Wenn falsche Bestellungen genau richtig sind

das ist ein GNM+ ArtikelOffenheit und Lächeln gegen Demenz im Restaurant of Mistaken Orders

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von | 26. September, 2023

Im japanischen Restaurant of Mistaken Orders zeigen Kellner:innen mit Demenz, dass sie weiterhin Teil der Gesellschaft sein können.

“Du denkst vielleicht, es ist verrückt. Ein Restaurant, das nicht einmal deine Bestellung richtig hinbekommt”, heißt es auf der Website des Restaurant of Mistaken Orders. Es ist eine ungewöhnliche Art, sich selbst zu bewerben, doch sie schafft den richtigen Ton. Denn so sind die Gäste offen für die Erfahrung, die sie erwartet. Und ein Besuch im Restaurant of Mistaken Orders ist nun einmal genau das: eine ungewöhnliche Erfahrung. Denn all seine Kellner:innen leiden unter Gedächtnisverlust. Mit seinem ungewöhnlichen Ansatz will das Projekt für mehr Wissen und Verständnis für die Erkrankung sorgen.

Das Restaurant of Mistaken Orders: Wie alles begann

Am Anfang stand, wie könnte es anders sein, eine falsche Bestellung. Beim Besuch einer Pflegeeinrichtung für ältere Menschen mit Demenz gab es beim gemeinsamen Mittagessen statt des erhofften Hamburger Steaks doch Gyozas – doch es schien niemanden zu stören. 

So lautet die Entstehungsgeschichte hinter dem Restaurant of Mistaken Orders, das seitdem das Ziel verfolgt, genau diese Toleranz für Fehler zu erzeugen und dafür einen  warmen zwischenmenschlichen Umgang gerade mit demenzkranken Menschen zu fördern: “Wir wollen, dass die Gesellschaft sich ändert und wir fürsorglicher und entspannter werden, sodass wir, ob mit oder ohne Demenz, harmonisch miteinander leben können”, formuliert es Gründer Shiro Oguni. 

Er platzierte die Warnung vor möglichen Fehlern darum schon im Namen. So kommen die Gäste voller Offenheit. Sie gehen meist mit einem breiten Lächeln, immer aber mit einem vollen Bauch. Denn, so wird den hungrigen Gästen auf der Website beruhigend versichert: “Sogar wenn eure Bestellung falsch gebracht wird, alles auf unserer Karte ist super lecker und einzigartig. Das garantieren wir euch”.

Ein Lächeln auf allen Gesichtern

Im September 2017 öffnete das Restaurant of Mistaken Orders zum ersten Mal seine Türen, finanziert wurde die feierliche Eröffnungsverastaltung größtenteils durch ein Crowdfunding. Seitdem gibt das Restaurant of Mistaken Orders in unterschiedlichen Abständen als Pop-Up Event in verschiedenen Lokalen in Japan seinen Besucher:innen die Gelegenheit für eine ganz besondere Restauranterfahrung.

Ihre Kellner:innen sind nicht mehr so flink auf den Beinen, wie sie es aus Restaurants normalerweise gewohnt sind. Auch die Aufnahme der Bestellung dauert länger, wird sie doch mit großer Sorgfalt und häufig unter mehrmaligem Nachfragen auf einem Block notiert anstatt auf einem Handy oder Tablet, deren Bedienung eine Herausforderung darstellt. Es kann auch vorkommen, dass der heiße Kaffee mit Strohhalm serviert wird. Dafür entsteht eine Atmosphäre der Rücksichtnahme und des Wohlwollens. Und es wird unglaublich viel gemeinsam gelacht.

Das Restaurant of Mistaken Orders stellt sich vor.
mistakenorders.com/en/home.html

Dass das Konzept funktioniert, zeigen die Zahlen nach der Auftaktveranstaltung. Denn dabei wurden zwar 37 Prozent der Bestellungen falsch aufgenommen. 99 Prozent der Besucher:innen waren jedoch trotzdem zufrieden. Und 95 Prozent glauben, dass das Restaurant of Mistaken Orders dazu beiträgt, das Verständnis für Demenz zu fördern.

Genau das ist das Ziel, betont Oguni: “Bei diesem Restaurant geht es nicht darum, ob die Bestellungen falsch ankommen oder nicht, das Wichtige ist die Interaktion mit den demenzkranken Menschen”.

ZITAT: “Das Leben mit Demenz wird normalerweise als ein hartes, schwieriges und hoffnungsloses Leben wahrgenommen. Aber schaut euch das Lächeln auf all den Gesichtern hier an!” – Shiro Oguni 

Denn die meisten Menschen hätten eine falsche Vorstellung von einem Leben mit Demenz, führt Oguni aus. Dabei führe der Gedächtnisverlust eben nicht automatisch in die Abhängigkeit. Gerade mit der richtigen Unterstützung könnten demenzkranke Menschen noch lange am gesellschaftlichen Leben teilhaben und dazu beitragen.

Mit Lachen, Jubeln und Scherzen gegen das Stigma

Das stellen die Kellner:innen im Restaurant of Mistaken Orders unter Beweis, im März 2019 sogar unter den Augen des damaligen Gesundheitsministers bei einer Veranstaltung im Restaurant des Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Soziales. Dabei wurden sie übrigens auch zum ersten Mal ganz offiziell als Servicekräfte eingestellt und erhielten am Ende des Tages ihre wohlverdiente Bezahlung. 

Viel wichtiger sind jedoch die wunderschönen Geschichten, die oft im Laufe des Abends entstehen. Beispielsweise, als eine Frau sich ganz selbstverständlich mit an den Tisch setzt, den sie eigentlich bedienen soll und sich in der Runde sichtlich wohlfühlt. Oder wenn der ganze Tisch jubelt, wenn die Bestellung richtig aufgeschrieben und gebracht wird.

Durch den menschlichen Kontakt ermöglicht es der Restaurantbesuch, das Wissen darum, wie Menschen im Alter und mit Demenz leben, zu verbessern und eine neue Wärme im Umgang mit den Betroffenen zu schaffen. In Japan, dem Land mit der ältesten Gesellschaft der Welt, stößt die Idee darum auf viel positiven Widerhall. 

Doch auch international weckt die innovative wie herzerwärmende Idee Begeisterung. So wurde das Konzept 2019 mit dem Cannes Lion ausgezeichnet. Und im Mai diesen Jahres hatte das Restaurant of Mistaken Orders seinen ersten Auftritt außerhalb Japans: In Kooperation mit The Salvation Army Peacehaven war es für zwei Tage als Pop-up-Restaurant beim Ageing Asia 2023 – World Ageing Festival vertreten.

“Das ist eine wundervolle Gelegenheit, Menschen, die mit Demenz leben, wieder Selbstbestimmtheit zu geben. Sie sind in der Lage, als Mitglieder der Gesellschaft einen Beitrag zu leisten und wir wollen ihnen Bestätigung für ihren Selbstwert und ihre Würde geben, mit der Hilfe der Öffentlichkeit”, so Low Mui Lang, Geschäftsführerin von The Salvation Army Peacehaven. Wenn es nach der Organisation geht, soll es bald in Zusammenarbeit mit Freiwilligen und Unternehmen auch in Singapur ein Café nach dem Vorbild des Restaurant of Mistaken Orders geben.

Beitragsbild: Joey Huang via Unsplash.

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    Luisa Vogt

    Luisa Vogt ist stellvertretende Print-Chefredakteurin beim Good News Magazin und liebt Sprachen, Reisen und das kennenlernen verschiedenster Kulturen. Beim Good News Magazin lebt sie ihre Leidenschaft für Sprache und für spannende, schöne Berichte aus aller Welt - weil die Welt viel mehr realistischen Idealismus braucht. Außerdem studiert sie nach ihrem Bachelor in Englisch und Französisch inzwischen im Master Asien- und Afrikastudien in Berlin und arbeitet als Lerntherapeutin.

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