Inspirierende Leistungen und der Kampf um Gleichberechtigung

das ist ein GNM+ ArtikelÜber die Paralympics und warum sie Sportler:innen der Zukunft begeistern

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von | 6. September, 2021

Rekorde, Medaillen und Hochzeitsanträge – Die Paralympics schreiben nicht nur einzigartige Geschichten, sie beeinflussen auch unsere Gesellschaft.

Was ergeben zwölf Wettkampftage, 23 Sportarten, 539 Wettbewerbe, rund 4.500 Athlet:innen, 160 Nationen und Millionen Zuschauer:innen?
Die Paralympischen Spiele, das drittgrößte Sportevent der Welt und der größte Wettkampf für Athlet:innen mit körperlichen oder kognitiven Behinderungen.

Von Behandlungsmethode zum Mega-Sportevent

Ähnlich wie die Olympischen Spiele blicken die Paralympics auf eine bewegende Geschichte zurück. Schon Ende des 19. Jahrhunderts existierten einige Sportarten für Menschen mit Behinderungen beispielsweise Schach und Kegeln. Der wohl erste Sportverein sei 1888 für gehörlose Menschen gegründet worden.

Eine breite Aufmerksamkeit erhielt der Sport für Menschen mit Behinderung allerdings erst nach dem zweiten Weltkrieg. Verantwortlich dafür war ein Neurochirurg aus Großbritannien. Im Auftrag der britischen Regierung behandelte Dr. Ludwig Guttmann Kriegsveteran:innen, die wegen Rückenmarksverletzungen einen Rollstuhl nutzen. Der wesentliche Teil seiner Behandlungs- und Rehabilitationsmethoden: Sport.

Anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Spiele in London veranstaltete Guttmann am 29. Juli 1948 mit 16 seiner Patient:innen den ersten Wettkampf für Menschen mit Behinderung. Sie traten gegeneinander im Bogenschießen an.

Die sogenannten Stoke-Mandeville-Games, benannt nach der Klinik, in der Guttmann praktizierte, gelten als Vorbild für die Paralympischen Spiele, wie wir sie heute kennen. Ludwig Guttmann ist somit Begründer der paralympischen Bewegung, der ersten Spiele für Menschen mit Behinderungen. Immer mehr Athlet:innen und Sportarten schlossen sich Guttmanns Idee an. Im Jahr 1960 wurden dann die ersten paralympischen Spiele in Rom mit 400 Athlet:innen aus 23 Nationen ausgetragen – damals noch als Internationale Stoke-Mandeville-Games.

Der Begriff Paralympics fand erst bei den Spielen von 1988 in Seoul Einzug. Über die Bedeutung des Zusatzes “para” herrscht noch heute Uneinigkeit. Einige führen ihn auf das englische Wort “paralysed” zurück, was soviel bedeutet wie “gelähmt”.

Das Internationale Paralympische Komitee interpretiert den Begriff jedoch anders: Entsprechend der griechischen Übersetzung “neben” oder “bei” drücke er das gleichberechtigte Nebeneinander von paralympischen und olympischen Spielen aus.

Heute zählt das Internationale Paralympische Komitee über 200 Mitglieds-Nationen. Aus der Idee von Dr. Ludwig Guttmann wurde das drittgrößte Sportevent der Welt – neben den Olympischen Spielen und der Fußball-Weltmeisterschaft.

“Nichts ist unmöglich, wenn man hart arbeitet”

Die ganze Welt konnte dieses Jahr nach der Pandemie-Verspätung die 16. Paralympischen Spielen in Tokyo verfolgen. Es wurden beispielsweise Wettkämpfe in Sitzvolleyball, Rollstuhlrugby, Goalball oder Para-Triathlon abgehalten.

Ein Tischtennisspieler aus Ägypten verlor im Alter von zehn Jahren bei einem Zugunglück beide Arme. Er heißt Ibrahim Hamadtou und hält den Schläger in seinem Mund. Den Ball wirft er mit seinem rechten Fuß für den Aufschlag. Zuschauer:innen staunen über seine Wucht und Präzession während der Ausführung im Spiel mit seinem Gegner Hong Kyu Park aus Korea.

Für den 48-Jährigen war das Tischtennisspielen eine Herausforderung: “In meinem Dorf konnten wir nur Fußball und Tischtennis spielen – deshalb habe ich beides gespielt. Natürlich habe ich aufgrund meines Unfalls zuerst mit Fußball angefangen. Erst danach habe ich als Challenge Tischtennis gespielt”, erinnerte er sich in einem Interview mit CNN. Leicht sei es ihm aber nicht gefallen. Er habe zunächst unterschiedlichste Techniken ausprobieren und anschließend drei Jahre täglich trainieren müssen, um sein Spiel zu perfektionieren. Dieser Ehrgeiz überrascht allerdings nicht, wenn man seine Lebensphilosophie hört: “Ich glaube, nichts in unmöglich, wenn man hart arbeitet.”

Sportliche Liebe

Bewegend ist ein 200-Meter-Lauf meist nur für die Athlet:innen. Bei den diesjährigen Spielen rührte ein Qualifikationsrennen sicherlich auch viele Zuschauer:innen auf der Couch. Sprinter:innen mit Sehbehinderungen laufen im Para-Sport mit Laufbegleiter:innen, die ihnen helfen, die Spur auf der Tartanbahn zu halten. Keula Pereira Semedo und ihr Begleiter Manuel Vaz da Veiga aus Kap Verde schafften es zwar nur als vierte über die Ziellinie. Doch direkt danach machte Manuel Vaz da Veiga ihr einen Heiratsantrag und Keula Pereira Semedo antwortete mit: “Ja, ich will.”

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“Meine Eltern werden ausflippen. Sie werden sich freuen. Das waren meine ersten Paralympics und mit meinem Alter und meinen Laufzeiten habe ich überlegt, nach den Spielen aufzuhören. Aber jetzt habe ich eine zusätzliche Motivation, um weiter zu machen, immer mit ihm an meiner Seite”, sagte die 32-Jährige kurz nach dem Antrag. “Für das glückliche Paar könnte das Motto dieser Spiele ‘United by Emotion’ wohl kaum besser passen”, schrieb das Internationale Paralympics Commitee (IPC) dazu. Wie sagt man so schön? Pech im Spiel, Glück in der Liebe.

“Paralympischer Sport ist Leistungssport”

Seit den ersten Stoke-Mandeville-Games 1948 hat sich die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderung weiter entwickelt – nicht nur im Sport. Doch die soziale Teilhabe, ihre Eigenständigkeit und die Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum sind auch heute noch stark eingeschränkt. Dennoch läuft ein Entwicklungsprozess – das zeigen die Zahlen – in die richtige Richtung. Ein Prozess, den auch der paralympische Sport erlebt.

Im Zentrum dieser Entwicklungen steht vor allem eines: Die tatsächliche Gleichberechtigung von Menschen mit und Menschen ohne Behinderungen. Nicht umsonst wird die erwähnte Diskussion um den Namen “Paralympics” geführt. Para-Sport sollte nicht als Ersatz-Sport betrachtet werden, sondern auf Augenhöhe mit den klassischen olympischen Disziplinen. “Paralympischer Sport ist Leistungssport und das sollen die Leute auch wahrnehmen”, sagte der dreimalige Goldmedaillen-Gewinner und Weltrekordhalter im Para-Weitsprung Markus Rehm gegenüber der Deutschen Sporthilfe.

Gleiche Leistung, gleiches Geld

Ein erster Schritt für diese Wahrnehmung sollen die Fördersummen und Prämien für die Athlet:innen sein. Im Vorfeld der diesjährigen Paralympics glich die Deutsche Sportförderung die Unterstützungszahlungen von Sportler:innen mit und ohne Behinderungen an. Das bedeutet: Sowohl Teilnehmer:innen an Olympia als auch Teilnehmer:innen der Paralympics erhalten bis zu 800 Euro im Monat. Die Medaillenprämie ist seit den Winterspielen von Sotschi gleichgestellt: 20.000 Euro für Gold, 15.000 Euro für Silber und 10.000 Euro für Bronze.
Auch andere Nationen nehmen sich daran ein Beispiel. Die USA zahlen den Kadern beider Spiele beispielsweise für eine Goldmedaille 52.000 US-Dollar aus.

Gleichzeitig gibt es allerdings zahlreiche Länder, die ihren paralympischen Athlet:innen im Vergleich deutlich weniger zugestehen – Kanada sogar gar nichts. Auch Australien gehörte zu diesen Ländern, will die Prämien nun aber angleichen – entsprechend des Schlüssels für deutsche Athlet:innen. Auf einer Pressekonferenz sagte der australische Premierminister dazu: “Ich freue mich bekanntgeben zu können, dass unsere Regierung zusätzliche Unterstützung zur Verfügung stellen wird, damit unsere paralympischen Medaillengewinner dieselben Prämien erhalten wie unsere Olympioniken.”

Sportliche Zukunft

Athlet:innen mit Behinderung haben mit Athlet:innen ohne Behinderung mehr als nur den hohen Leistungsanspruch gemein. Mit ihrer Hingabe, ihrem Kampfgeist und ihrem Willen, sind sie vor allem Vorbilder. Eine Studie der Zhejiang Normal University hat gezeigt, dass Kinder mit Behinderungen nach dem Verfolgen der Paralympischen Spiele nicht nur begeistert von den Fähigkeiten und Leistungen der Athlet:innen sind, sondern auch selbst mit einer Sportart oder kleineren sportlichen Aktivitäten beginnen wollen. Obwohl sie sich zuvor noch nie sportlich betätigt haben, möchten einige von ihnen anschließend sogar selbst an den Paralympics teilnehmen.

Im Jahr 2024 finden die nächsten Paralympics in Paris statt. Welcher Grund könnte schöner sein, um sich auf das nächste große Para-Sportspektakel zu freuen?

Beitragsbild: Arisa Chattasa / Unsplash

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    Paul Esser

    Paul Esser ist stellvertretender Chefredakteur beim Good News Magazin. Wenn er gerade keine Medien macht oder konsumiert, studiert er Politikwissenschaften und Psychologie. Warum das alles? Lösungen waren schon immer spannender als Probleme!

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