Periodenfreundliche Arbeitsplätze und Schichtpläne nach der inneren Uhr: So können individuelle Arbeitsmodelle unseren Lebensalltag und unsere Gesundheit positiv beeinflussen.
Das ist ein Beitrag aus unserem dritten Printmagazin mit dem Thema „Perspektivwechsel“. Diesen und weitere exklusive Beiträge gibt’s im GNM+ Abo
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„Bloß kein 9 to 5 Job“, das singen nicht nur Kraftklub, auch ein immer größerer Teil gerade jüngerer Arbeitnehmer:innen wünscht sich Alternativen zur klassischen 40-Stunden-Woche. Nicht zuletzt durch die Covid-19-Pandemie ist der Arbeitsalltag für viele Menschen schon flexibler geworden. Es gibt jedoch noch Luft nach oben: Was, wenn wir unseren Arbeitsalltag an dem orientieren könnten, was unser Körper uns vorgibt – zum Beispiel an unserem Biorhythmus oder gar am Menstruationszyklus? Wie das in der Praxis funktionieren kann und welche Vorteile eine solche Umstellung mit sich bringt, haben uns Menschen erklärt, die es ausprobiert haben.
Von Eulen und Lerchen
Anita Weiß beschäftigt sich schon lange mit der Frage, wie eine gute Zeiteinteilung funktionieren kann. Ihre Erkenntnisse teilt die Zeitplanerin im gleichnamigen Podcast und auf ihrem Blog. Mit ihrem eigenen Biorhythmus setzte sie sich allerdings erst viel später auseinander, nämlich nach Recherchen für einen Podcast über Chronotypen. Chronotypen sind das, was wir nicht fachlich als die innere Uhr bezeichnen würden. Sie entscheiden, zu welchen Tageszeiten wir uns wach oder müde fühlen, mehr oder weniger produktiv sind. Bekannte Chronotypen sind Lerchen (die klassischen Frühaufsteher:innen) und natürlich die (Nacht) Eulen, die dann produktiv werden, wenn die Lerchen bereits tief und fest schlafen. Tatsächlich sind die meisten Erwachsenen aber eher Mischtypen.
Nur die wenigsten von uns wissen wirklich über ihren eigenen Biorhythmus Bescheid. Bei noch weniger orientieren sich die vorgegebenen oder sogar selbst gewählten Arbeitszeiten daran. So auch bei Anita Weiß: In ihren Jahren als selbstständige Journalistin und Kommunikationsberaterin arbeitete sie oft bis ein oder zwei Uhr nachts und fing schon früh am nächsten Morgen wieder an. „Auf meine persönlichen Hochs und Tiefs im Laufe des Tages habe ich dabei null geachtet”, gibt die Zeitplanerin zu.
„Früher habe ich einfach bis zur Erschöpfung durchgearbeitet. Heute merke ich, wenn mein Energielevel und damit vor allem meine Konzentrationsfähigkeit sinkt und mache rechtzeitig eine Pause”
Anita Weiß
Zeit für Kaffee, Pausen und zum Abschalten
Das hat sich inzwischen geändert, auch weil Anita Weiß im Zuge ihrer Recherchen einige überraschende Erkenntnisse machte, „dass ich zum Beispiel gar keine so eulige Eule bin wie gedacht”. In kleinen Schritten versucht die Zeitplanerin seitdem, ihren Arbeitsalltag mehr danach auszurichten, was ihr Körper ihr vorgibt. Vor allem, was die Anfangszeit betrifft. „Ich brauche einfach länger, um in den Tag zu starten”, erkennt sie an. Darum geht es frühestens um 8:30 Uhr an den Schreibtisch, manchmal auch erst um 9:30 Uhr. Vorher gibt es Zeit für einen kurzen Spaziergang und den ersten Kaffee.
Der zweite wichtige Punkt: nach 22 Uhr wird der Laptop zugeklappt, auch wenn es um die Zeitplanerin geht, für die Anita Weiß oft nach ihrem Job noch an Beiträgen bastelt. Um sicherzustellen, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes herunterfahren kann, wird vorher noch der nächste Tag geplant, „ein ganz wichtiges Ritual, um abschalten zu können”. Die positiven Auswirkungen schon der kleinsten Schritte waren schnell spürbar, sowohl für die Arbeit als auch für ihr Leben außerhalb davon, berichtet die Zeitplanerin: „Ich schlafe schneller ein und wache deutlich erholter auf. Insgesamt bin ich durch die Anpassungen entspannter und leistungsfähiger, mache weniger Flüchtigkeitsfehler und fühle mich zum Feierabend nicht mehr so erschöpft.“
Chronotypen im Schichtdienst
Gute Gründe also, sich zu fragen: Wann fühle ich mich eigentlich fit? Und die Arbeitszeiten danach auszurichten. Die Verantwortung liegt hier vor allem bei Unternehmen. Dass es für sie durchaus möglich ist, den Biorhythmus in der Arbeitsplanung zu berücksichtigen, und zwar sogar im Schichtdienst, beweist die Klinik Wartenberg. Nachdem dort in Angestelltenbefragungen über die Jahre das Thema Schlaf, insbesondere Schlafstörungen und Folgen wie HerzKreislauf-Beschwerden und psychosomatische Beschwerden immer wieder eine große Rolle spielte, startete die Klinik im März 2019 das Gesamtprojekt Chronobiologie.
Anhand von Bluttests und Fragebögen konnten Mitarbeiter:innen ihren Chronotyp feststellen lassen und bereits im Jahr darauf wurden auf Basis der Ergebnisse die Dienstpläne umgestellt. Seit August 2020 werden in der kompletten Klinik Pflegekräfte nach Möglichkeit so eingeteilt, dass die Arbeitszeiten ihrem Biorhythmus entsprechen.
Die Erkenntnisse können sich sehen lassen. Bei knapp der Hälfte der Angestellten sind Schlafstörungen deutlich zurückgegangen oder verschwunden, ein Viertel leidet nicht mehr an Krankheiten wie Rückenschmerzen oder Herz-Kreislauf-Problemen. Allgemein geht es den Teilnehmenden körperlich deutlich besser, zudem hat „der Enthusiasmus für das tägliche Leben zugenommen“, so Norman Dassler, Mitinitiator des Projekts. Er will das Erfolgskonzept Chronotyp-orientierte Personaleinsatzplanung nun in weitere Unternehmen tragen.
Work That Period!
Der Biorhythmus ist jedoch nur eine Schraube, an der wir drehen können – oder sollten –, um unseren Arbeitsalltag besser mit unseren körperlichen Bedürfnissen zu vereinen. Ein anderer Faktor ist der weibliche Menstruationszyklus. Spanien machte Mitte Februar 2023 Schlagzeilen, als es als erstes Land ein Gesetz für „Menstruationsurlaub“ beschloss. Der Begriff „Urlaub“ allerdings ist mit Vorsicht zu genießen, gilt der rechtliche Anspruch auf zusätzliche freie Tage schließlich nur bei schwerwiegenden Symptomen. Auch einige deutsche Unternehmen bieten ihren Mitarbeitenden inzwischen freie Tage bei Menstruationsbeschwerden an. Beim Münchner Putzmittel-Startup Everdrop heißen sie „Power Days“, so räumt man gleich
mit der negativen Konnotation der Periode auf. Dass menstruierende Personen sich bei Zyklusbeschwerden ohne Angst vor Stigmata freinehmen können, ist wichtig. Damit ist es jedoch nicht getan, argumentiert Katharina Eggert (unser Titelbild). Sie hat die Plattform Work That Period gegründet, um Unternehmen und Privatpersonen darüber aufzuklären, was Menstruationsgesundheit am Arbeitsplatz bedeutet und wie sie erreicht werden kann.
Was bedeutet zyklusorientiertes Arbeiten?
Wie genau ein Arbeitsplan nach dem Zyklus aussehen kann, dafür gibt es keine Vorlage. Denn der Menstruationszyklus kann extrem unterschiedlich sein, von Person zu Person, aber auch von Monat zu Monat. Die Spanne reicht von wenig bis gar keinen spürbaren Effekten bis hin zu psychischen Problemen, starken Krämpfen, Müdigkeit oder Kopfschmerzen. Dementsprechend vielfältig sind die Bedürfnisse im Arbeitsalltag. Essenziell ist darum vor allem Flexibilität und, mehr als alles andere, offene Kommunikation, betont Katharina: „Das Problem ist nicht, dass die Symptome vorkommen. Viel schlimmer ist, dass viele nicht offen darüber sprechen können und über ihre eigenen Kräfte hinaus versuchen zu performen, damit sie nicht als schwach gelten.“ Katharina spricht aus eigener Erfahrung. Dass sie eine prämenstruelle Störung hat, war ihr lange selbst nicht bewusst. „Ich wusste schon immer, in der zweiten Zyklushälfte geht es mir oft nicht gut, aber ich wusste nicht genau warum“, erzählt sie. Auch darum fiel es ihr schwer, offen darüber zu sprechen, warum sie immer öfter ausfiel, als die Beschwerden sich in einem von hohem Workload und wenig Flexibilität geprägten Berufsalltag stetig verschlimmerten. Irgendwann war der Druck zu groß, sie kündigte. Im neuen Job machte sie es anders, kommunizierte von Anfang an ehrlich, dass sie zu bestimmten Zeiten andere Konditionen und mehr Flexibilität brauche – und stieß auf großes Verständnis. Diese Erfahrung war für die studierte Gesundheitsökonomin „ein Gamechanger“ und gleichzeitig der Anstoß, genauer nachzuhaken. Schnell fand sie heraus: Beschwerden rund um den Menstruationszyklus sind für viele Arbeitnehmende ein großes Thema. In einer Studie aus den Niederlanden gaben gar 81 Prozent der Teilnehmenden an, dass ihre Menstruationsbeschwerden sich auf ihre Leistungsfähigkeit auswirken. Nur: Bei vielen Arbeitgebenden ist diese Botschaft noch nicht angekommen.
Die kleinen Schritte entscheiden
Wie also können Unternehmen periodenfreundlicher werden? Schritt eins, so Katharina: ein Informationsangebot bereitstellen. Denn es gibt oft noch große Wissenslücken, wie vielfältig sich der Zyklus auf das Wohlbefinden und die Arbeit auswirken kann. Viele Personen erleben durch ihre Aufklärungsarbeit den berühmten Aha-Moment, berichtet
Katharina schmunzelnd, und zwar egal, ob sie selbst menstruieren oder nicht. Dieses Wissen ist die Voraussetzung dafür, dass ein Raum für Austausch entstehen kann, vielleicht auch eine Anlaufstelle, an die sich die Mitarbeitenden wenden können. Für die konkreten Maßnahmen sei es dann wichtig, die Meinung und Vorschläge der Angestellten einzuholen – zum Beispiel über einen Fragebogen. In der Umsetzung sind es dann oft die berühmten kleinen Schritte, die den Arbeitsalltag signifikant verbessern können. Periodenprodukte auf den Toiletten zum Beispiel, Wärmflaschen am Arbeitsplatz oder kleine Änderungen in der Terminplanung. So konnte eine ihrer Kundinnen sich durch Zyklus-Tracking im Voraus für bestimmte Zeiten Blocker setzen und spontane Terminverschiebungen und -absagen vermeiden.
Der Zyklus hat auch Vorteile
Apropos Terminplanung: Wer den eigenen Zyklus kennt, kann diesen unter Umständen sogar für sich arbeiten lassen. Denn auch wenn er oft so dargestellt und wahrgenommen wird, ist der Zyklus nicht nur „etwas Nerviges, Lästiges“, fährt Katharina fort, jede seiner Phasen bringt ihre Vorteile mit sich:
Zyklusorientiertes Arbeiten zu ermöglichen, kann also für Unternehmen sogar ökonomisch sinnvoll sein. Für die Angestellten geht es, das ist klar, in erster Linie darum, besser auf sich achten zu können. Dennoch, egal, wie individuell die Auswirkungen des Zyklus sind, für Katharina wie auch viele Kundinnen war es eine „riesige Erleichterung“ zu merken: „Ich kann genauso gut arbeiten wie alle anderen, ich muss meinen Arbeitsalltag nur anders gestalten und brauche Unterstützung in gewissen Phasen.”
Arbeitsmodelle, die gut für die Gesundheit sind
Letzendlich gehen Vorteile für Angestellte und Unternehmen Hand in Hand, betont Katharina. Denn Mitarbeitende, die mit ihren individuellen Bedürfnissen statt Druck Akzeptanz und Wertschätzung erfahren, fühlen sich wohler im Unternehmen, das wiederum schafft ein produktiveres Arbeitsumfeld. Und dann gibt es noch einen weiteren Vorteil, der für Katharina noch viel zu wenig beachtet wird: der gesellschaftliche. Denn wenn es gelingt, das Thema Menstruationszyklus am Arbeitsplatz zu enttabuisieren, könne das ein „Eisbrecher“ sein, hofft sie – für eine offenere Kommunikation auch über andere stigmatisierte psychische und physische Krankheiten und den Umgang damit im Arbeitsalltag. Gerade in der jüngeren Generation sieht sie ein wachsendes Bewusstsein für individuelle Bedürfnisse und dadurch Chancen, „ganz viel Positives anzustoßen“.
„Es wird gesellschaftlich immer relevanter, dass Arbeitnehmende sich dort wohlfühlen, wo sie arbeiten, und auch langfristig eine Perspektive sehen“, resümiert sie. Im besten Fall führt das zunehmend zu Arbeitsmodellen, die unserer körperlichen und mentalen Gesundheit guttun.
Die Menstruationsphase kann ein guter Zeitpunkt sein, um den Blick darauf zu richten, was im nächsten Monat ansteht, und einen Neustart zu initiieren.
Die Folikelphase bringt oft Motivation für neue Projekte und ist damit „die perfekte Phase für schwierige Aufgaben”.
Der Eisprung macht uns meist deutlich sozialer und kommunikativer.
Und die für viele Menstruierende eher schwierige Ludealphase zwischen Eisprung und Blutung kann eine gute Zeit für administrative oder detailorientierte Aufgaben sein.
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