Wahrer Held, wahrer Freund

das ist ein GNM+ ArtikelStammzellenspende: Wie aus einem unbekannten Lebensretter ein Freund wurde

von | 10. Juli, 2021

Jährlich erkranken in Deutschland rund 13.700 Menschen an Blutkrebs. Viele der Patient:innen sind auf eine lebensrettende Stammzellenspende angewiesen. Daher berichten wir immer wieder über besondere Menschen, ihre Erfahrungen mit und ihren Kampf gegen Leukämie und andere Bluterkrankungen. Im heutigen Interview sprechen wir mit Timo und Paul, die gemeinsam eine Stammzellenspende erlebt haben – als Spender und als Empfänger.

Alle 27 Sekunden

Das Blut ist eines der wichtigsten Bestandteile unseres Körpers. Durch Blutgefäße von insgesamt 100.000 Kilometern Länge bewegen sich Aberbillionen Blutkörperchen und Blutplättchen. Sie transportieren Sauerstoff, bekämpfen Infektionen und stoppen Blutungen. Doch erkrankt ein Mensch an Blutkrebs, werden diese kleinen Helfer von bösartigen Zellen verdrängt, die sich unkontrolliert vermehren. Das Blut kann seine Aufgaben nicht mehr erfüllen. Alle 12 Minuten erhält in Deutschland erhält ein Mensch eine solche Diagnose, alle 27 Sekunden weltweit.

Krebsrot: Unterstützung neben der Stammzellenspende

Daher setzen sich weltweit unzählige Menschen ein, um Blutkrebs nachhaltig zu bekämpfen. Ein Beispiel für dieses Engagement ist Kathrin Auer. Die junge Deggendorferin gründete im vergangenen Dezember den Online-Shop KREBSROT, in dem handgemachte Accessoires, Bücher und Deko-Artikel verkauft werden und dessen Erlös an Projekte zur Krebsforschung und zur Unterstützung von Betroffenen fließt: „Da wir keine Mediziner, Chemiker oder Biologen sind, leisten wir einen finanziellen Beitrag, um die Krebsforschung voranzubringen – denn Forschung ist teuer.“

Fragen und Sorgen bei Stammzellenspende

Der mit Abstand wichtigste Weg zur Bekämpfung von Blutkrankheiten bleibt aktuell jedoch die Stammzellenspende. Für viele Patient:innen ist das die einzige Heilungsmethode. Da im näheren Umfeld der Erkrankten häufig keine passenden Spender:innen zu finden sind, müssen sich so viele Menschen wie möglich als potenzielle Spender:innen registrieren lassen.
Diese Notwendigkeit ist den meisten Menschen bewusst. Dennoch schrecken viele vor einer Registrierung als Spender:in zurück – verständlicherweise. Denn sie wissen nicht, wie eine Stammzellenspende abläuft. Tut die Behandlung weh? Ist sie gefährlich? Welche Folgen hat sie für die Spender:innen? Und vor allem: Wie sieht die Behandlung überhaupt aus?

„Ich war plötzlich ganz aufgeregt“ – Die Geschichte von Paul und Timo

Um auf diese Fragen Antworten zu finden, haben wir mit Paul und Timo gesprochen. Gemeinsam haben sie eine Stammzellenspende erlebt. Paul erkrankte 2017 an einer aplastischen Anämie – seine Stammzellen produzierten keine neuen Blutkörperchen. Gerettet wurde er durch eine Spende von Timo. Vorher kannten sich die beiden nicht. In unserem Interview sprechen sie darüber, wie sie die Spende erlebt haben und welche Folgen der Eingriff für die beiden und ihre Beziehung zueinander hatte.

Good News Magazin: Paul, im Dezember 2017 wurde bei dir eine aplastische Anämie festgestellt. Was bedeutet es, eine solche Diagnose zu erhalten?

Paul: Tatsächlich wurde mir zu Anfang gesagt, dass ich Blutkrebs haben könnte, weil die Blutwerte darauf hinwiesen. Da ist man erst einmal platt, wo man doch eben noch Weihnachtsgeschenke einkaufen war! Und plötzlich kommt da ein Anruf von der Hausärztin, die sagt, ich solle sofort ins Krankenhaus, da meine Blutwerte nicht in Ordnung seien. Als jemand, der drei-, viermal die Woche Sport macht, denkst du dir erstmal: „Wie kann mir denn sowas passieren?!“  

Realisiert, wie ernst die Lage dann doch sein könnte, habe ich aber erst im Krankenhaus. Als die Ärztin ihre Vermutung aussprach, überkam mich schon eine gewisse Trauer. Ich glaube, dass es für meine Eltern und meine Freundin, die dabei waren, noch schlimmer war. Ich konnte an der Situation ja nichts ändern und sie erst recht nicht. Es vergingen zwei Wochen und ein Krankhauswechsel, bis ich dann die finale Diagnose erhielt: „Aplastische Anämie“.

Also kein Krebs, zum Glück, sondern ‚nur‘ eine, so wie die Ärztinnen und Ärzte es formulierten, „gutartige Blutkrankheit“. Ehrlich gesagt, war das für mich der Punkt, an dem mir ein großer Stein vom Herzen gefallen ist, da Krebs, denke ich, noch mal eine ganz andere Hausnummer ist. Ändern konnte ich an alledem eh nichts und weil ich sowieso ein von Grund auf positiver Mensch bin, habe ich mir gesagt: Naja, da muss ich dann jetzt wohl durch, es ist wie es ist.

Viel nachgedacht über all das habe ich eher wenig. Ich denke, dass man sich in solchen Gedanken sehr schnell verlieren kann und zu viel nachgrübelt über das Wieso, Woher und das Warum-ich und so weiter. Nicht falsch verstehen, ich werde das nie vergessen, aber in meinen Augen muss das nicht präsent sein. Der menschliche Körper macht das, was er nun mal macht. Man kann nicht alles in der Hand haben, so ist das nun mal.

GNM: Warum sind Betroffene von Bluterkrankungen auf eine Stammzellen- oder Knochenmarkspende angewiesen?

Paul: Um das medizinisch zu erklären, müsste ich mich doch etwas einlesen. Wenn ich es einfach erklären müsste, dann so: Unser Blut besteht aus drei wichtigen Komponenten: Den weißen und den roten Blutkörperchen und den Blutplättchen. Jede dieser drei hat eine Aufgabe; rote transportieren Sauerstoff durch den Körper, weiße sorgen für die Immunabwehr und die Plättchen sorgen für die Blutgerinnung. Die Stammzellen haben als eine Aufgabe, Blutzellen zu bilden.

Wenn die Stammzellen nun aber einen Defekt haben, dann kann es sein, dass ein, zwei oder möglicherweise alle drei Bestandteile des Blutes betroffen sind. Bei mir war das zum Beispiel der Fall. Meine Stammzellen haben keine neuen Blutzellen gebildet, deshalb brauchte ich regelmäßig, bis zur Transplantation, Blutkonserven. Mit einer Chemotherapie und einer möglichen Bestrahlung werden vor der Transplantation alle defekten Stammzellen abgetötet, damit sich die neuen, transplantierten Stammzellen ansiedeln können. 

GNM: Timo, durch deine Knochenmarkspende konnte Paul geheilt werden. Wie bist du zum Spender geworden?

Timo: Das erste Mal auf die DKMS aufmerksam geworden bin ich vor einigen Jahren ganz klassisch über Werbung. Ich habe mich anschließend im Internet informiert und dann beschlossen, mich als Spender zu registrieren. Ich muss aber auch sagen, dass ich in dem Moment nicht damit gerechnet hätte, auch mal als Spender in Frage zu kommen. Ich kannte zwar einige Menschen, die registriert waren, aber niemanden, der je als Spender in Frage kam.

Die DKMS (ehemals Deutsche Knochenmarkspenderdatei) ist eine international agierende, gemeinnützige Organisation, die seit 1991 gegen Blutkrebs kämpft. Mit einer internationalen Spender:innen-Datei hilft sie Patient:innen bei der Suche nach passenden Spender:innen unter den über 10 Millionen eingetragenen. So konnte die DKMS bereits knapp 90.000 Spenden ermöglichen – auch die von Timo an Paul. 

Aufgenommen werden können alle gesunden Menschen zwischen 17 und 55 Jahren über die Website des DKMS. Nach einem kurzen Check-Up erhalten Interessierte ein Registrierungsset mit einem Wangenabstrich. Diesen senden sie zurück an das DKMS.

GNM: Wie hast du dich gefühlt, als die Botschaft plötzlich kam?

Timo: Ich weiß noch genau wie ich abends an der Bushaltestelle auf den Bus nach Hause gewartet habe und plötzlich die E-Mail von der DKMS auf meinem Handy gesehen habe. Ich war plötzlich ganz aufgeregt und habe als erstes versucht im Internet herauszufinden, was jetzt genau auf mich zukommt. Für mich war aber auch sofort klar, dass ich, wenn möglich, auf jeden Fall Spenden würde.

GNM: Wie läuft eine Knochenmarkspende ab?

Paul: Als Patient bekommt man das gar nicht so direkt mit. Es gibt zwei Varianten: Bei der einen filtert man Stammzellen aus dem Blut heraus. Ich glaube, das kann man grob mit einer Dialyse vergleichen, rein von der Prozedur. Bei der anderen wird der Spenderin oder dem Spender unter Narkose mehrfach Knochenmark entnommen, was dann wiederum auch gefiltert und gesäubert wird.

Von knapp 1,2 Litern entnommener Flüssigkeit, bleiben am Ende die Stammzellen, die ein paar hundert Milliliter ausmachen. Wie das aber ganz genau läuft, da ist Timo wohl der bessere Ansprechpartner.

GNM: Wie war das für dich als Spender, Timo?

Timo: Nach der ersten Nachricht von der DKMS ging alles sehr schnell: Ende März hatte ich meine Voruntersuchung in der Entnahmeklinik und Mitte April war auch schon die Spende selbst. Der ganze Prozess dauerte in meinem Fall also kaum mehr als sechs Wochen.

Es gibt zwei mögliche Spenderarten, bei mir wurde eine Knochenmarkentnahme vorgenommen, wobei unter Vollnarkose Knochenmark-Blut-Gemisch aus dem Beckenkamm entnommen wird. Ich habe den Klinikaufenthalt angenehm und unkompliziert in Erinnerung. Die DKMS hatte alles sehr gut organisiert und es wurde sich um alles gekümmert.

GNM: Hattest du Angst vor dem Eingriff?

Timo: Angst selbst hatte ich nicht. Es war nicht meine erste Operation unter Vollnarkose und außerdem war die ärztliche Betreuung und auch die Aufklärung bei der Voruntersuchung sehr gut. Im Anschluss an die Operation habe ich mich zwar einige Zeit körperlich geschwächt gefühlt und konnte mich aufgrund der Wundheilung ein wenig schlechter bewegen, aber nach weniger als zwei Wochen fühlte ich mich wieder wie vorher.

GNM: Und du, Paul?

Paul: Es mag sich doof anhören, aber ehrlich gesagt: Nein. Ich kannte meinen Körper, vor allem aber, kannte ich mich. Ich hatte schon immer eine relativ hohe Schmerzgrenze und eine sehr positive Einstellung. Ich habe nie daran gezweifelt, dass es gut ausgehen wird. Und wäre es schlecht ausgegangen, dann hätte ich dagegen nichts tun können. Was ich hatte, war das Glück, umringt zu sein von einer tollen Familie und meiner Freundin, die diesen Scheiß mit mir durchgemacht hat.

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Durch die gemeinsamen Stammzellen, aber auch durch eine enge Freundschaft, sind Timo und Paul nun fest vereint.

GNM: Wie schmerzhaft sind Chemo und der Eingriff?

Paul: Die Chemo bei mir gar nicht, das ist aber von Mensch zu Mensch unterschiedlich und darf nicht verallgemeinert werden. Es war eher nervig, da ich Übelkeit und häufigeres Erbrechen hatte. Das bockt echt null. Was wehtut, ist die Knochenmarkpunktion. Die dauert zwar nicht lang, ist aber schmerzhaft. Was am meisten wehtat, war eine Zahnfleischentzündung, die ich hatte, weil mein Immunsystem ja sehr schwach war.

GNM: Timo, wie hat dein Umfeld darauf reagiert, dass du dir Stammzellen für einen Fremden entnehmen lassen wolltest?

Timo: Mein Umfeld hat sehr positiv reagiert. Auch wenn eine Vollnarkose natürlich immer ein gewisses Risiko darstellt, war für mich und meine Familie sofort klar, dass dieses Risiko für eine Spende keine Rolle spielt. Ansonsten war auch viel Neugier bei Freund:innen und Bekannten. Viele sind selbst als Spender:innen bei der DKMS registriert und wollten wissen, wie es war. Was mich aber noch mehr gefreut hat, ist das einige meiner Freund:innen sich im Anschluss auch selbst als Spender:innen registriert haben.

GNM: Vor einem Jahr kanntet Ihr Euch überhaupt nicht, jetzt ist Timo gewissermaßen ein Teil von dir, Paul. Wie fühlt sich das an?

Paul: Als wir uns das erste Mal trafen, hatten wir von Anfang einen guten Draht zueinander. Was man wissen muss, wir sind fast gleich alt. Das heißt, wir sind ungefähr in ähnlichen Lebensphasen. Ich war vor dem Treffen aufgeregt, weil wir uns nur aus einem sporadischen Schriftverkehr kannten und ich mir Gedanken gemacht habe, wie ich mich verhalten muss.

Erwartet er große Dankbarkeit und lässt mich das zum Beispiel spüren?

So war es natürlich nicht! Timo ist ein toller Mensch, den ich durch seine Offenheit und Bodenständigkeit sofort ins Herz geschlossen habe, mal abgesehen davon, dass er mir durch seine Spende das Leben gerettet hat. Lustigerweise kommen wir beide aus Hamburg und können uns dadurch sogar regelmäßig sehen.

Nicht nur, dass ich Timo unendlich für seine Aufopferungsbereitschaft danke, wir sind ja so gesehen auch für immer verbunden, da ich ja seine Stammzellen in mir trage. Und ob wir Freunde sind? Das würde ich schlicht mit Ja beantworten.

GNM: Mit allen Erfahrungen im Hinterkopf, die Ihr gemeinsam und unabhängig voneinander in der vergangen Zeit gemacht habt: Was möchtet Ihr unseren Good News Magazin-Leser:innen sagen?

Paul: Ich glaube, dass man als Mensch auch mal an sich selbst denken sollte und das auch darf, dabei aber nicht vergessen sollte, dass man nicht alleine auf der Welt ist und es immer Menschen gibt, denen es schlechter als einem selber geht. Man sollte eine gewisse Demut an den Tag legen, da man nie weiß, was kommt. Es schadet keinem, wenn man einfach nur mal nett ist und vor allem zufrieden sein kann mit dem, was man hat. Ich habe eine Familie, eine Partnerin an meiner Seite, Freunde, Essen und Trinken und ein Dach über dem Kopf. Mit alledem bin ich schon reicher als viele!

Timo: Den Leser:innen da draußen sage ich: „Stäbchein rein – Spender sein“. Ich kann es echt jedem Menschen, der als Spender geeignet ist, empfehlen. Man muss wenig selbst tun und kann doch sehr viel für einen anderen Menschen und seine Familie und Freund:innen bewegen.

Dem Good News Magazin ist es sehr wichtig, auf Bluterkrankungen und Stammzellenspenden aufmerksam zu machen. Regelmäßig richten wir deshalb den Fokus auf die Krankheit und die zahlreichen Bemühungen im Kampf gegen sie. Hinter jeder Diagnose stehen Menschen: Familienväter und -mütter, Freunde und Kinder. Wir alle können diesen Menschen helfen. Daher bitten wir alle Leser:innen unseres Magazins, selbst Spender:in zu werden.

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