen. Heute werden im GOSH über 250.000 Patient:innen im Jahr behandelt, mehr als 40.000 davon stationär. Mit über 60 verschiedenen Spezialisierungseinrichtungen bietet es das umfassendste Behandlungsangebot für erkrankte Kinder im Vereinigten Königreich. Besonders bekannt ist das GOSH als Zentrum für Herztransplantation, Neuromedizin und Krebserkrankungen.
Geschichten der Hoffnung
Auf diesen Gebieten konnte das Krankenhaus, in Zusammenarbeit mit anerkannten Forschungseinrichtungen, im Laufe seiner Geschichte mehrere bahnbrechende Erfolge verzeichnen. Erst jüngst feierte das GOSH einen weiteren großen Durchbruch: Dank einer neuen Form der Zelltherapie gelang es ihnen erstmals, eine aggressive Form der Leukämie bei einer jungen Patientin effektiv zu behandeln.
Alle anderen Behandlungsmethoden waren bei der 13-jährigen Alyssa zuvor gescheitert. Ohne die von den Ärzt:innen des GOSH zusammen mit Wissenschaftler:innen der London University entwickelte Therapie wäre ihr nur die Palliativstation als Option geblieben. Doch die Behandlung zeigte schnell Erfolge, nach sechs Monaten konnten die Ärzt:innen keine Krebszellen mehr nachweisen. Und Alyssa konnte zu ihrer Familie zurückkehren.
Es sind Geschichten wie die von Alyssa, die ein wenig von der Magie Peter Pans in unserer Realität spürbar machen. Möglich werden sie auch durch die zusätzlichen Gelder, die das Copyright dem Krankenhaus bis heute einbringt. Zwar stammt der Großteil des Klinikbudgets vom britischen Gesundheitssystem. Zehn Prozent erhält das Krankenhaus jedoch nach wie vor über Spendenkampagnen und andere Einkommensquellen.
Dabei ist der Beitrag der Einnahmen aus dem Peter Pan Medienuniversum nach wie vor „signifikant“, so Christine de Poortere, die die Peter Pan Abteilung der krankenhauseigenen Stiftung Great Ormond Street Hospital Children’s Charity leitet. Wie hoch genau allerdings, bleibt geheim – gemäß dem Wunsch Barries, an den sich das Krankenhaus weiterhin hält. Sicher jedoch ist: Gerade im Gesundheitssektor kann jedes zusätzliche Pfund entscheidend sein.
Einzigartiges Copyright für Peter Pan
Umso schöner, dass dem GOSH diese ungewöhnliche finanzielle Unterstützung erhalten bleibt. Und zwar für immer. Für gewöhnlich gehen die Rechte an einem Werk ab einem bestimmten Zeitpunkt – abhängig vom jeweiligen Land oftmals einige Dekaden nach dem Tod des Urhebers – in die öffentliche Domäne über. Nun ist aber kaum etwas an der Beziehung zwischen dem Londoner Kinderkrankenhaus, dem Helden Peter Pan und seinem Autor gewöhnlich und das gilt auch für das Copyright. Als nämlich im Jahr 1987, 50 Jahre nach Barries Tod, das Urheberrecht zum ersten Mal auslief, erhielt das GOSH Unterstützung von (fast) ganz oben.
Auf Vorschlag des damaligen Premierministers Lord Callaghan verabschiedete das House of Lords 1988 eine Sonderregelung des britischen Copyrights. Diese spricht dem Krankenhaus innerhalb des Vereinigten Königreichs auf unbegrenzte Dauer die Rechte an allen Adaptionen der Geschichte von Peter Pan zu, sei es in Form von Buch, Film, Theater- oder Radioproduktion. Die Regelung ist bis heute die einzige ihrer Art – und für das Krankenhaus ähnlich magisch wie Tinkerbells Feenstaub.
Neverland am Great Ormond Krankenhaus
Die besondere Beziehung zwischen dem renommierten Kinderkrankenhaus und Peter Pan ist inzwischen sogar selbst auf Leinwand gebannt: Im 2015 veröffentlichten Fernsehfilm „Peter and Wendy“ reist die junge Lucy, Patientin am GOSH, in der Nacht vor ihrer Herztransplantation im Traum nach Nimmerland. Der Film gewann einen Emmy bei den Kinder-Festspielen 2016. Das Krankenhaus gewinnt jedoch nicht nur durch externe Produktionen des berühmten Klassikers, sondern hat auch schon eigene Adaptionen veröffentlicht, darunter ein Bilderbuch oder das Kinderbuch „Peter Pan in Scarlet“, eine Fortsetzung von Barries ursprünglicher Geschichte. Es veranstaltet zudem regelmäßig Theaterinszenierungen des Stücks, sowohl in Zusammenarbeit mit britischen Theatergruppen als auch innerhalb des Krankenhauses. Besonders an der krankenhauseigenen Schule ist das Spiel fester Teil des Programms.
Apropos fester Teil: Inzwischen gibt es am Great Ormond Krankenhaus sogar eine eigene Peter Pan Station. Dort werden vorwiegend Operationen an Hals, Nase, Ohr oder Mund vorgenommen, darunter auch plastische Eingriffe und Implantationen von Hörprothesen. Platz für 18 kleine Patient:innen gibt es auf der Station, die meisten von ihnen sind unter fünf Jahre alt.
Ein bisschen Feenstaub
Die Geschichte des Great Ormond Street Hospitals hat in mancherlei Hinsicht selbst etwas von der Magie einer Reise nach Nimmerland. Von der unverhofften Übertragung der Urheberrechte durch J. M. Barrie bis zum Einsatz der Mitglieder des House of Lords scheint das Kinderkrankenhaus mit der ein oder anderen Prise magischen Feenstaubs bedacht worden zu sein. Äußerst real sind jedoch die Vorteile, die sich durch die Lizenzgebühren ergeben und die dazu beitragen, dass weiterhin zehntausende kranke Kinder und ihre Familien jedes Jahr von der besten medizinischen Behandlung in Londons ältestem Kinderkrankenhaus profitieren. Und da die Fantasiewelt Peter Pans weiterhin Jung und Alt begeistert, wird wohl ein bezauberndes Paradox noch viele Jahre bestehen: Dass der Junge, der nie erwachsen werden will, nun kranken Kindern dabei hilft, genau das zu tun.
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