Erstmals gewinnt mit Claudia Goldin eine Frau alleine den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften.
Vor Kurzem wurde der renommierte Preis an Claudia Goldin verliehen. Damit erreichen die Wirtschaftswissenschaften einen weiteren Meilenstein bei der Gleichberechtigung von Frauen – nicht nur direkt durch die Auszeichnung einer Frau, sondern auch indirekt durch die Anerkennung von Themen, mit denen sich Frauen in der Wirtschaft auseinandersetzen.
In den ersten Jahrzehnten nach der Einführung des Preises durch die Schwedische Zentralbank im Jahr 1969 gewannen hauptsächlich männliche Ökonomen aus der wirtschaftswissenschaftlichen „Mainstream“ (ein Sammelbegriff für die dominierende Schule in der Ökonomie, die häufig mit freien Märkten, knappen Ressourcen und Nutzenmaximierung verbunden wird) den Preis. Dies hat auch mit der Entstehungsgeschichte des Preises zu tun. Seinen Ursprung hat er in den Bemühungen der Schwedischen Zentralbank, sich unabhängiger von der Politik zu machen.
In der Nachkriegszeit standen die meisten Zentralbanken unter der Kontrolle der jeweiligen Regierungen. Die Einrichtung des Preises verschaffte den Wirtschaftswissenschaften ein höheres Ansehen und ermöglichte es der Schwedischen Zentralbank, durch die Auswahl der Gewinner:innen Einfluss auf die ökonomische Debatte auszuüben. Dadurch erweckte er mitunter den Eindruck, Zentralbanken könnten unpolitische Institutionen sein, die nicht durch Regierungshandeln beeinflusst werden sollten.
Ökonominnen nehmen Vorbildfunktion ein
Unabhängig davon, wie diese Entwicklung zu bewerten ist, war die fehlende Repräsentation insbesondere von Ökonominnen ein langanhaltendes Problem des Preises. Mittlerweile ist eine erste Verbesserung zu sehen. 2009 gab es mit Elinor Ostrom die erste weibliche Preisträgerin. Sie teilte sich den Preis allerdings mit ihrem Kollegen Oliver Williamson. Neben dem Vorbildcharakter, den Goldin als alleinige Preisträgerin auf junge Ökonominnen ausüben kann, ist die inhaltliche Arbeit, für die sie ausgezeichnet wurde, sehr wichtig. Den Preis gewann sie für ihre Forschung über die Partizipation und das Einkommen von Frauen im Arbeitsmarkt.
Lohnarbeitszeit von Frauen entwickelte sich U-förmig
Fälschlicherweise ist die Vorstellung weit verbreitet, dass die Lohnarbeitszeit von Frauen in den letzten Jahrhunderten stetig angestiegen ist. Claudia Goldin hat festgestellt, dass diese stattdessen eine U-Form hat. Der abfallende Teil ist zeitlich dem Übergang von Landwirtschaftsgesellschaft zu Industriegesellschaft zuzuordnen. In dieser reduzierte sich die Flexibilität von Lohnarbeit und es fand ein kultureller Wandel statt, der andere Erwartungen an Frauen stellte. Dadurch kam es zu einer Verschiebung von Lohn- zu Care-Arbeit. Mit dieser wird nicht bezahlte Arbeit, wie beispielsweise Kindererziehung, bezeichnet.
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts stieg die Lohnarbeitszeit wieder an, da der Dienstleistungssektor an Bedeutung gewann. Außerdem erkämpften sich Frauen nach und nach immer mehr Zugang zu Bildung. Zusätzlich ermöglichte die Verbreitung der Pille in der Mitte des Jahrhunderts Frauen, mehr über die Verhütung und ihren Körper zu entscheiden. Goldin zeigt, dass Frauen ihre Zukunft so besser planen können. Das hat den positiven Effekt, dass sich Investitionen in Ausbildungen lohnen, sodass der vereinfachte Zugang zu Bildung auch tatsächlich stärker von Frauen genutzt wird. Mittlerweile studieren gleich viele Frauen an deutschen Hochschulen wie Männer.
Einkommensunterschiede und ihre Hintergründe
Der Gender-Pay-Gap – sprich der Unterschied zwischen den Einkommen von Männern und Frauen – hat sich in den USA in den letzten 45 Jahren immerhin um 18 Prozent reduziert. Heute verdient eine Frau für jeden Dollar, den ein Mann verdient, 82 Cent. Goldins Forschung erklärt, welche Gründe es dafür gibt, dass es trotz des Fortschrittes immer noch nicht zu einer vollständigen Lohnangleichung gekommen ist.
Zum einen orientieren sich Frauen in ihrer Berufswahl häufig an weiblichen Vorbilder aus ihrem Leben. Längerfristige Entscheidungen wie bei der Ausbildung werden daher häufig von existierenden Vorurteilen beeinflusst. Positiv formuliert zeigt sich dadurch aber auch, welchen Wert es hat, wenn mehr Frauen durch ihre Arbeit als gute Vorbilder fungieren.
Ein weiterer Erklärungsansatz ist die Einteilung von Arbeitsplätzen in greedy und normal Jobs. Bei greedy Jobs, wird man besser, je mehr Zeit man in den Beruf steckt und dies spiegelt sich häufig auch im Lohn wider. Beispiele dafür wären Manager:innen oder Professor:innen, die mit mehr Arbeitszeit und Wissen besser in ihrem Beruf werden. Ein Gegenbeispiel für einen normal Job wären Arbeiter:innen am Band, die mit jeder zusätzlichen gearbeiteten Stunde gleich produktiv bleiben.
Care-Arbeit, insbesondere Kindererziehung, benötigt regelmäßig Aufmerksamkeit und erschwert die Ausübung eines greedy Jobs. Bei einer paritätischen, also gleichverteilten, Aufteilung von Care-Arbeit sind beide Partner:innen betroffen und somit hat der Haushalt ein geringeres Einkommen.
Wenn nur eine Person die Care-Arbeit übernimmt, hat dies also finanzielle Vorteile. Doch da meistens die Frau diese Rolle einnimmt, hat sie oft Schwierigkeiten, danach wieder (in Vollzeit) in den Arbeitsmarkt einzutreten, da ihre Kolleg:innen in der Zwischenzeit weiter arbeiten konnten.
Das lernen wir aus der Arbeit von Goldin
Goldin versucht, sich in ihrer Forschung einer normativen Bewertung zu enthalten, weist allerdings darauf hin, dass Paare glücklicher sein können, wenn sie die Care-Arbeit gleichmäßig aufteilen, dadurch aber gegebenenfalls weniger Geld zur Verfügung stehen könnte.
Diese Analysen helfen uns dabei, unsere Gesellschaft inklusiver zu gestalten. Frauen und ihrer Bedeutung und Rolle in der modernen Gesellschaft wird nämlich derzeit oft weniger Beachtung in der Wissenschaft geschenkt. Beispielsweise können wir Jobs noch flexibler machen, um den greedy Anteil zu reduzieren oder dadurch die Möglichkeit schaffen, Care-Arbeit gleichmäßiger zu verteilen. Außerdem sehen wir, wie wichtig es ist, staatliche Betreuungsangebote auszubauen, sowie vermehrt positive weibliche Vorbilder zu schaffen.
Moritz Kapff studiert Economics/Politische Ökonomik in Heidelberg. Er engagiert sich bei Plurale Ökonomik, Fiscal Future sowie zum Green New Deal und schreibt in seiner Freizeit zu ökonomischen und gesellschaftlichen Themen. Seine Interessen umfassen die sozial-ökologische Transformation, Zentralbanken und ökonomische Ideengeschichte.
Lennard Fredrich studiert Philosophie in Heidelberg. Er ist aktiv beim Netzwerk Plurale Ökonomik und schreibt in seiner Freizeit zu ökonomischen und gesellschaftlichen Themen.
Für unser Printmagazin Die Suche nach dem guten Geld haben Moritz und Lennard einen Beitrag zur Pluralen Ökonomik verfasst. Diesen könnt ihr hier nachlesen.
Beitragsbild: © Nobel Prize Outreach. Foto: Nanaka Adachi