Immer mehr Bibliotheken in Deutschland verleihen nicht nur Bücher, sondern auch Saatgut. Ein innovatives Angebot, das Nachhaltigkeit, Bildung und Gemeinschaft fördert.
In Deutschlands Bibliotheken wächst etwas Neues heran – im wahrsten Sinne des Wortes. Immer mehr Büchereien verleihen nicht nur Bücher, sondern auch Saatgut. Was zunächst ungewöhnlich klingt, ist ein inspirierendes Beispiel für gelebte Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Bildung.
Ein lebendiger Kreislauf
Das Prinzip ist einfach und doch wirkungsvoll: Hobbygärtner:innen leihen sich (meist) samenfestes Saatgut aus der Bibliothek aus, ziehen daraus Pflanzen und ernten nicht nur Gemüse, Obst und Kräuter, sondern auch neue Samen. Dieses wird am Ende der Saison zurückgebracht, sodass der Kreislauf von Neuem beginnen kann.
Was bedeutet „samenfest“?
Samenfestes Saatgut stammt von Pflanzen, die auf natürliche Weise – zum Beispiel durch Insekten – bestäubt werden. Die Besonderheit: Aus den geernteten Samen wachsen wieder Pflanzen mit denselben Eigenschaften und demselben Aussehen wie die Elternpflanzen. Man kann dieses Saatgut also jedes Jahr erneut verwenden – es ist sozusagen „nachbaubar“.
Anders ist es bei den sogenannten F1-Hybriden, die heute oft im Handel angeboten werden. Sie bringen zwar hohe Erträge, aber ihre Samen lassen sich nicht zuverlässig weitervermehren. Wenn man sie erneut aussät, entstehen Pflanzen mit unvorhersehbaren Merkmalen – die ursprüngliche Sorte geht dabei verloren.
Erhalt der Saatgut-Sortenvielfalt
Viele der verliehenen Samen stammen von alten, oft vergessenen Sorten, die nicht im Supermarkt zu finden sind. Durch den Anbau und die Weitergabe dieser Pflanzen tragen Bibliotheken und Gärtner:innen aktiv zur Erhaltung der genetischen Vielfalt bei.
Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) unterstützt zahlreiche Bibliotheken mit Saatgut und Fachwissen, um dieses Ziel zu fördern und hat auf seiner Webseite eine Liste mit teilnehmenden Bibliotheken zur Verfügung gestellt.



Bildung und Nachhaltigkeit wird gelebt
Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit integrieren Bibliotheken den Saatgutverleih in ihre Strukturen und werden so immer mehr zu Orten, an denen Wissen nicht nur gelesen, sondern auch gelebt wird.
Viele Bibliotheken verleihen nicht nur das Saatgut, sondern erweitern ihr Bildungsangebot um praktische Erfahrungen im Gärtnern. Nutzer:innen lernen nicht nur über Pflanzen, sondern auch über nachhaltige Praktiken und den Wert von Biodiversität. Unter anderem die Zentralbibliothek in Dresden weitet ihr Angebot bereits auf die Jüngsten aus: In der Kinderbibliothek werden Anzucht-Sets für Kinder verliehen und das Informationsprogramm sowie die Literaturempfehlungen nicht nur auf Erwachsene, sondern auch auf Kinder zugeschnitten.
Durch den Anbau eigener Pflanzen und die Nutzung von samenfestem Saatgut lernen Kinder und Erwachsene so gleichermaßen über eine nachhaltige Lebensweise – und reduzieren im Idealfall (wenn ihr grüner Daumen mitgespielt hat) ihre Abhängigkeit von industriell produzierten Saatgut und Pflanzen.
Bilder: Johanna Franke