Fortschritte der Krebsforschung: Ein Impfstoff gegen Brustkrebs und die Enthüllung von krebsfördernder ”Schurken-DNA” eröffnen neue Behandlungsmöglichkeiten.
Die Krebsforschung hat In den letzten Jahren viele wichtige Fortschritte erzielt, besonders in der Diagnose: Durch neue Bluttests sind über 50 Krebsarten im Frühstadium erkennbar und Ameisen können ein kostengünstiges Mittel sein, um Krebszellen im wahrsten Sinne des Wortes zu erschnüffeln. Nun haben Forscher:innen gleich mehrere Durchbrüche erzielt, die die zukünftige Behandlung von Krebserkrankungen revolutionieren könnten.
Erste erfolgreiche Impfung gegen Brustkrebs
Impfstoffe gegen alle verschiedenen Formen von Krebs, klingt das nicht zu schön, um wahr zu sein? Nicht mehr lange, hoffen Wissenschaftler:innen. Denn in der Krebsforschung wird schon seit Jahrzehnten an der Entwicklung eben solcher Impfstoffe gearbeitet. Erst Anfang des Jahres berichtete ein Team von US-amerikanischen Forschenden, einen Weg gefunden zu haben, Krebszellen in Anti-Krebs-Wirkstoffe zu verwandeln. So könnten bestehende Tumore bekämpft und ihr Wiederauftreten verhindert werden. In Testungen an Mäusen zeigt der innovative Ansatz vielversprechende Resultate.
Nur wenige Wochen später vermeldeten Wissenschaftler:innen der University of Washington School of Medicine (UWSM) dann einen bahnbrechenden Erfolg im Einsatz von Impfstoffen am Menschen: Die erste erfolgreiche Impfung gegen Brustkrebs. Wie die Forschenden in einem jüngst veröffentlichten Bericht im Journal JAMA Oncology beschreiben, konnte das von ihnen entwickelte Präparat eine starke Immunantwort gegen das Protein nachweisen, welches für das Wachstum der Krebszellen verantwortlich ist. Sie sind optimistisch, dass Impfstoffe gegen Brustkrebs in wenigen Jahren in den Kliniken zur Behandlung eingesetzt werden können.
Wie funktioniert die Impfung?
Seit über 20 Jahren arbeitet das Team um Studienleiterin Dr. Mary L. Disis an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen einen bestimmten Typ des Brustkrebs, der als HER2-positiver Brustkrebs bezeichnet wird. HER2, in der Langform Humaner Epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor 2, ist ein Protein auf der Zelloberfläche, das Wachstumssignale an die Zelle abgibt. Unter normalen Umständen tragen die Eiweißteilchen dazu bei, dass sich die Zellen der Brust gesund teilen und entwickeln. Liegen jedoch zu viele der Rezeptoren auf der Zelloberfläche vor, kann dies zu einer deutlich erhöhten Teilungsrate der Zellen und damit zu unkontrolliertem Wachstum führen.
Eine solche HER2-Überproduktion kommt in mindestens 20 Prozent aller Brustkrebstumore vor. HER2-positiver Brustkrebs ist besonders aggressiv, da die Proteine eine schnellere Vermehrung der Krebszellen begünstigen. Zudem besteht ein erhöhtes Risiko, dass Brustkrebs dieses Typs nach erfolgreicher Behandlung wiederkehrt.
Die Impfung setzt nun genau an dieser Stelle an. Der Wirkstoff funktioniert auf DNA-Basis, enthält also die genetischen Informationen zum Bau von Antigenen. Der Körper produziert als Reaktion auf diese Antigene passende Antikörper, die sich an die HER2-Bindestelle anheften und so das unkontrollierte Wachstum der Krebszellen verhindern.
Erfolg auf ganzer Linie
Im Rahmen der Studie wurde die Wirkung des Impfstoffes auf insgesamt 66 Frauen mit Brustkrebs des Typs HER2 im fortgeschrittenen Stadium nach vorangegangener Behandlung untersucht. Den Frauen wurden jeweils drei Gaben des Impfstoffs verabreicht. Bezüglich der Dosierung wurden drei Gruppen gebildet, die je nachdem 10, 100 oder 500mg des Präparats erhielten. Seine stärkste Wirkung, so die Erkenntnis der Wissenschaftler:innen, zeigt der Wirkstoff bei einer mittleren Dosierung.
Die Erkenntnis, dass der Impfstoff eine Immunantwort bewirkt, ist nicht der einzige Erfolg. Laut Disis zeigen die Ergebnisse zudem, “dass die Impfung sehr sicher ist”: Nur bei der Hälfte der Frauen zeigten sich leichte Nebenwirkungen wie Rötungen und Schwellungen an der Einstichstelle, manchmal leichtes Fieber oder grippeähnliche Symptome.
Besonders hoffnungsvoll stimmt aber wohl die Erkenntnis, dass es den Teilnehmerinnen der Studie im Überwachungszeitraum deutlich besser ging als anderen Patientinnen mit derselben Diagnose in einem ähnlichen Stadium. Normalerweise verstirbt die Hälfte aller an HER2-positivem Brustkrebs erkrankten Frauen in einem Zeitraum von fünf Jahren. Von den Probandinnen der Studie leben nach mehr als zehn Jahren noch 80 Prozent.
Impfungen, die Behandlung der Zukunft?
Umso mehr Grund für Disis, schnell die nächsten Phasen der Untersuchung einzuläuten. Für sie sind Impfungen die Zukunft der onkologischen Behandlung, nicht nur, was Brustkrebs betrifft. “Es gibt viele Gruppen, die gerade an ‘next-gen’ Impfungen mit sehr effektiven Technologien zur Verabreichung und Verstärkung der Arzneistoffe arbeiten”, erklärt sie. Allein an ihrem Institut gibt es Programme für die Entwicklung von Impfstoffen gegen Prostatakrebs, Eierstockkrebs oder Darmkrebs.
Mit ihrer Überzeugung ist Disis nicht allein. Den meisten von uns sind mRNA-Impfstoffe erst seit ziemlich genau zwei Jahren ein Begriff. Doch schon seit rund 30 Jahren wird erforscht, wie Wirkstoffe auf mRNA-Basis in der Krebsbehandlung eingesetzt werden können. Der Fokus auf mRNA-Impfstoffen in der Covid-19 Pandemie hat auch die Krebsforschung vorangebracht. Nun könnten mRNA-Impfstoffe schneller als gedacht zu einem bahnbrechenden Faktor in der Behandlung von Krebserkrankungen werden.
Individuelle Behandlungsmöglichkeit durch mRNA-Wirkstoffe
Vereinfacht gesagt enthalten Impfstoffe auf mRNA-Basis, wie der Impfstoff gegen Brustkrebs auf DNA-Basis, eine Art Bauplan für die Herstellung von Antigenen. Sobald die Zellen diese Antigene produzieren, erkennt unser Immunsystem sie als Fremdkörper und bekämpft sie mit Antikörpern.
Einer der großen Vorteile von mRNA-Wirkstoffen ist, dass mRNA leicht zu produzieren ist und Impfstoffe dementsprechend schnell entwickelt werden können, wie die Corona-Pandemie unter Beweis gestellt hat. Für die Krebsforschung bedeutet das, dass es mit verhältnismäßig geringem Aufwand und in relativ kurzer Zeit möglich ist, individuell angepasste Impfstoffe zu produzieren. Sie enthalten die spezifischen Merkmale eines bestimmten Tumors, sodass die Antikörper an genau den richtigen Stellen ansetzen können, um die Krebszellen zu bekämpfen.
Die ersten Studien zur Testung von mRNA-Impfstoffen laufen bereits, Vorreiter sind dabei biotech-Unternehmen mit Pandemieerfahrung. Anfang Januar verkündete BioNTech das ambitionierte Ziel, in Partnerschaft mit der britischen Regierung bis 2030 bis zu 10.000 Krebspatient:innen individuelle mRNA-basierte Behandlungen ermöglichen zu wollen; die erste Phase der klinischen Studie soll noch dieses Jahr anlaufen. Konkurrent Moderna ist schon einen Schritt weiter. Im Dezember 2022 veröffentlichte das Unternehmen Ergebnisse einer Studie zu einer individuellen Hautkrebstherapie basierend auf der mRNA-Technologie. Demnach konnte durch den zusätzlichen Einsatz des mRNA-Wirkstoffs das Risiko der Proband:innen, erneut an Krebs zu erkranken oder daran sterben, um 44 Prozent gesenkt werden.
Die Ergebnisse zeigen das große Potenzial der Impfung, das Leben von Patient:innen gerade im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit deutlich zu verlängern. Noch dazu könnten durch die individuelle Behandlung Nebenwirkungen, wie sie beispielsweise bei einer Chemotherapie auftreten, drastisch reduziert werden. Und ganz besonders entscheidend: Die Zellen, die für die Produktion der Antikörper verantwortlich sind, bleiben im Körper ein Leben lang erhalten. Kehrt der Krebs in derselben Form zurück, kann er so bereits im Anfangsstadium vom Immunsystem erkannt und bekämpft werden.
Die größte Herausforderung in der Krebsforschung ist es nun, die relevantesten Treiber für die Entstehung und Entwicklung von Krebszellen zu identifizieren, um den passenden Wirkstoff zu entwickeln. Doch auch hier gibt es Fortschritte. Denn die Entdeckung einer “Bond-Villain”-DNA könne die Krebsbehandlung revolutionieren, wie der Guardian titelte.
Was steckt hinter der “Schurken”-DNA?
Als “Bond-Villain”-DNA bezeichnet eine Gruppe von Forscher:innen der Initiative Cancer Grand Challenges kleine Teile der DNA, die nicht fest in unsere DNA eingebunden sind, sondern vielmehr in Form kleiner DNA-Ringe frei in den Zellen vorliegen. Diese sogenannte extrachromosomale DNA, kurz ecDNA, ist Wissenschaftler:innen seit über 50 Jahren bekannt. Erst kürzlich jedoch entdeckten sie dank neuer Technologien: ecDNA ist ein signifikanter Treiber für die Verbreitung und Entwicklung von Krebszellen. Laut Paul Mischel, Professor an der Stanford University und einer der führenden Forschenden hinter den neuen Erkenntnissen, liegt sie bei rund der Hälfte aller bekannten Krebserkrankungen des Menschen und bei mindestens einem Viertel aller Krebspatient:innen vor.
Das allein jedoch macht die kleinen DNA-Ringe noch nicht zum “Bond-Villain”. Diesen Titel verdienen sie vielmehr aufgrund ihrer perfiden Fähigkeit, die Entwicklung von Krebserkrankungen unvorhersehbar zu machen. Denn laut den Forscher:innen ist ecDNA für viele Phänomene verantwortlich, die man sich bislang nicht erklären konnte: unvorhergesehene Verbreitung und Wachstum von Krebszellen, plötzliche Resistenz gegen zuvor wirksame Behandlungen, oder ein überraschendes Wiederkehren eines besiegt geglaubten Tumors.
Die Krebsbehandlung revolutionieren
Indem sie ecDNA als den entscheidenden Faktor für diese Entwicklungen identifiziert haben, ist den Forschenden der entscheidende Durchbruch gelungen, so Mischel: “Die Entdeckung, wie diese DNA-Teilchen in unseren Körpern agieren, ist ein Gamechanger. Wir glauben, dass sie für eine große Zahl der fortgeschrittenen und schwersten Krebserkrankungen verantwortlich sind, von denen Menschen heute betroffen sind. Wenn wir es schaffen, ihre Aktivitäten zu blockieren, können wir die Verbreitung dieser Krebserkrankungen verhindern.” Durch die Entdeckung der Rolle von ecDNA in der Entwicklung insbesondere aggressiver Krebsformen eröffnen sich ihm zufolge komplett neue Möglichkeiten, die zukünftige Behandlungen revolutionieren können.
Die Identifizierung der krebsfördernden Schurken-DNA, neue Möglichkeiten für frühzeitige Diagnosen und die jüngsten Erfolge bei der Herstellung von Krebsimpfstoffen sind enorme Fortschritte. Sie zeigen, dass die jahrelangen Bemühungen der Krebsforschung Früchte tragen. Noch wichtiger: Sie geben Hoffnung, dass es in naher Zukunft zielgerichtete Behandlungsmethoden geben wird, die die Lebensqualität der Betroffenen steigern, ihnen Zeit schenken und sogar Leben retten.
Beitragsbild: Ave Calvar Martinez via Pexels