Co-Elternschaft, Patchwork-, Regenbogen-, multilokale Familien und Co.

das ist ein GNM+ ArtikelFamilienkonzepte: Wenn Familien neue Wege einschlagen

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von | 11. September, 2023

Neben der traditionellen Familie etablieren sich weltweit alternative Familienkonzepte. Viele Regierungen haben deshalb die Gesetzgebungen angepasst und ermöglichen so Menschen in unterschiedlichen Konstellationen ein harmonisches Familienleben.

Das ist ein Beitrag aus unserem vierten Printmagazin mit dem Thema „(Keine) Kinder“. Diesen und weitere exklusive Beiträge gibt’s im GNM+ Abo

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Wovon genau sprechen wir eigentlich, wenn wir das Wort Familie nutzen? Die klassische Mutter-Vater-Kind-Konstellation ist schon lange nicht mehr das einzige Konzept, das unter den Familienbegriff fällt. Neben dem traditionellen Familienbild gibt es immer mehr Familien, die in alternativen Konstellationen leben. Dazu gehören unter anderem Patchwork- und Regenbogenfamilien, Co-Elternschaft und multilokale Familien. In manchen Ländern, wie auch in Spanien, werden selbst Haustiere als vollwertige Familienmitglieder mit eigenen Gefühlen betrachtet.

Während in westlich geprägten Ländern der Familienbegriff oft nach wie vor mit Blutsverwandtschaft gleichgestellt wird, definieren viele andere Kulturen Verwandtschaft durch andere Merkmale wie die gemeinsame Wohnsituation oder das Teilen von Essen. Doch auch in unserem Kulturkreis wandelt sich das Bild der Familie.

Familie neu denken

Beliebter werden dabei Familienkonstellationen, in denen Kindern sowie Eltern umfangreiche Freiräume geschaffen werden, ohne dass das Kindeswohl darunter leidet. Bei der Co-Elternschaft beispielsweise stehen die Elternteile nicht in einer romantischen Beziehung zueinander und leben in der Regel auch getrennt.

Dadurch, so zeigt eine Schweizer Studie, können beide Eltern besser auf sich selbst achten. Mit geregelten Zeiten, in denen sie für das Kind sorgen, entfallen oftmals klassische Rollenverteilungen zwischen den Geschlechtern. Außerdem müssen die Eltern neben ihrer Eltern-Kind-Beziehung nicht zusätzlich eine Beziehung als Paar aushandeln. 

Im Rahmen der im März dieses Jahres erschienenen Studie wurdeninsgesamt 3.000 Personen in der Schweiz befragt und zusätzlich 20 qualitative Interviews durchgeführt. Die Auswertung zeigt auch, dass Kinder durch andere Familienkonstellationen wertvolle Fähigkeiten entwickeln. Dazu zählt die Anpassung an unterschiedliche Wohnsituationen, die Suche nach dem Zuhause unabhängig von einem physischen Ort und die Offenheit für unterschiedliche Lebensentwürfe durch den Umgang mit verschiedenen Bezugspersonen.

Jochen König ist Vater einer Tochter, die er mit einer guten Freundin gemeinsam aufzieht. Er beschreibt: „Ich habe gemerkt, dass ich gut mit einem Kind zurechtkomme, dass es mir Spaß macht ein Kind zu haben, und dass ich gerne noch ein Zweites haben möchte. Das kann aber ganz schön viel für zwei Personen werden, gleichzeitig Eltern zu sein und eine Paarbeziehung zu führen. Deshalb konnte ich es mir auch ganz anders vorstellen.“

Neue Gesetze für leichtere Adoptionen

Auch die multilokale Familie – also eine Familie, in der die Eltern an getrennten Orten leben – ist kein Einzelfall mehr. Dennoch ist es rechtlich nicht immer einfach für Eltern, ihren Kindern in diesem Konzept gerecht zu werden. Beispielsweise kann für ein Kind in Deutschland kein zweiter Wohnsitz angemeldet werden. Und auch der Duden führt keinen Plural für das Wort Zuhause. Zusätzlich sind insbesondere Adoptionsrechte oft ein Diskussionspunkt.

In Deutschland ist das Thema sehr präsent. Als die Ehe für alle am 30. Juni 2017 in Deutschland verkündet wurde, fiel vielen Menschen nach jahrelangem Kampf ein Stein vom Herzen. Endlich war dieser wichtige Schritt in Richtung Gleichberechtigung getan. Und nicht nur in Deutschland hat sich diesbezüglich enorm viel gewandelt – in insgesamt 34 Ländern wurde die Ehe für homosexuelle Paare schon eingeführt. In vielen anderen wurde sie bereits angekündigt. 

Auch über die Ehe für alle hinaus tut sich vieles auf rechtlicher Ebene: In Kanada können sich seit 2016 bis zu vier Elternteile in die Geburtsurkunde eines Kindes eintragen lassen. Damit können beispielsweise zwei queere Paare, die gemeinsam ein Kind aufziehen möchten, als Eltern anerkannt werden. Gleichzeitig entfallen so hohe Kosten einer sonst nötigen Adoption.

Regenbogenfamilien im Kampf für Gleichberechtigung

Das Thema Adoptionsrechte ist in vielen Ländern nach wie vor ein großer Kritikpunkt gleichgeschlechtlicher Paare. Nicht in jedem Land, das sich zur Ehe für alle bekennt, sind Adoptionsrechte in die Einführung der Ehe inkludiert – und nicht überall schließen die Adoptionsrechte verschiedene Szenarien ein.

Grundsätzlich kann bei einer Adoption ohne ausgeweitete Adoptionsrechte, in der beide Partner:innen nicht biologisch mit dem Kind verwandt sind, nur eine:r der Partner:innen das Kind adoptieren. Sollte ein Elternteil auch biologischer Elternteil sein, kann der oder die Partner:in das Kind nicht adoptieren. Stattdessen bleiben die damit einhergehenden Rechte bei dem anderen biologischen Elternteil. 

Reformen in den Adoptionsrechten ermöglichen zuerst einmal, dass beide Eltern das Kind adoptieren können, auch wenn sie vom gleichen Geschlecht sind. So ist es beispielsweise in Deutschland der Fall. Ist ein Elternteil auch mit dem Kind verwandt, heißt das, dass nach der Geburt zuerst einmal nur dieser Elternteil das Sorgerecht für das Kind innehat. Der zweite Elternteil muss durch einen bürokratisch aufwendigen und sehr intensiven Prozess des Jugendamtes gehen, in dem die Tauglichkeit zur Elternrolle geprüft wird. 

Viele gleichgeschlechtliche Paare sehen darin eine Diskriminierung. Denn die Kinder wachsen mit dem Bewusstsein einer Familie auf, in der beide Eltern für sie gleichwertig sind. Die Fragen des Jugendamtes könnten ihre Beziehung zu dem Elternteil, der auf “Tauglichkeit” geprüft wird, womöglich irritieren. Heterosexuelle Partner:innen, die beide biologische Eltern sind, müssen diesen Prozess nicht durchlaufen.

Auch auf bürokratischer Ebene können so viele Probleme entstehen. Zum Beispiel darf der nicht-biologische Elternteil das Kind nicht aus der Kita abholen, im Falle eines medizinischen Notfalls nicht für das Kind entscheiden und auch in Erbschaftsfragen kann es zu Komplikationen kommen. 

Neuer Gesetzesentwurf für gleichgeschlechtliche Eltern

In Deutschland ist vermehrt der Ruf nach einer Gesetzesänderung vernehmbar. Tatsächlich sieht der Koalitionsvertrag der Bundesregierung genau diese Änderung im Adoptionsrecht vor. Der Gesetzesentwurf existiert bereits und bedeutet für viele Paare einen großen Schritt in die richtige Richtung. Er beinhaltet, dass Kinder, die in eine Ehe hineingeboren werden, nicht zusätzlich adoptiert werden müssen. Wann mit der Änderung gerechnet werden kann, ist zwar noch unklar , kommen wird das Gesetz aber auf jeden Fall.

Gesa Teichert-Akkermann und ihre Frau Verena Akkermann haben eine kleine Tochter, Paula. Ausgetragen wurde sie von Gesa nach einer Embryonenspende, damit ist Gesa rechtlich als Mutter eingetragen – nicht jedoch Verena. Gesa macht klar, warum ihr die Änderung der Adoptionsrechte so wichtig ist: „Das ist tatsächlich auch so: Im Herbst, Winter letzten Jahres, als ich dann schon ziemlich weit mit der Schwangerschaft war, haben wir eben miteinander entschieden, dass wir uns nicht diesem diskriminierenden Verfahren der Stiefkindadoption unterwerfen wollen. Denn uns war immer klar, wenn das Kind geboren ist, gibt es kein Kind zu adoptieren, sondern da ist ein Kind, das hat zwei Mütter. Und sich fragen lassen zu müssen, ob Paula hier gut aufgehoben ist, dass meine Frau lang und breit erzählen soll, ob sie eine Beziehung zu diesem Kind hat – das ist eben aufgrund der ganzen Entstehungsgeschichte so absurd, dass wir uns in die Augen geguckt haben und gesagt haben: Das machen wir nicht.“ Mit dem Gesetz wird Menschen wie Gesa Teichert-Akkermann und ihrer Frau Verena Akkermann eine riesige Hürde genommen.

Während die Einführung der Ehe für alle nicht immer mit einer Reformation der Adoptionsrechte einhergeht, gibt es diesbezüglich einen positiven Trend: Kurz nach der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe entscheiden sich auch viele Länder dazu, die Adoptionsrechte anzupassen und so gleichgeschlechtlichen Paaren die Türen zur Familiengründung zu öffnen. Während alternative Familienkonzepte sich also immer weiter etablieren, passen sich langsam auch Gesetze und Rahmenbedingungen an diese neue Art des Zusammenlebens an.

In Kroatien beispielsweise gab es im Jahr 2021 ein Gerichtsurteil, das für gleichgeschlechtliche Paare die Adoption ungemein vereinfacht: Dieses bestätigt, dass die Geschlechter der zukünftigen Eltern im Rahmen von Adoptionsverfahren nicht in die Bewertung der Tauglichkeit einbezogen werden dürfen. Ähnliche Urteile sorgen weltweit für mehr Gleichberechtigung alternativer Familien.

Meilensteine auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung für gleichgeschlechtliche Paare

Niederlande, 2001

Die Niederlande führten als erstes Land der Welt die gleichgeschlechtliche Ehe ein und sind damit Vorreiter auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung für homosexuelle Paare.

Südafrika, 2006

Als erstes – aber bisher einziges – afrikanisches Land entschied sich Südafrika 2006 für die Ehe für alle.

Argentinien, 2010

Das erste südamerikanische Land, welches für mehr Gleichberechtigung in der Liebe stimmte, war Argentinien, dicht gefolgt von Brasilien im Jahr 2013.

Taiwan, 2019

In Asien schrieb Taiwan im Jahr 2019 Geschichte mit der Einführung der Ehe für alle. Seit diesem Jahr können gleichgeschlechtliche Paare auch Kinder adoptieren.

Kroatien 2021

Nachdem es in Kroatien zu einem Fall von Diskriminierung gegen ein gleichgeschlechtliches Paar bei der Kinderadoption kam, bestätigte ein Gericht, dass Paare gleichen Geschlechts bei Adoptionen die gleichen Rechte haben und deshalb nicht diskriminiert werden dürfen. Dieses Urteil ist richtungsweisend für zukünftige Adoptionen.

Chile, 2021

Zum Ende des Jahres 2021 entschied das chilenische Parlament für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und folgte damit den anderen lateinamerikanischen Ländern Argentinien, Kolumbien, Brasilien, Costa Rica, Ecuador, Uruguay und Teilen von Mexiko.

Slowenien, 2022

Die slowenische Regierung entschied im Oktober 2022 als erstes osteuropäisches Land für die Heirat von Paaren gleichen Geschlechts.

Thailand, 2023

Thailand könnte das zweite asiatische Land werden, das die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare einführt. Nachdem im Mai dieses Jahres eine neue Regierung gewählt wurde, die sich für ein demokratischeres, liberales Thailand einsetzt, werden auch die Stimmen für die Ehe für alle lauter.

Estland, 2024

In Estland kommt die Ehe für alle mit dem Start ins Jahr 2024. Gleichzeitig werden gleichgeschlechtlichen Paaren auch Adoptionsrechte zugesichert. Jedoch ist nach wie vor die Zustimmung des anderen biologischen Elternteils notwendig.

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    Lara Dehari

    Lara ist Redakteurin beim Good News Magazin. Sie träumt nicht nur von einer besseren Welt, sondern gestaltet sie mit ihren Artikeln aktiv mit. Sie hat Wirtschaftspsychologie und Medienmanagement studiert, bevor sie den Journalismus für sich entdeckte.

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