Deutschland, wie wär’s?

das ist ein GNM+ ArtikelCosta Rica als Vorreiter in Sachen Erneuerbare Energien

von | 15. Mai, 2023

Costa Rica deckt den Landesbedarf an Elektrizität fast zu 100 Prozent mit Ökostrom. Den größten Teil davon macht die Wasserkraft aus.

In unserem Good News Thought hat sich unsere Redakteurin Mara das Land angeschaut und überlegt, was sich Deutschland davon “abgucken” kann:

Erneuerbare Energien sind ein großes Thema, welches beim Abendessen am Familientisch lieber gemieden wird. Denn Meinungen gehen oft weit auseinander, wie man es nun richtig angehen soll – Kohle oder noch mehr Windräder? Zuletzt waren es die Ausgrabungen in Lützerath, welche die Debatte neu anheizten.

Im Jahr 2022 ist Kohle der wichtigste Energieträger in Deutschland und erneuerbare Energien machen nur 46,2 Prozent der Stromerzeugung des Landes aus. Auf der anderen Seite des Teiches hingegen geht das zentralamerikanische Land Costa Rica beispielhaft voran: Im vergangenen Jahr deckte das Land 99,25 Prozent der Stromerzeugung mit Strom aus erneuerbaren Energien. Was machen sie anders?

Grüner Vorreiter in Zentralamerika

Costa Rica, was übersetzt „Reiche Küste“ bedeutet, gilt als eine der stabilsten Demokratien Mittel- und Südamerikas. Neben seinen Nachbarn Nicaragua und Panama weist Costa Rica eine im Vergleich auffallende ökonomische wie auch soziale Stabilität auf. Aber nicht nur das, auch die Naturvielfalt des Landes ist beachtlich. Auf einer Fläche, die kaum so groß ist wie die Schweiz, sind fünf Prozent aller Lebewesen der Welt beheimatet. Die Biodiversität Costa Ricas erstreckt sich von Korallenriffen über Nebelwäldern bis hin zu Trockenwäldern und weist somit eine hohe Artenvielfalt auf. Dieses Alleinstellungsmerkmal wurde von den höchsten Rängen des Landes früh erkannt und es wurde viel daran getan, diese Naturbesonderheit bestmöglich zu schützen.


Daher setzte das Land im Energiesektor von Beginn an auf erneuerbare Energien, welche von der Geografie des Landes unterstützt werden. Schon im Jahr 1884, als das Zeitalter des elektrischen Lichts auf der Welt anbrach, war San José eine der ersten vollständig elektrisch beleuchteten Hauptstädte der Welt. Da Costa Rica reich an aktiven Vulkanen ist, stellt die Geothermie bis heute einen wichtigen Energieträger des Landes dar. Costa Rica gehört mittlerweile zu den Top-Geothermie-Standorten weltweit und bringt viel praktische Erfahrung aus dem eigenen Land mit sich. Die costa-ricanischen Fachleute können von der Planung bis hin zur Realisierung der Geothermiekraftwerke eigenständig arbeiten und benötigen keine Unterstützung aus dem Ausland. Stattdessen wird das Know-how der Unternehmen heute weltweit exportiert und sichert so einen weiteren ökonomisch starken Zweig des Landes neben Bananen-, Ananas- und Kaffeehandel. Die Geschäfte mit den erneuerbaren Energien sind also seit jeher ein wichtiger Bestandteil des zentralamerikanischen Landes.

Die Kraft des Wassers 

Den größten Teil der costa-ricanischen Stromerzeugung machen die Wasserkraftwerke aus. Ganze 70 Prozent des gesamten Elektrizitätsbedarfes werden aus der Kraft des Wassers gewonnen. Das hat den Hintergrund, dass zahlreiche Wasserfälle und Flüsse in den Bergketten im Landesinneren beheimatet sind. Costa Rica ist ein wasserreiches Land, das mehrere tausend Flachlandflüsse, Seen und Lagunen hervorbringt, welche immer wieder vom Regen gefüllt werden. Besonders der stetige Regen in der Regenzeit von Anfang Mai bis Anfang Dezember macht den weitflächigen Ausbau der Wasserkraftwerke überhaupt erst möglich. Um daraus Energie zu gewinnen, werden teils riesige Staudämme errichtet. Doch solche Staudämme, und die daraus entstehende Wasserkraft, sind mit regelmäßigem Fluten des Landes verbunden, was die costa-ricanische Regierung anhält umzudenken. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich: Energiewende allein ist nicht immer gleichbedeutend mit Klimaschutz. Denn die Wasserkraftwerke können erhebliche Umweltschäden verursachen, in dem sie große Flächen fluten und die Heimat vieler Pflanzen und Tieren vernichten. So mussten für das Kraftwerk Pirrís zwischen 2003 und 2011 großflächige Talsperren errichtet werden, wofür mehrere tausend Hektar Land geflutet wurden. Dies führte zu sozialen und ökologischen Spannungen im Land.

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Der La Fortuna- Wasserfall im Landesinneren Costa Ricas. Bild: Essential Costa Rica

Aus jenem Grund soll zukünftig noch mehr auf Windenergie und Meeresströmungskraftwerke gesetzt werden, kündigt die Regierung an. Letzteres beschreibt das Installieren von Turbinen, welche frei im Wasser hängen oder am Meeresboden befestigt sind, und so, ähnlich wie Windräder, Strom erzeugen. Darüber hinaus gibt es vielleicht schon bald die Möglichkeit von Wellenkraftwerken, welche die Energie der Wellen an der Meeresoberfläche in Strom umwandeln. Die Energiekonzerne möchten ihre Kraftwerke zunehmend aus dem Landesinneren an die Küstenregion verlagern, damit im Inneren weiterhin der Naturschutz im Fokus stehen kann.

Elektrizitätswende heißt nicht Energiewende

Costa Rica geht beispielhaft voran, da es nun seit über acht Jahren die über 98 Prozent liegende Quote der regenerativen Stromerzeugung beibehält. Nichtsdestotrotz ist Strom nicht gleich Energie. Während fast 100 Prozent des Strombedarfs mehr oder minder nachhaltig produziert wird, werden 70 Prozent des Gesamtenergiebedarfes weiterhin von fossilen Energieträgern gedeckt. Was im ersten Moment ernüchternd klingen mag, ist immer noch mehr als in vielen anderen Ländern weltweit.

Um trotzdem nicht von dem Traum der führenden Nachhaltigkeit abzukommen, hat Costa Rica große Ziele: Bis 2050 möchte die Republik klimaneutral sein und strebt an, das klimaneutralste Land der Welt zu werden. Auch wenn der CO₂-Ausstoß im Land mit zunehmendem Wohlstand immer mehr wird, greift die Regierung an allen Ecken an, um dem entgegenzuwirken. 30 Prozent des Landes steht unter Naturschutz und kurbelt den sogenannten Öko-Tourismus – das Reisen in Schutzgebiete – an. Mit minimaler Belastung der dortigen Schutzzonen soll ein einmaliges Reiseerlebnis gewährleistet werde. Costa Rica kann über diesen Weg die Ökonomie ankurbeln und gleichzeitig Tourist:innen Verständnis für die Bedeutsamkeit des Regenwaldes und der Küstenregionen näherbringen. Zudem soll die Waldfläche des Landes von 52 auf 60 Prozent anwachsen und 2035 soll ein Viertel der costa-ricanischen Fahrzeugflotte elektrisch fahren. Durch verschiedene Dekrete und Normen ist es Unternehmen und privaten Haushalten außerdem erlaubt, parallel zum öffentlichen Netz Energie für den eigenen Bedarf zu generieren und bei Überproduktion eine bestimmte Menge (gegen ein gewisses Entgelt) in das Stromnetz einzuspeisen.

Die Ziele sind ambitioniert, doch kann Costa Rica auf ein starkes Bottom-Up-Prinzip bauen. Das bedeutet, dass die costa-ricanische Bevölkerung immer wieder politischen Druck ausübt, um den Klimaschutz anzukurbeln. Die Mitgestaltung „von unten“ ist in dem Fünf-Millionen-Staat also stark. Die Entscheidung zur Erhaltung der grünen Gebiete des Landes werden von breiten Teilen der Bevölkerung tatkräftig unterstützt und der Wert von der Regierung anerkannt. Eine umweltschädliche Politik kann sich dort kein:e glaubwürdiger:e Politiker:in mehr leisten, wenn er oder sie von den Costa Ricaner:innen ernst genommen werden möchte. 

Und hierzulande?

Windkraft in Deutschland
Deutschland hat viel Fläche für Windkraft, doch es mangelt am Ausbau und der Akzeptanz. Bild: pixabay

Mit fünf Millionen Einwohner:innen ist Costa Rica ein deutlich kleineres Land als Deutschland und verbraucht obendrein deutlich weniger Strom als wir es hierzulande tun. Hinzu kommt, dass das zentralamerikanische Land reicher an natürlichen Ressourcen wie Wasser oder Geothermie ist, die der Energiegewinnung dienen, welche Deutschland (und viele weitere Länder) nicht nachweisen können. Im vergangenen Jahr konnte Costa Rica 750 Gigawattstunden auf dem internationalen Strommarkt verkaufen. Das entspricht etwa der Hälfte des täglichen Stromverbrauchs in ganz Deutschland. Die Vorreiterrolle von Costa Rica als exemplarischen Plan zu betrachten, ist falsch und keine Lösung für die deutsche Klimaschutzwende, jedoch kann es aus gewissen Perspektiven als Vorbild dienen.

Costa Rica zeigt, dass es möglich ist, mit starken Investitionen und Willen sauberen Strom zu erzeugen und dabei große Teile der Natur weiterhin behütet zu belassen. Außerdem wird deutlich, dass es sich lohnt, auf die lokalen Möglichkeiten und Ressourcen zu schauen. Während Costa Rica über viel Wasserkraft und Geothermie verfügt, weist Deutschland große Flächen für Wind- und Solarenergie auf.

Darüber hinaus ist der Wille maßgeblich – so selbstverständlich wie das eben klingen mag. Der Druck der Öffentlichkeit hat zu einer Umgestaltung der Politik in Costa Rica geführt und die sichtbaren Erfolge des Landes motivieren zu mehr. Die Bewohner:innen der „Reichen Küste“ sind sich bewusst über die Besonderheiten ihres vielfältigen Klimas. 

Deutschland verfügt über viele Flächen für Photovoltaik-Anlagen, Offshore-Windräder und übliche Windkraftwerke. Woran es mangelt, ist die Bereitschaft für die Energiewende in der breiten Bevölkerung und zunehmende Dringlichkeit. Bis 2030 möchte Deutschland 80 Prozent des Stromverbrauchs mit Öko-Strom decken. Bis dahin muss sich das Tempo des Ausbaus deutlich beschleunigen und die Mitarbeit der Bevölkerung steigern.

Für eine lückenlos nachhaltige Stromerzeugung, mit einer gleichzeitigen Intakthaltung der Natur, braucht es weitere Forschung in neue Innovationen und die Unermüdlichkeit des Ausprobierens. Bis dahin gilt es offenzubleiben und das zu tun, was in der Macht jedes Einzelnen steht. Klimaschutz ist mehr Kompromiss als Perfektion. Costa Rica lebt das auf kleinerem Raum vor.

Beitragsbild: Jake Marsee via pexels

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Mara Betjemann

Mara Betjemann ist Redakteurin bei Good News Magazin und freie Autorin. Sie ist der Meinung, dass Medien maßgeblich das Denken vieler Menschen beeinflussen und genau deswegen positiver Journalismus noch viel mehr etabliert werden sollte. Neben dem Schreiben für Good News Magazin, studiert sie Sozialwissenschaften in Düsseldorf und genießt das Leben im Rheinland.

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