Braucht es Innovationen, um den menschen- gemachten Klimawandel aufzuhalten?

das ist ein GNM+ ArtikelDirect Air Capture: CO₂ raus aus der Atmosphäre statt rein?

von | 5. Juli, 2023

Mit dem Direct Air Capture-Verfahren werden Kohlendioxide aus der Luft gezogen und so die Emissionen in der Atmosphäre verringert. Das Verfahren ist keineswegs unumstritten, jedoch eine Innovation, die angesichts des Klimawandels unabdingbar scheint. Wir haben uns Direct Air Capture einmal genauer angeschaut.

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„Direct Air Capture and Carbon Dioxide Capture and Storage“, kurz DACCS, klingt höchst kompliziert, beschreibt jedoch vereinfacht gesagt ein technologisches Verfahren zur Reduzierung von CO₂-Emissionen in der Atmosphäre. Das klimaschädliche CO₂ aus Kraftwerken und Industrieanlagen wird direkt aus der Luft gefangen, abgeschieden, aufgefangen und sicher eingelagert oder als Rohstoff weiterverwendet. Ganz ursprüngliche CO₂-Fänger sind Bäume. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Baum im globalen Durchschnitt etwa 10 kg CO₂ pro Jahr binden kann. Deswegen sind ein Stopp der Abholzungen und großflächige Aufforstungen auch so wichtig.

Zugleich versuchen zahlreiche Unternehmen, mit DACCS den Bäumen unter die Äste zu greifen. Denn wir stehen vor einem Dilemma, wie Pulitzerpreisgewinnerin Elizabeth Kolbert in ihrem Buch „Wir Klimawandler“ schreibt: Unsere Eingriffe in die Umwelt haben uns an einen Punkt geführt, an dem wiederum andere menschliche Eingriffe womöglich die letzte Hoffnung im Kampf gegen die globale Erderwärmung sind. 

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) sind derzeit weltweit 18 Direct Air Capture-Anlagen in Betrieb, in denen fast 0,01 Mio. Tonnen CO₂/ Jahr gebunden werden. „Im Szenario Netto-Null-Emissionen bis 2050 wird die direkte Abscheidung von Luft bis 2030 auf fast 60 Millionen Tonnen CO₂/ Jahr gesteigert. Diese Größenordnung ist durchaus erreichbar, erfordert aber noch mehrere großtechnische Demonstrationsanlagen, um die Technologie zu verfeinern und die Abscheidungskosten zu senken“, so die IEA.

Hohe Kosten

Es ist schwierig, die spezifischen Kosten für das Verfahren zu ermitteln, da die einzelnen Methoden große Unterschiede in Hinblick auf die verwendeten Sorptionsmittel (jene Chemikalien, an denen das CO₂ haften bleibt) und Energiequellen aufweisen. Wir haben mit NeoCarbon-Geschäftsführer René Haas über die Kosten und seine Branche gesprochen. NeoCarbon ist ein deutsches Start-up mit zehn Mitarbeitenden, das Abwärmeströme und die Luftzirkulation von Kühltürmen nutzt, um CO₂ aus der Atmosphäre abzuscheiden. Damit das DACCS bei der Erreichung der Klimaziele eine Rolle spielen kann, muss das Verfahren künftig massentauglich und mindestens kostendeckend sein. Dazu sagt René Haas: „Generell suchen alle Direct Air Capture-Unternehmen nach Möglichkeiten, die Kosten zu senken, da dies für den langfristigen Wert der Direct Air Capture-Technologie entscheidend ist. Möglichkeiten zur Kostensenkung sind beispielsweise die Nutzung von Erdwärme oder die Verbesserung des chemischen Sorptionsmittels, das zur Abscheidung des CO₂ aus der Umgebungsluft verwendet wird. Unsere Technologie zielt darauf ab, den Luftstrom und die Abwärme des Kühlturms zu nutzen, um die Kosten für Direct Air Capture zu senken. Hier müssen wir den Luftstrom nicht erzeugen, weil der Kühlturm ihn bereits produziert. Darüber hinaus benötigen wir weniger Energie zum Aufheizen unseres Systems, da wir die Abwärme des Kühlturms nutzen können.“ Umgerechnet auf eine Tonne abgeschiedenes CO₂ gibt es laut René Orientierungspreise für die Investition, damit DACCS sich tatsächlich flächendeckend rechnet: „Obwohl diese Zahlen nicht in Stein gemeißelt sind, geht der allgemeine Markt derzeit davon aus, dass der Preis pro Tonne Abscheidung in vollem Umfang zwischen 50 und 200 Dollar liegen dürfte. Frontier beispielsweise gibt diese Zahl derzeit als langfristiges Ziel an. Auch der X-prize von Elon Musk nennt einen Preis von etwa 100 Dollar pro Tonne CO₂.“

Wohin mit dem CO₂?

Das eingefangene CO₂ verschwindet nicht einfach: Es braucht einen Lager- oder Speicherort. „Es gibt viele Branchen, die CO₂ als Input für ihre Prozesse benötigen“, sagt René Haas. „Zum Beispiel benötigen Industrien wie Vertical Farming und kohlensäurehaltige Getränke diesen CO₂-Input. Aber auch Trockeneishersteller oder die Chemieindustrie benötigen es für ihre Prozesse. Unser langfristiges Ziel ist es jedoch, kohlenstoffnegativ zu werden, daher liegt unser Hauptaugenmerk auf der Speicherung des abgeschiedenen CO₂ für 1.000+ Jahre. Langfristig werden darüber hinaus noch deutlich neuere Produkte entstehen, wie z.B. Future Fuels, aber auch Textilien, die sich jedoch gerade noch in der Forschung befinden.“

Neben der Weiterverarbeitung in der Industrie gibt es auch andere Ansätze zur Nutzung des eingefangenen CO₂: CarbonCure z.B. speichert das gewonnene CO₂ in Beton und verbessert somit direkt die CO₂-Bilanz des Baustoffs. Die Schweizer Firma Carbfix vermischt in Island das CO₂ mit Wasser und pumpt es in den Untergrund. Das dortige Basalt-Gestein reagiert mit dem Gemisch und mineralisiert sich innerhalb von nur zwei Jahren: In den neuen Karbonatmineralien kann das CO₂ über Tausende von Jahren stabil gebunden werden. Carbfix geht davon aus, dass Europa theoretisch mindestens 4.000 Milliarden Tonnen CO₂ in Gesteinen speichern könnte, die Vereinigten Staaten sogar über 7.500 Milliarden Tonnen.

Ein großes Potenzial hat auch die Nutzung in kohlenstoffneutralen synthetischen Kraftstoff. Das u.a. von Bill Gates finanzierte kanadische Carbon Engineering wandelte 2017 das erste Mal abgeschiedenes CO₂ in synthetisches Rohöl um. Dieses kann dann zu Benzin, Diesel und Düsenkraftstoff weiterverarbeitet werden, die in Fahrzeugen und Verkehrsinfrastrukturen verwendet werden können. Dank des unbegrenzt verfügbaren Rohstoffs könnten diese Air to Fuel-Anlagen künftig weltweit saubere Kraftstoffe liefern, um die wachsende Marktnachfrage zu decken.

Die Techniker von Heirloom und CarbonCure speichern atmosphärisches CO2 in aufbereitetem Wasser bei Central Concrete.
Die Techniker von Heirloom und CarbonCure speichern atmosphärisches CO₂ in aufbereitetem Wasser für die Nutzung im Beton. Bild: Carbon Cure

Es geht voran. Oder?

Der Weltklimarat IPCC schätzt, dass die Welt bis Ende des Jahrhunderts 100 Milliarden bis eine Billion Tonnen Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernen muss, um die schlimmsten Auswirkungen der globalen Erwärmung umkehren zu können. Die aktuell bestehenden 18 Anlagen kommen an diese Zahl noch nicht einmal annähernd heran. Doch die Branche wächst – und damit die Chancen für die Atmosphäre.

Island ist ein Vorreiter in grüner Energie: 99 Prozent des Stromverbrauchs in Island wird mit erneuerbaren Energiequellen wie Wasser und geothermischer Energie gedeckt, 90 Prozent der isländischen Haushalte werden mit geothermischem Wasser beheizt. Diese Geothermie wird auch für die aktuell größte DACCS-Anlage genutzt: 4.000 Tonnen Kohlendioxid holt die isländische DACCS-Anlage Orca von Climeworks seit September 2021 pro Jahr aus der Atmosphäre. Orca wurde in unmittelbarer Nähe zum großen Geothermie-Kraftwerk Hellisheiði errichtet, mit Mammoth wird gerade eine zweite Anlage gebaut, die ab 2024 jährlich 36.000 Tonnen Kohlendioxid abscheiden und speichern wird.

Im nächsten Jahr soll dann im Südwesten in den Vereinigten Staaten eine Anlage in Betrieb gehen, die einen neuen Richtwert für künftige DACCS-Anlagen vorlegen wird: Die weltweit größte Anlage mit einer Kapazität von 500.000 Tonnen soll Ende 2024 in Betrieb genommen werden und bei vollem Betrieb bis zu einer Million Tonnen CO₂ pro Jahr entfernen können. Das heißt nicht, dass das Verfahren ein Freifahrschein ist, weiter fleißig Treibhausgase in die Atmosphäre zu pumpen. Eine Million Tonnen sind ein kleiner Schritt auf dem Weg zu den zuvor genannten 100 Milliarden bis eine Billion Tonnen CO₂-Entfernung bis zum Ende des Jahrhunderts. Dennoch ist jede Tonne CO₂ weniger in der Atmosphäre bereits ein Gewinn. Und hier wird Carbon Capture ein wichtiges Puzzlestück sein – selbstverständlich immer in Kombination mit einem nachhaltigeren Handeln unsererseits, der starken Begrenzung der Treibhausgas-Emissionen und einer weiteren wichtigen Maßnahme: Aufforsten. Studien zeigen, dass auf 1,8 Milliarden Hektar Land in Gebieten mit wenig menschlicher Aktivität ca. 1,2 Billionen Bäume aufgeforstet werden könnten. Diese könnten zwischen 370 und 750 Milliarden Tonnen CO₂ speichern. 

Beitragsbild: Orca, die weltweit größte Direct Air Capture and Storage Anlage. Credit: Climeworks

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Viktoria Franke

Unsere Chefredakteurin a.D. Viktoria begann noch während des Studiums, als Sportjournalistin durch die Welt zu ziehen. Mittlerweile berät sie kleine Einzelkämpfer und große Unternehmen in ihrer Innen- und Außenkommunikation und organisiert weltweit Pressebereiche bei Sportevents. Good News sind bei all dem Trubel genau so wichtig für ihre mentale Gesundheit wie ein Stück Schokolade.

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