Weil Freundschaften lebenswichtig sind

Ministerium für Freundschaft – ein Interview mit Gründerin Antonia Drews

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von | 31. Oktober, 2024

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Wie entstand die Idee für das Ministerium für Freundschaft und was war Ihre persönliche Motivation dahinter?

Dr. Antonia Drews: “Ein wichtiger persönlicher Ausgangspunkt war im Frühjahr 2023, als ich meinen Job gekündigt habe. Dadurch hatte ich viel freie Zeit hatte, die ich Freund:innen und mir schenken konnte, um unsere Beziehung zu pflegen und zu genießen. Mir hat das noch einmal verdeutlicht: Gute Beziehungen, besonders zu Freund:innen, sind eine der wichtigsten Säulen in meinem Leben.

Gleichzeitig habe ich mich gefragt: Warum wird mir die Bedeutung meiner Freundschaften erst jetzt so deutlich? Was sagt das über Strukturen und Anreize in Erwerbsarbeit und Gesellschaft aus?

Das Thema Fürsorge beschäftigt mich aber schon länger. Ich habe einige Jahre zur psychischen Gesundheit von Menschen geforscht, die im Gesundheitsversorgungssystem arbeiten. Aus der Innenperspektive von Krankenhäusern habe ich miterlebt, wie wenig fürsorglich die Strukturen dort sind. Es ist absurd, wie viel immer noch über individuelle Resilienz gesprochen wird – es muss viel mehr um kollektive Fürsorge gehen.”

Sie sprechen in Ihrem Manifest von einer „Fürsorgekrise“. Was genau meinen Sie damit?

Dr. Antonia Drews: „Fürsorge ist elementar für eine funktionierende Gesellschaft. Wir sind lebenslang von fürsorglichen Beziehungen abhängig. Das Maß der Abhängigkeit variiert natürlich über den Lebensverlauf und auch individuell, aber Fürsorge-unabhängig sind wir nie. Und doch steuern wir gesamtgesellschaftlich immer weiter in eine Fürsorgekrise. Die Symptome zeigen sich überall – übrigens ein weiterer Hinweis, wie wichtig Fürsorge ist, weil sie in allem steckt:

Wir sind eine alternde Gesellschaft, die mit der Pflegesituation von alten Menschen überfordert ist. Und ebenso schaffen wir es nicht, gut für die Jungen zu sorgen: Desaströse Zustände in Kitas – Personalmangel, schlechte Betreuungsschlüssel, Schließungen – und mindestens genauso schlimm: Viele Leitungskräfte haben keine Zeit, um wertvolle und wichtige pädagogische Konzeptarbeit zu machen. Besonders belastet sind Alleinerziehende. Fast die Hälfte ist von Armut betroffen, weil ihre Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Viele erhalten keinen oder nur unregelmäßigen Unterhalt. Fürsorge für Kinder müssen die meisten alleine stemmen, für Erwerbsarbeit bleibt kaum Zeit.

Trotz größtmöglicher digitaler Vernetzung und Followern auf Instagram oder TikTok hat sich die Anzahl derer, die sich chronisch einsam fühlen,  in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Auch nach der COVID-Pandemie hat sich das nur wenig verändert. Einsamkeit ist mit erhöhtem Risiko für Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und mit großer Scham assoziiert. Das macht das Phänomen noch gefährlicher, weil Menschen sich scheuen, Hilfe zu suchen.

Und überall zeigt sich: Wer in dieser Gesellschaft für andere sorgt, wird nicht wertgeschätzt. Wer im Fürsorge-Sektor arbeitet (also mit Menschen arbeitet, wer pflegt, Haare schneidet, den Müll abholt, Büros putzt) leidet unter schlechten Arbeitsbedingungen und verdient durchschnittlich 25 Prozent weniger als in anderen Sektoren. Meistens sind die, die professionelle Fürsorge leisten, Frauen. Auch in der eigenen Familie übernehmen Frauen doppelt so viel Fürsorgearbeit wie Männer. Diese Arbeit ist unbezahlt, dadurch verdienen Frauen weniger Gehalt, haben schlechtere berufliche Chancen und sind verstärkt von Altersarmut betroffen. Fürsorge-Institutionen, egal ob Krankenhäuser, Kitas oder Pflegeheime, sind unterfinanziert. Die Personaldecken sind dünn, die Ausstattung schlecht, das Stresslevel bei den dort Arbeitenden hoch. Keine Wertschätzung also für diejenigen, die das tun, was unsere Gesellschaft zusammenhält: Für andere sorgen.“

Welche Rolle spielt Freundschaft in unserer modernen Gesellschaft, und wie kann Freundschaft aus Ihrer Sicht eine Antwort auf die Fürsorgekrise sein?

Dr. Antonia Drews: „Einerseits gibt es in unseren westlich geprägten Gesellschaft eine starke Orientierung am Modell der heteronormativen Kleinfamilie. Andererseits beobachte ich vor allem in urbanen Lebensräumen wie Berlin eine starke Entwurzelung bei vielen Menschen. Viele schätzen die Anonymität der Stadt und gleichzeitig fehlt oft ein soziales Netz, das verlässlich ist.

Sicherheit – finanziell, aber auch emotional – wird dann häufig in der Erwerbsarbeit gesucht. Es geht um Orientierung und den Wunsch nach Zugehörigkeit. Wir erfahren im Anderen, dass Beziehungen eine zentrale Rolle spielen. Das umfasst unsere Beziehung zu anderen Menschen, aber auch unsere Beziehung zur Welt, zum Kosmos.  Beziehungen zu Freund:innen sind ein Ausschnitt, der eine gesellschaftlich wichtige und zugleich unterschätzte Funktion erfüllt: Freundschaften sind für viele die relevanteste Beziehungsform in ihrem Leben. Freundschaften sind Orte gegenseitiger Fürsorge. Die Stärkung von freundschaftlichen Beziehungen ist eine Antwort, eine Teilantwort auf die Fürsorgekrise.“

Inwiefern sehen Sie Freundschaft als eine politisch relevante Beziehung, und was könnte die Politik tun, um Freundschaften zu stärken?

Dr. Antonia Drews: „Wie wir mit unseren Ressourcen umgehen, wofür wir unser Geld ausgeben und womit wir unsere Zeit verbringen, ist eine persönliche Entscheidung. Aber die ist natürlich politisch. Bestimmte Beziehungsformen, wie zum Beispiel Hetero Partnerschaften und die Institution Ehe, werden mehr wertgeschätzt und auch politisch mehr gefördert als andere.

Politisch wird die Bedeutung von Freundschaft wenig gewürdigt. Die Rolle von Freund:innen könnte an verschiedenen Stellen mehr anerkannt und gefördert werden. Zum Beispiel in Programmen zur Förderung von sozialer Teilhabe und Integration, die Zusammenhalt stärken und Raum für Begegnung bereitstellen. Konkret ginge das durch die Unterstützung von Gemeinschaftsräumen, Nachbarschaftshilfe oder ehrenamtlichem Engagement, was alles indirekt auch auf Freundschaften ausgelegt ist. Auch in der Pflege wird häufig auf Netzwerke von Freund:innen oder Nachbar:innen zurückgegriffen, um Menschen im Alltag zu unterstützen. Programme, die ambulante Pflege fördern, könnten im Sinne von Caring Communities auch die Rolle von Freund:innen als Unterstützer:innen im sozialen und gesundheitlichen Kontext anerkennen.

Auch in der Familien- und Partnerschaftspolitik liegen Hebel: Die Anerkennung unterschiedlicher Beziehungsformen, z.B. durch das Lebenspartnerschaftsgesetz oder die Unterstützung von Patchwork-Familien, könnte die Definition von „Familie“ auf enge Freundschaften ausweiten.“

Das Projekt fördert kollektive Fürsorge. Glauben Sie, dass unsere Gesellschaft zu stark auf individuelle Selbstfürsorge fokussiert ist?

Dr. Antonia Drews: „Mir begegnet das Konzept Selbstfürsorge viel im Arbeitskontext. Selbstfürsorge wird häufig als Synonym genutzt für: Das unternehmerische Individuum soll sich im Arbeitskontext selbst optimieren – sich in effizientem Zeitmanagement, in Abgrenzung zu anderen, in individueller Resilienz üben. Dadurch wird die Verantwortung für ungesunde Arbeitsstrukturen häufig an Individuen abgewälzt.

Was wir brauchen sind mehr fürsorgliche Strukturen und eine Aufwertung von der Tätigkeit des sich um andere Sorgen. Dabei darf man natürlich sich selbst nicht vergessen, ohne ein gesundes Maß an Selbstfürsorge geht es nicht.“

Ihr Projekt bietet Diskursformate an. Können Sie erklären, was bei diesen Treffen passiert und für wen dieses Angebot gedacht ist?

Dr. Antonia Drews: „Angefangen hat das ganz organisch. Ich habe Freund:innen in mein Wohnzimmer eingeladen, um über Freundschaft zu sprechen. Aus diesen Abenden sind wir immer mit noch mehr Neugier rausgegangen, sodass ich das Gefühl habe, diese Forschungsreise ist noch lange nicht zu Ende. Mir ist wichtig, diese Formate nicht nur einem kleinen privaten Kreis zugänglich zu machen. Deswegen lade ich in Berlin zu Salons ein, also moderierte Community-Events, in denen Aspekte von Freundschaft in einer Gruppe von Teilnehmer:innen erforscht werden. Eingeladen sind alle, die Lust haben, über Freundschaft nachzudenken und dabei nicht allein sein wollen.“

Wie können Menschen im Alltag die Freundschaft und Fürsorge in ihrem Umfeld bewusst stärken? Haben Sie praktische Tipps?

Dr. Antonia Drews: „Zuallererst: Anfangen, bewusst über Freundschaft nachzudenken (und zu fühlen). Als ich zum ersten Mal Freund:innen eingeladen habe, um gemeinsam über Freundschaft
als Beziehungsform zu sprechen, habe ich 20 Fragen vorbereitet, die mich rund um das Thema interessieren. Meine Gäste haben ausgewählt und ergänzt.

Drei Fragen, die alle bewegt haben lauten:
1) Was bedeutet Freundschaft für mich?
2) Findet Freundschaft genug Platz in meinem Leben?
2) Wie kann Freundschaft andere Beziehungsformen inspirieren?“

Welche Zukunftsvision haben Sie für das Ministerium für Freundschaft? Wie soll sich das Projekt weiterentwickeln?

Dr. Antonia Drews: „Das Ministerium für Freundschaft will anregen und dabei unterstützen, solidarische Fürsorgepraktiken zu etablieren. Dafür erforschen wir Freund:innenschaft im Gespräch, verknüpfen Erkenntnisse mit sozialwissenschaftlicher Forschung, bündeln und stellen neues Wissen füreinander und für Neugierige bereit.

Das „Wir“ ist ernst gemeint: Das Ministerium für Freundschaft ist noch jung und die Zukunftsvision erst anstehend. Mitmachen ist erwünscht!

Aktuell gibt es drei Säulen: In Berlin finden Salons statt, das heißt moderierte Community-Events, in denen Aspekte von Freundschaft in einer Gruppe von Teilnehmer:innen erforscht werden. Die Erkenntnisse aus diesem Erfahrungsaustausch, aus Literatur und Forschung fließen außerdem in den Bereich der politischen Bildungsarbeit: In Vorträgen zum Thema Fürsorge & Freundschaft möchte ich mehr Sichtbarkeit und Awareness für die politische Dimension von dieser besonderen Beziehungsform schaffen. Es gibt natürlich schon viele kluge Gedanken zum Thema Freundschaft. Mein Traum ist es, diese Perspektiven in einem Buch zusammenzubringen. Mal sehen, vielleicht meldet sich ja ein Verlag.“  



Vielen Dank fürs Gespräch, Frau Dr. Drews! 💗

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