Es gibt Dinge, die gibt es gar nicht – jedenfalls noch nicht lange für das jeweils andere Geschlecht. Etwa die Möglichkeit, auf einem Festival nicht stundenlang vor Toilettenkabinen anstehen zu müssen, sondern sich schnell an einem Urinal erleichtern zu können. Oder mit der Antibabypille ein Medikament zur Verhütung zu nehmen.
Das ist ein Beitrag aus unserem dritten Printmagazin mit dem Thema „Perspektivwechsel“. Diesen und weitere exklusive Beiträge gibt’s im GNM+ Abo
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Freiluftpinkeln für alle – aber sicher
Wer kennt sie nicht, die endlos langen Schlangen vor der Frauentoilette. Wo die Not zu groß wird, huscht die Eine oder Andere schnell auf das Männer-WC, denn dort ist oft weniger los. Besonders auf Festivals, großen Outdoor-Events oder im Park ist das Ungleichgewicht zwischen den Toilettenschlangen groß, denn dort gibt es für Männer neben WC-Kabinen meist noch mobile Pissoirs.
Für Frauen* gibt es zu den geschlossenen Kabinen nur die Alternative, sich einen improvisierten Ort zu suchen, um sich zu erleichtern – was nicht nur unhygienisch und unangenehm, sondern auch unsicher ist. Hand aufs Herz: Wer hat sich in dieser Situation nicht schon mal gewünscht, auch einfach im Stehen urinieren zu können?
Schluss mit dem ewigen Schlangestehen
Dieser Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wollen Unternehmen wie MadamePee, PEEQUAL oder Lapee mit Missoirs, also Pissoirs für Frauen und alle, die zum Urinieren in die Hocke gehen müssen, entgegenwirken. Ihr Prinzip: mobile Urinale, die leicht zu transportieren und aufzubauen sind. Man geht hinein und kann sich, ohne großartig etwas berühren zu müssen, hinhocken und sichtgeschützt urinieren. Die Zeitersparnis ist im Vergleich zu einem klassischen Toilettengang laut Lapee enorm – statt bis zu drei Minuten werden im Schnitt nur 30 Sekunden benötigt.
Lapee – ein ausgezeichneter Game Changer
Die knallpinken, schneckenhausartigen Missoirs von Lapee fallen besonders ins Auge. Sie stehen auf einem Tank, der 1.100 Liter fasst und somit etwa 3.500 Nutzungen ermöglicht, oder sind direkt an die Kanalisation angeschlossen. Lapee ist eine Erfindung des Architekt:innen-Teams Gina Périer und Alexander Egebjerg und die erste weibliche Version des weltweit verbreiteten Urinals für Männer. Das Hock-Urinal wird in Dänemark designt und produziert und seit 2019 auf Musikfestivals, Sportevents und anderen Großereignissen in Europa und Australien eingesetzt.
„I couldn’t imagine going to a festival or a sport event without male urinals being everywhere. There’s absolutely no reason that women shouldn’t have urinals as well.”
Alexander Egebjerg, Gründer und COO von Lapee
Es wird aus recyclebarem Material hergestellt und verwendet für die Nutzung kein Wasser. Zum Reinigen der Hände gibt es einen integrierten Spender mit Handdesinfektionsmittel. Das Team hinter Lapee forscht auch an der Verwendung des flüssigen Abfalls zur Stromerzeugung und als Düngemittel. Im Jahr 2022 gewann Lapee den dänischen DesignAward in der Kategorie „GAME CHANGER“.
Forschungserfolge bei der Antibabypille für den Mann
Verhütung ist überwiegend Frauensache. Für sie gibt es zahlreiche Methoden der Empfängnisverhütung – etwa die Hormonspirale, die Dreimonatsspritze oder die Antibabypille. Für Männer gibt es bisher nur zwei Möglichkeiten: das Kondom und die Vasektomie, also die dauerhafte Sterilisation. Nun gibt es jedoch vielversprechende Forschungsergebnisse aus den USA.
Spermien über Stunden bewegungsunfähig
Die Studienergebnisse wurden im Februar 2023 von Forschenden des Weill Cornell Medical Colleges um den New Yorker Pharmakologieprofessor Lonny Levin veröffentlicht. Sie entdeckten den nicht-hormonellen Wirkstoff TDI-11861, der die Aktivierung der Spermien blockiert, sie unbeweglich macht und nicht reifen lässt. So gelangen Spermien nicht bis zur Eizelle und können sie nicht befruchten.
Die Pille wurde bisher an Labormäusen getestet. Sie muss vor dem Sex eingenommen werden und ihre Wirkung setzte bei den Versuchen nach 30 bis 60 Minuten ein. Sie lag zwei Stunden lang bei 100 Prozent und drei Stunden später noch bei 91 Prozent. 24 Stunden nach der Einnahme war die Fruchtbarkeit wieder vollständig hergestellt und es konnten weder Auswirkungen auf das Sexualverhalten der Mäuse noch Nebenwirkungen festgestellt werden – auch nicht bei einer kontinuierlichen Einnahme über sechs Wochen. Nun muss in klinischen Studien die Wirksamkeit am Menschen nachgewiesen werden.
Langfristige reversible Sterilität
Etwa ein Jahr zuvor, im März 2022, stellte eine Forschungsgruppe der University of Minnesota ebenfalls Studienergebnisse für eine hormonfreie Antibabypille für den Mann ohne Nebenwirkungen vor.
Mit einer neu entwickelten Verbindung namens YCT529 konnte das Team um Doktorand Abdullah Al Noman und Professorin Gunda Georg bei Mäusen die Spermienzahl deutlich reduzieren und Trächtigkeiten durch die Blockade eines Vitamin-A-Rezeptors in 99 Prozent der Fälle verhindern. Nach vier Wochen wurde ohne das Auftreten von Nebenwirkungen eine reversible Sterilität erreicht.
Ob sich die Pille auch an Menschen bewährt, soll 2023 getestet werden. Professorin Gunda Georg hält eine Marktzulassung innerhalb der nächsten fünf Jahre für möglich.
Zur Verhütung gehören immer zwei
Zwar bedeutet die Möglichkeit der Empfängnisverhütung mit der Antibabypille seit den 1960er-Jahren für viele Frauen auch mehr Selbstbestimmung, sie geht gleichzeitig aber mit viel Verantwortung und einigen physischen und psychischen Nebenwirkungen einher. In der Folge wird die Antibabypille für die Frau als Verhütungsmittel immer unbeliebter. Im Jahr 2020 lag die Verordnung der Pille bei gesetzlich versicherten Mädchen und Frauen in Deutschland bei 35 Prozent – 2010 waren es noch 46 Prozent.
Bei der Forschung nach einem neuen Verhütungsmittel für Männer konzentrierte sich die Wissenschaft bisher auf das Sexualhormon Testosteron. Bei dieser Methode wurden jedoch Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme oder Depressionen festgestellt – genau jene Nebenwirkungen, die bei der Pille für die Frau bereits bekannt sind und in Kauf genommen werden. Heutzutage sind die Zulassungsregeln für Medikamente wesentlich strenger als noch in den 60ern und es gibt bisher kein zugelassenes Verhütungsmittel für den Mann. Die neuen Forschungsergebnisse lassen jedoch hoffen, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern wird.
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Beitragsbild: Lapee