Kunst für die Gesundheit

Museumsbesuch auf Rezept in Brüssel

von | 13. Oktober, 2022

Zur Förderung der mentalen Gesundheit können Patient:innen des Brugmann-Krankenhauses sich kostenlose Besuche für fünf Brüsseler Museen verschreiben lassen.

An der Frage “Was ist Kunst?” scheiden sich die Geister. Was für manche formvollendet ist, kann für andere sprichwörtlich “weg”. Kunst ist alles von hochgradig emotional zu völlig unzugänglich, aber immer persönlich. Und: heilsam. Das zumindest ist die Auffassung der Stadt Brüssel. Seit dem 12. September können Psychiater:innen ihren Patient:innen dort im Rahmen eines Pilotprojektes Rezepte für einen kostenlosen Museumsbesuch ausstellen. So will die Stadt zur Förderung der mentalen Gesundheit beitragen.

Pilotprojekt für die Psyche

“Jetzt ist die Zeit dafür”, ist sich Delphine Houba sicher. Die Brüsseler Kulturschöffin ist die treibende Kraft hinter der Partnerschaft zwischen der Stadt Brüssel und dem Brugmann-Krankenhaus, die die Museumsbesuche auf Rezept möglich macht. “Das Coronavirus hat uns daran erinnert, dass Kultur essenziell für die mentale Gesundheit ist”, fügte sie in einem Interview mit dem Magazin Politico hinzu.

Bereits vergangenes Jahr war daher ein erstes, dreimonatiges Pilotprojekt für Museumsbesuche zur Förderung der mentalen Gesundheit im Gespräch. Mitte September  wurde das Projekt nun Wirklichkeit und soll zunächst für ein halbes Jahr laufen. Anhand der Ergebnisse wird anschließend bewertet, ob das Projekt auf weitere Museen wie das Royal Museum oder das Bozar Modern Art Museum ausgeweitet werden kann, die nicht unter direkter Verwaltung der Stadt Brüssel stehen, sondern unter der des Bundes. 

Von Manneken Pis bis in die Abwasserkanäle

Derzeit beteiligen sich fünf kulturelle Einrichtungen an der Initiative, darunter die GardeRobe Manneken Pis, in der Besuchende das ikonische “pissende Männlein”, das inzwischen zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist, in verschiedensten Outfits aus aller Welt bestaunen können. Auch das City Museum, das Mode- und Spitzenmuseum und das CENTRALE für Gegenwartskunst öffnen ihre Türen auf Rezept, genau wie das Musée des Égouts. Der klingende Name bedeutet auf Deutsch nichts anderes als “Abwassermuseum” und tatsächlich wird Neugierigen dort eine Tour durch die Kanäle des Brüsseler Abwassersystems geboten.

Bis zu fünfmal können Patient:innen sich Eintritt in eines der Museen verschreiben lassen und dabei bis zu drei Begleitpersonen ihrer Wahl mitnehmen. Nicht vorgesehen ist allerdings eine therapeutische Begleitung, wie Houba konkretisiert: “Die Menschen werden keine besondere Führung oder irgendetwas Besonderes haben, weil wir nicht wollen, dass sie stigmatisiert werden oder sich anders fühlen.” Darum gibt es für die Museen auch klare Vorgaben, die den Schutz der Privatsphäre der Patient:innen gewährleisten.

Für Delphine Houba bietet der neue Ansatz großes Potenzial in zweierlei Hinsicht: “Wir wollen auf der einen Seite einer vulnerablen Gruppe der Bevölkerung Zugang zur Kultur geben. Auf der anderen Seite wollen wir der Medizin ein zusätzliches Mittel zur Verfügung stellen, neben den bereits existenten therapeutischen Maßnahmen.” Sie ist dabei fest von den positiven Effekten der Museumsbesuche überzeugt: “Es ist bewiesen, dass die Kunst förderlich für unsere Gesundheit sein kann, sowohl körperlich als auch mental.” 

Ein Rezept voller Vorteile – und ohne Nebenwirkungen

Mit dieser Ansicht ist Houba nicht alleine. Im Jahr 2019 untersuchte eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO, ob es einen messbaren Einfluss der Kunst auf die Verbesserung der seelischen und körperlichen Gesundheit gibt. Die Antwort der Forscher:innen: ein klares Ja! “Es gibt umfassende Belege zu den gesundheitlichen Vorteilen der Kunst“, heißt es in ihrem Bericht. Und weiter: “Kunst bietet vielversprechende Möglichkeiten, schwierige oder komplexe Probleme anzugehen, für die derzeit noch keine adäquaten Lösungen bestehen”.

Heißt also: wenn wir mit unseren medizinischen Fähigkeiten allein nicht weiterkommen, kann der Ansatz über die Kunst der Schlüssel sein. Doch damit nicht genug, denn laut der Untersuchung bieten die kunsttherapeutischen Maßnahmen sogar ökonomische Vorteile. Die besondere persönliche Relevanz, die Kunst in ihrer Auseinandersetzung mit dem Individuum entfaltet, könnte zudem, so die Erkenntnis der WHO, ein Weg sein, Minderheiten oder über den regulären Weg schwer erreichbare Gruppen anzusprechen.

Das Potenzial, das in einer Zusammenarbeit zwischen Medizin und den Künsten schlummert, ist also bedeutend. Denn auch wenn eine Exkursion in das Brüsseler Abwassersystem vielleicht kein Allheilmittel darstellt, so ist ein Museumsbesuch doch so gut wie immer eine bereichernde Erfahrung. Und: Er kommt mit Sicherheit ohne Risiken und Nebenwirkungen. 

Ein Moment des Glücks

Mit dem Projekt gelingt Brüssel eine “große Premiere in Europa”, wie Délphine Houba stolz twitterte. Auf der anderen Seite des großen Teiches gibt es die Idee jedoch schon länger. Denn in der kanadischen Großstadt Montréal profitieren Patient:innen bereits seit mehreren Jahren von Museumsbesuchen auf Rezept.

Möglich macht das eine Kooperation zwischen der Vereinigung der frankophonen Mediziner:innen Kanadas (Médecins francophones du Canada, kurz MFdC) und dem Musée des Beaux-Arts de Montréal (MBAM). Im November 2018 starteten die beiden Institutionen ein Pilotprojekt, das es den Mitgliedern des MFdC erlaubt, ihren Patient:innen jedes Jahr bis zu 50 Rezepte für einen kostenlosen Besuch des Museums für Hohe Kunst auszustellen.Ein solches Rezept gilt dabei für bis zu zwei Erwachsene und zwei Kinder.

Das Pilotprojekt war ein Erfolg: Mehr als 185 der kunstverschreibenden Rezepte wurden innerhalb der ersten sechs Monate eingelöst. So wurde das Konzept verstetigt. Es ist nun fester Teil des Angebots des Museums, das als eines der ersten weltweit einen expliziten Fokus auf die Verschränkung von Kunst und Therapie legt. Seit 2017 hat das Museum mit Stephen Legari sogar einen eigenen Kunsttherapeuten, der das Angebot für kunsttherapeutische Behandlungen immer weiter entwickelt. So gibt es im MBAM inzwischen Angebote für Menschen mit psychischen Krankheiten, Autismus, Essstörungen, Alzheimer, Überlebende von (Brust)Krebs und ältere Menschen.

Dabei bietet die Kunst etwas, was oft wohl genau das ist, was in der ärztlichen Behandlung noch fehlt. Wie Hélène Boyer, Präsidentin des MFdC, formuliert: “Wir fragen uns immer: Was kann ich noch tun? Von nun an können wir unseren Patient:innen zumindest einen Moment der Glücks bieten.”

Beitragsbild: geralt | pixabay.com

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Luisa Vogt

Luisa Vogt ist stellvertretende Print-Chefredakteurin beim Good News Magazin und liebt Sprachen, Reisen und das kennenlernen verschiedenster Kulturen. Beim Good News Magazin lebt sie ihre Leidenschaft für Sprache und für spannende, schöne Berichte aus aller Welt - weil die Welt viel mehr realistischen Idealismus braucht. Außerdem studiert sie nach ihrem Bachelor in Englisch und Französisch inzwischen im Master Asien- und Afrikastudien in Berlin und arbeitet als Lerntherapeutin.

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