In Folge 1 unserer Serie „EU und Ökonomie” erklären unsere Autoren, wieso es wichtig ist, dass die EU relative Ungleichheit bekämpft und wie das mit dem Rechtsruck zusammenhängt.
Es gibt eine neue Hoffnung für den Schutz der Demokratie. Denn neue Studien zeigen: Politiker:innen können sich einiger effizienter Werkzeugen bedienen, die extreme Wahlpräferenzen nach links und rechts einschränken. Eine Möglichkeit, die Staaten besitzen, stellen wir euch heute vor: die Staatsausgaben.
Denn obwohl Europa ein vergleichsweise reicher Kontinent ist, nimmt die ökonomische Ungleichheit immer weiter zu. Infolgedessen steht die EU vor einigen Herausforderungen. Die gute Nachricht ist, dass sie diesen nicht hilflos ausgeliefert ist. Denn, wie wir weiter unten sehen werden, kann sie die problematischen Folgen von Ungleichheit mit einer klugen Ausgabenpolitik selbständig bewältigen.
Doch zunächst stellt sich die Frage, wie Ungleichheit und Unzufriedenheit zusammenhängen. Um dies zu erklären, muss man einen Blick auf die Sozialität des Menschen werfen. Sie führt dazu, dass wir unser eigenes Wohlbefinden in der Regel nicht anhand von absoluten Standards, sondern im Vergleich zu den Menschen, die wir als unserer Gruppe zugehörig empfinden, messen. Doch das ist nicht nur bei Menschen der Fall.
Ähnliches Verhalten konnte auch schon bei Experimenten mit Kapuzineraffen beobachtet werden. In einem viel beachteten Experiment wurden diese für die Erledigung von kleinen Aufgaben zunächst gleichermaßen mit einem Stücken Gurke belohnt. In der zweiten Runde des Experiments erhielt einer der Affen eine, von Kapuzineraffen im Gegensatz gegenüber Gurken präferierte, Weintraube. Dies veranlasste den anderen Affen dazu, sein Gurkenstück unter lautem Protest-Rufen der Leiterin des Experiments ins Gesicht zu werfen. Er fühlte sich ungerecht behandelt.
Auch uns Menschen ist Wertschätzung sehr wichtig. Wir vergleichen uns miteinander. Das kann eine Angst vor dem Abstieg in unserer sozialen Gruppe auslösen. Nichts dagegen tun zu können, uns also als von unserer Selbstwirksamkeit entfremdet zu erleben, ist besonders frustrierend. Genau das kann Menschen dazu veranlassen, Verantwortung im außen zu suchen
Diese Stimmung kann als Nährboden für Populismus dienen. Denn Menschen, die das Gefühl haben, unaufhaltbar auf den sozialen Abstieg zuzusteuern und mit diesem Problem allein gelassen zu werden, sind eher bereit, dem politischen System den Kampf anzusagen.
Austerität und rechtsradikale Parteien
Dies wird verstärkt, wenn der Staat Austeritätspolitik betreibt. Austerität bedeutet, dass der Staat stark an Ausgaben und Investitionen spart oder Steuern erhöht, um die Staatsschulden gerade kurzfristig zu reduzieren.
So sagt auch Isabella Weber, Ökonomieprofessorin in den USA: „Wir wissen aus der Forschung, dass es einen sehr klaren Zusammenhang gibt zwischen dem Aufstieg von radikalen und insbesondere rechtsradikalen Parteien und Phasen von Austerität.“ Dies zeigt beispielsweise auch die Studie von Gabriel et al., die genau diesen Zusammenhang zwischen der Reduktion von Staatsausgaben und dem Anstieg von Wähler:innenstimmen für extreme Parteien findet.
EU-Zuschüsse und Rechtspopulismus
Die gute Nachricht ist, dass der Zusammenhang nicht nur in die eine Richtung funktioniert. Somit ist es auch möglich, dem Anstieg von rechtsextremen Parteien mit guter Finanzpolitik und Investitionen wieder entgegenzuwirken.
Empirisch wurde dieser Zusammenhang von Albanese et. al. untersucht. Die Autoren schauen sich darin die Einflüsse der EU-Politik auf die Wahlen in Italien im Jahr 2013 an. Sie betrachten, wie sich die Wahlergebnisse populistischer Parteien entwickeln, wenn sich in ähnlichen und geographisch angrenzenden Regionen die EU-Zuschüsse unterscheiden. Diesbezüglich finden die Autoren folgenden empirischen Zusammenhang: Die Stimmen für populistische Parteien werden um ca. fünf Prozent reduziert, wenn das verfügbare Einkommen durch EU-Mittel um ca. ein Prozent steigt.
Einen ähnlichen Zusammenhang findet eine neue Studie von Gold und Lehr vom Institut für Weltwirtschaft IfW. Diese betrachtet den Zusammenhang von EU-Regionalpolitik und (rechts-)populistischen Parteien. Auch diese Studie blickt auf die Unterstützung der EU zur ökonomischen Angleichung europäischer Regionen an (sog. Kohäsionspolitik). Insbesondere Investitionen in strukturschwache Regionen führen auf dem aktuellen Ausgabenniveau zu einer Reduktion um zwei bis drei Prozentpunkte in den Wahlergebnissen von rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien. Bei 200 Euro pro Kopf, die von der EU ausgegeben werden, führt dies zu mindestens einem Prozent Reduktion für eben solche Parteien. Aber nicht nur im Wahlverhalten macht das einen Unterschied, sondern auch das Vertrauen in die Demokratie sowie die Zufriedenheit mit dieser, ihren Institutionen und der EU steigt.
Wie man sieht, kann es durch kluge Ausgabenpolitik durchaus möglich sein, den Aufstieg von Parteien, die die Ängste der Bevölkerung vor einem sozialen Abstieg für politische Zwecke ausnutzen, zu bekämpfen. Wie die Studien zeigen, tut die EU dies teilweise bereits. Sie sollte dies auch in Zukunft stärker verfolgen.
Beitragsbild: Guillaume Périgois / unsplash.com
Moritz Kapff studiert Economics/Politische Ökonomik in Heidelberg. Er engagiert sich bei Plurale Ökonomik, Fiscal Future sowie zum Green (New) Deal und schreibt in seiner Freizeit zu ökonomischen und gesellschaftlichen Themen. Seine Interessen umfassen die sozial-ökologische Transformation, Zentralbanken und ökonomische Ideengeschichte.
Lennard Fredrich studiert Philosophie in Heidelberg. Er ist aktiv beim Netzwerk Plurale Ökonomik und schreibt in seiner Freizeit zu ökonomischen und gesellschaftlichen Themen.
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