Spanien verpflichtet zu genderneutraler Werbung für Kinder. Grund genug zu fragen, wie sich Werbung an alle Menschen richten kann, meint unserer stellvertretender Chefredakteur Paul Esser in seinem Good News Thought.
Bestimmt seid ihr auf Youtube auch schon mal über den Dr. Oetker-Werbefilm aus dem Jahr 1954 gestolpert. Falls nicht die Storyline geht in etwa so: Die überaus tüchtige Renate kommt nach einem langen Tag an der Schreibmaschine nach Hause und hetzt direkt wohin? Natürlich in die Küche. Denn “bald wird Peter da sein und hat einen Bärenhunger.” Damit sein wohlverdienter Pudding auch ja schnell genug auf dem Esstisch stehen kann, hilft Renate sich mit einem ganz besonderen Schnellkoch-Pulver. Währenddessen spricht eine Stimme aus dem Off folgenden Satz: “Sie wissen ja: Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?”
Und heute?
Heute können wir meist über solche Werbebotschaften schmunzeln. In den fast 70 Jahren, die seit der Veröffentlichung dieses Spots vergangen sind, sind diskriminierende Rollenbilder aufgebrochen und das gesellschaftliche Bewusstsein von Geschlecht, Sexualität und Identität ist gewachsen. Und dennoch: Laut der Marketing-Studie “Ad Reaction: Getting Gender Right” kommen Männer nicht nur häufiger in der Werbung vor, sondern besetzen auch häufiger Hauptrollen. Werbung, die sich explizit an Frauen richte, drehe sich zudem nicht um Autos, sondern vor allem um Wäsche- und Küchenprodukte, so die Studie.
Gleichzeitig finden mehr als drei Viertel der weiblichen und etwas mehr als 70 Prozent der männlichen Personen, die das Team rund um Rosie Hawkins zu Gender in der Werbung befragt hat, dass Frauen in der Werbung unterrepräsentiert sind. Die Schieflage fällt also schon klar auf. Aber wie kann diese Erkenntnis genutzt werden, um Werbung von solchen Stereotypen zu befreien? Und welche Lösungsansätze gibt es bereits?
Werbung für Kinder
Vor einigen Wochen ging die Nachricht durch die Medien, dass Spanien sexistische Spielzeugwerbung für Kinder verbietet. Der Dachverband der spanischen Spielzeughersteller einigte sich mit der Regierung darauf, zukünftig auf geschlechtsspezifische Werbespots zu verzichten. Denn tatsächlich sind es vor allem die Kleinsten, denen zwischen Süßigkeiten und Spielzeug häufig überholte Rollenbilder vermittelt werden. Manchmal ganz explizit mit dem Ritterschwert für Jungen und dem Prinzessinnenschloss für Mädchen, manchmal indem derselbe Schokoriegel einmal in rosafarbener und einmal in blauer Folie mit der Aufschrift “für Mädchen” oder “für Jungs” eingepackt wird. Diese Stereotype sollen in Spanien nun aufgebrochen werden, indem zukünftig jede Spielzeugwerbung verschiedene Standards erfüllen muss, sich dass sich jeder Werbespot an jedes Kind richtet. Und das ist gut so.
Das sogenannte Gender-Marketing basiert auf der Grundannahme, dass Menschen mit unterschiedlichem Geschlecht unsere Welt auf unterschiedliche Art und Weise wahrnehmen und deshalb auch auf unterschiedliche Art und Weise in ihr handeln. Die eigentliche Idee des Gender-Marketings ist es, diesen verschiedenen Bedürfnissen und Präferenzen gerecht zu werden. Biolog:innen und Forscher:innen beobachten solche Unterschiede schon bei Kleinkindern: “Das ist beispielsweise, dass kleine Mädchen mehr Interesse an Gesichtern zeigen, an Menschen zeigen, kleine Jungen eher an mechanischen Sachen, beispielsweise für ein Mobile, das über ihrem Bettchen hängt“, sagt der Evolutionsbiologe Harald Euler gegenüber dem Deutschlandfunk.
Genderforscher:innen sehen das anders. Das, was wir Geschlecht nennen, ist nach ihrer Auffassung vor allem ein Konstrukt, das sich aus gesellschaftlichen Traditionen und Erwartungen zusammensetzt. Worauf Menschen bei Werbespots reagieren ergibt sich demnach genau aus den Klischees, die dort reproduziert werden. Sei es der Mann mit gestähltem Oberkörper und gegelten Haaren, der würstchen-grillend ein teures Auto durch einen Baumarkt fährt oder die Frau mit glänzenden Locken, die fettreduzierte Flecken aus der Wäsche ihrer Kinder zaubert.
Für Menschen, nicht für Geschlechter
In der Diskussion wirkt es oft so, als stünden sich diese beiden Ideen komplett unvereinbar gegenüber. An einem Punkt können sie sich aber auf jeden Fall treffen: Jeder Mensch sollte das bekommen und vor allem das sein können, was er oder sie möchte. Das heißt: Natürlich gibt es Männer, die das Bedürfnis haben, im Sportwagen durch den Baumarkt zu (Achtung!) brettern. Natürlich gibt es Frauen, die mit gestylten Haaren den Haushalt machen. Und ja, vielleicht kommt ein Werbeinstitut zu dem Ergebnis, dass vor allem Männer das erste und Frauen das zweite Bedürfnis haben. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch genau umgekehrt sein kann. Und genau deshalb ist es so wichtig, dass sich Werbung nicht an Geschlechter, sondern an Menschen richtet. Und ganz bewusst auch an queere Menschen und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Aber noch bevor die Werbung genau das tun kann, müssen auch die beworbenen Produkte diesem Anspruch gerecht werden. Vielleicht kann damit sogar schon die Lösung an der Wurzel gefunden werden. Zahlreiche – und teilweise sehr prominente – Hersteller:innen finden bereits Ansätze genau dafür. Schon seit Jahren wechselt der Trend beispielsweise hin zu mehr Unisex-Kleidung und überall im Netz finden sich Shops für genderneutrales Spielzeug. Zudem gibt es immer mehr Kinderbücher, die die Vielfalt und Diversität unserer Welt vermitteln,ie von Jungs erzählen, die sich gerne in einem rosafarbenen Tutu kleiden, von Motten, die davon träumen, anders zu sein oder von zwei Prinzen, die sich ineinander verlieben.
Diverse Barbies und inklusive Hotwheels
Auch die berühmten Barbie-Puppen entfernen sich immer mehr von den Stereotypen, die ihnen sogar in bekannten Songs nachgesagt werden. Schon 2019 hat sich die Herstellerfirma Mattel dazu entschlossen, Barbie und Ken divers werden zu lassen. Seitdem können sich Kinder die Puppen mit unterschiedlichen Hautfarben und frei von Gendernormen zusammenstellen ganz wie sie es wollen. Und vor Kurzem gab es eine neue Erweiterung: Die Barbie-Reihe bietet nun nicht nur Puppen mit unterschiedlichen Haut- und Haarfarben oder Körpermaßen, sondern auch mit körperlichen Einschränkungen – etwa Puppen mit Hörgerät, einer Beinprothese oder in einem Rollstuhl.
“Wir sind unglaublich stolz darauf, Kindern dabei zu helfen, verschiedene Versionen von Schönheit und Mode zu entdecken – die sich in Puppen widerspiegeln, die wie sie selbst aussehen. Aber was fast noch wichtiger ist: in Puppen, die ganz anders aussehen als sie selbst“
Anna Polsak, Kommunikationschefin von Mattel Deutschland
Ein Rollstuhl spielt auch bei einem neuen Hotwheels-Spielzeug eine große Rolle. In Kooperation mit dem amerikanischen Paralympics Athleten Aaron “Wheelz” Fotheringham wurde eine ferngesteuerte Spielzeug-Version von ihm entwickelt, die wie er mit dem Rollstuhl Tricks machen und Saltos schlagen kann.
Zurück zum Anfang: Wenn sich Werbung und Produktdesign zwei Lebensfragen haben, dann wie sie möglichst viele Menschen erreichen und möglichst viele Menschen bereichern können. Das richtige Kochpulver, um das genderneutral zu tun, finden gerade viele – nicht zuletzt mit der freundlichen Unterstützung des Publikums. So kann und wird noch rechtzeitig der richtige Pudding auf dem Tisch stehen. Nicht nur für Peter, sondern für alle Menschen.
Der nächste Good News Thought folgt im Juni.
Beitragsbild: Anthony Rosset | unsplash.com