Ihre Lebensgeschichte ist schwindelerregend und beginnt in einem Favela in Brasilien. Heute steht sie auf den großen Bühnen der Welt.
Nicht viele Menschen bekommen die Gelegenheit, vor Vertreter:innen der Vereinten Nationen zu sprechen und gehört zu werden. Noch weniger Menschen können von sich behaupten, dies bereits mit fünfzehn Jahren getan zu haben. Domitila Barros schon. Im Jahr 2000 flog sie aus ihrer Heimat, einem Favela in Brasilien, nach Florida und präsentierte dort ihr soziales Engagement und ihre Vorschläge für das Leben im 21. Jahrhundert. Sie war neben 1.999 anderen jungen Menschen von der UNESCO für das Programm “Millenium Dreamer” ausgewählt worden und wurde für ihre Rede mit dem Millenium Dreamer Award ausgezeichnet. Ihr weiterer Lebensweg wirkt rückblickend betrachtet wie vorgezeichnet.
Domitila Barros ist Aktivistin, Soziologin und Politologin, Model, und Greenfluencerin. Im Jahr 2022 wurde sie als bisher erste und einzige Migrantin of Colour zur Miss Germany gewählt. Dieses Jahr zeichnete die World Influencers Association (WIBA) sie für ihre Arbeit als “Sustainability Influencerin” mit über zwei Millionen Follower:innen auf Instagram und TikTok aus. Im Rahmen der renommierten Filmfestspiele in Cannes erhielt sie den Award als “Most Influential Person” in der Kategorie Nachhaltigkeit.
Die WIBA Awards der World Influencers Association sind eine globale Auszeichnung für die besten Meinungsführer:innen, Social-Media-Persönlichkeiten und Talente aus der ganzen Welt und bieten Domitila Barros eine Weltbühne für ihr Engagement. In ihren knapp 40 Lebensjahren hat sie bereits so viel erlebt, getan, bewegt, wie manche Menschen in ihrem ganzen Leben nicht.
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Mehr InformationenEine Kindheit mit dutzenden Geschwistern
Geboren wurde Domitila Barros im Favela “Linha do Tiro” (auf Deutsch: “Schusslinie”) in der Stadt Recife in Brasilien. In dem Favela gibt es keine Infrastruktur, kein fließendes Wasser, keine Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Polizeistationen, geschweige denn Spielplätze. Armut, Kriminalität und Gewalt gehören zum Alltag der etwa 25.000 Menschen dort, auch zu dem der Kinder. Viele von ihnen sind obdachlos und müssen arbeiten, Essen im Müll sammeln oder betteln, um an Essen für sich und ihre Familien zu kommen.
“Alle meine Freunde hatten Hunger. Alle meine Freunde hatten keine Sneaker, alle meine Freunde hatten keine frischen Klamotten. Das heißt, wir wussten nicht, dass wir arm sind. Wir wussten nicht, dass wir unter der Armutsgrenze leben. Weil das war unsere Realität.”
Domitila Barros im Weltaufgang-Podcast
Es waren die Eltern von Domitila Barros, die vor 40 Jahren das Straßenkinderprojekt CAMM gründeten, das “Centro de atendimento a meninos e meninas”, ein Zentrum für die Betreuung von Jungen und Mädchen. Auch sie wuchsen im Favela auf und waren in ihren jeweiligen Familien die Ersten, die studierten.
Die soziale Einrichtung ermöglicht den häufig traumatisierten Kindern damals wie heute eine Kindheit im Favela und bietet ihnen dafür einen sicheren Raum. In dem Zentrum finden etwa Lernhilfen, Freizeitangebote, Elterngespräche und Mittagessen statt. Schon vor Domitilas Geburt brachten ihre Eltern anderen Kindern Lesen und Schreiben bei. Domitila und ihr Bruder wuchsen mit dutzenden anderen Kindern auf, die wie Geschwister für sie waren.
“Ich hatte immer Spielkameraden, mir war nie langweilig. Ich bin quasi beim Spielen eingeschlafen.”
Domitila Barros im Weltaufgang-Podcast
Die eigene Geschichte in die Hand genommen
Mit sieben begann Domitila zum Schauspielunterricht zu gehen und lernte dort, sich ihre eigene Realität zu kreieren. Das half ihr auch, Schicksalsschläge zu verarbeiten. Als 12-Jährige musste Domitila mit ansehen, wie ihre beste Freundin bei einer Schießerei in die Schusslinie geriet und starb. Wie man ein solches Erlebnis verkraftet?
Im Weltaufgang-Podcast erzählt sie: “Es war meinen Eltern danach sehr wichtig, mir beizubringen, dass ich meine Geschichte entweder selber in die Hand nehmen und komplett ändern kann, damit andere Kinder nicht mehr ermordet werden und in Sicherheit leben können. Oder, dass ich ein Opfer meiner eigenen Geschichte sein und mich hinter dem Trauma verstecken kann, das ich erlebt habe.”
Domitila wandelte ihr Trauma in Aktivismus und Kraft um. Sie brachte den Kindern im Straßenkinderprojekt mit Hilfe von Schauspiel und Tanz Lesen und Schreiben bei und unterstützte ihre Eltern auch sonst tatkräftig. Sie wurde zur Botschafterin des Straßenkinderprojekts, sprach etwa mit Bürgermeister:innen, Bischhöfen und mit den Medien darüber und setzte sich für die Sicherheit und die Rechte der Kinder ein.
„In dem Schauspiel-Projekt habe ich gelernt: ‘Ich bin what the fuck I wanna be’. Wenn ich Wissenschaftlerin sein will, bin ich das. Wenn ich Supermodel sein will, dann bin ich das. Und das ist alles gut. Hauptsache, ich bleibe gesund und glücklich und tue anderen Menschen nichts Böses.“
Domitila Barros im Weltaufgang-Podcast
Miss Germany 2022
19. Februar 2022: Die Spannung beim Finale der Wahl zur Miss Germany hat ihren Höhepunkt erreicht. Domitila steht aufgeregt in der Europa-Park-Arena in Rust auf der Bühne, an der linken und rechten Hand jeweils eine andere Kandidatin, die voller Anspannung auf die Verkündung der Gewinnerin warten. Der Moderator hält den geöffneten Umschlag mit dem Namen der Siegerin in den Händen. Und dann, nach gefühlt ewigen Sekunden, der erlösende Satz: “Miss Germany 2022 ist Domitila!”
Domitila schlägt die Hände vor das Gesicht und findet sich Sekunden später in einer riesigen Gruppenumarmung der anderen Kandidatinnen wieder, die sie kreischend umringen. Weinend geht sie in die Knie, die anderen Frauen halten und feiern sie. Dann wird ihr die Schärpe umgehängt und Domitila geht unter Tränen und voller Stolz auf der Bühne nach vorne. Sie ist die erste und einzige Migrantin of Color, die diesen Preis gewonnen hat.
“Bis vor vier Jahren hätte eine Frau wie ich nicht Miss Germany sein DÜRFEN.”
Domitila Barros im Weltaufgang-Podcast
Die Miss-Wahl in Deutschland ist seit 2019 kein Schönheitswettbewerb mehr. Es ist nun “Die Auszeichnung für Frauen, die Verantwortung übernehmen”. Ziel des Wettbewerbs ist es, mit der Siegerin eine Botschafterin zu finden, die Vorbild und Identifikationsfigur für viele Frauen sein kann. Und diesen Preis hat Domitila sich hart erarbeitet.
Träumerin mit positiver Energie
Eine Familie aus Deutschland lud die 13-jährige Domitila dazu ein, für eine Weile bei ihr in Berlin zu leben. Sie besuchte ein Gymnasium und begann, Deutsch zu lernen. Im Format Germania des ZDF erzählt sie, wie sie damals um 11 Uhr abends alleine mit dem Fahrrad durch die Straßen Berlins fuhr und sich dabei ertappte, wie sie sich immer wieder ängstlich umschaute. Als erstes schoss ihr damals die Frage durch den Kopf, warum es ihr erlaubt wurde, nachts alleine als Frau mit dem Fahrrad durch die Straßen zu fahren. Doch die nächste Frage, die sie sich stellte, war: “Warum ist mir nichts passiert?” In ihrem Leben änderte sich etwas. Sie bekam den Anspruch “Ich will auf der ganzen Welt als Frau mit dem Fahrrad fahren ohne Angst zu haben.”
Sie wollte den Lifestyle, den sie in Berlin kennengelernt hatte. Nachdem sie zurück in Brasilien war, tat sie alles dafür, um nach Deutschland zurückkommen zu können. Sie lernte weiter Deutsch, studierte in Recife Sozialpädagogik. Vor etwa 15 Jahren kam sie dann in ihre neue Wahlheimat Berlin zurück und verliebte sich noch mehr in die Stadt.
Mit einem Stipendium der Freien Universität Berlin absolvierte sie ihren Master in Politik- und Sozialwissenschaften – auf Deutsch. Während des Studiums arbeitete sie für eine große Berliner Stiftung. Doch sie wollte selbst etwas Neues schaffen und machte sich selbstständig. Als Referentin der Europäischen Akademie und Vortragsrednerin war sie an hunderten entwicklungspolitischen Veranstaltungen beteiligt. Parallel berät sie seitdem Unternehmen, vor allem in Hinblick auf Internationalisierungsprozesse und Frauen in Führungspositionen.
“Eine der wichtigsten Funktionen, die ich glaube ich habe, ist: Ich bin die Botschafterin der Realität im Favela. Ich glaube, niemand kann so authentisch in so vielen Sprachen über diese Realität sprechen wie ich.”
Domitila Barros im Weltaufgang-Podcast
Das Preisgeld und die verstärkte Medienaufmerksamkeit, die sie nach der Wahl zur Miss Germany bekam, nutzte sie erfolgreich für ihre Mission und das Straßenkinderprojekt im Favela. Im Weltaufgang-Podcast erzählte sie Gastgeber Florian Vitello: „Als ich Miss Germany war, haben alle gefragt, was ich mit dieser Plattform erreichen will. Und ich habe immer gesagt, ich will erstens die Presse zu meiner Favela bringen, damit sie meine Favela durch meine Augen sehen. Und ich möchte darüber hinaus Aufmerksamkeit erregen und wenn Menschen das sehen und Mitleid mit uns haben, dass sie uns unterstützen. Und das hat geklappt.”
Schmuck aus goldenem Gras
Bei den großen Preisverleihungen zur Miss Germany und bei den WIBA Awards trug Domitila auffällige goldene Ohrringe, Ketten und Armbänder – Schmuck ihrer eigenen Modemarke She is from the Jungle. Denn trotz, dass sie schon viele Jahre auf der ganzen Welt unterwegs und räumlich weit weg von ihrer Heimat ist, bleibt sie Brasilien und den Menschen von dort stets verbunden.
Für ihre Schmuck- und Modefirma mit Sitz in Berlin, die sie 2017 gründete, beschäftigt sie unter anderem alleinerziehende Frauen aus ihrer Heimat. Viele von ihnen wurden bereits Opfer von Gewalt. Domitila ist es wichtig, sie dazu zu ermutigen, für sich selbst, ihre Kinder und ihre Gemeinschaft stark zu sein. Sie sollen die Möglichkeit haben, ihre eigenen Familien zu ernähren und ihren Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen.
Der Schmuck ist bio, vegan und aus einem nachwachsenden Rohstoff. Gold kann nachwachsen? Nein, aber die seltene Pflanze “Capim Dourado” aus dem Norden Brasiliens. Mit dem goldenen Gras spielte Domitila bereits als Kind. Heute stellen Kunsthandwerker:innen aus Tocantins daraus den Schmuck für ihr eigenes Unternehmen her. Domitila modelt selbst auf der ganzen Welt für die Marke, auf der Mission, alle mit Mut zu kleiden.
Inzwischen lebt Domitila Barros wieder in Brasilien. Ihre Motivation und Energie, etwas Gutes für die Welt zu bewirken, scheinen unermüdlich. Nachdem sie als Fünfzehnjährige begonnen hat, mit Menschen in der ganzen Welt über ihre Wünsche und Träume zu sprechen und bemerkt hat, dass sie etwas bewirken kann, hat sie nicht mehr damit aufgehört. Und wird es vermutlich noch lange nicht.
Wenn du mehr über Domitila erfahren und ihre Power mit den eigenen Ohren erleben möchtest, hör in unsere Podcast-Folge rein:
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