Das neue Gesundheitszentrum in Berlin-Neukölln arbeitet nicht profitorientiert und betrachtet die gesamte Lebenssituation von Patient:innen.
Zum Arzt gehen vermutlich die wenigsten Menschen gerne, doch in Berlin-Neukölln könnte das erste, multiprofessionelle Stadtteil-Gesundheitszentrum dies für die Menschen dort wahr machen.
Das Gesundheitszentrum wurde im Februar 2022 auf dem Gelände der alten Kindl-Brauerei eröffnet. Hier befinden sich nun allgemeinmedizinische und kindermedizinische Arztpraxen sowie Sozial- und Pflegeberatungen und Angebote zur psychologischen Betreuung. Besonders den Menschen, die einen schlechten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben oder in einer prekären psychosozialen Lage sind, soll das Angebot des Stadtteil-Gesundheitszentrums helfen.
Gesundheit für Körper und Geist
Das Gesundheitszentrum möchte mit einem ganzheitlichen Konzept der häufig herausfordernden Lebenssituation der Bewohner:innen des Stadtteils begegnen. Geldsorgen, Probleme auf der Arbeit, Wohnen auf engem Raum ohne Rückzugsmöglichkeiten oder Belastungen durch die Pflege von Angehörigen – all dies sind häufig die Ursache für typische Symptome wie Rücken- oder Kopfschmerzen, sagte Patricia Hänel, Ärztin und Koordinatorin des Zentrums dem Deutschlandfunk.
Diesen Ursachen möchten die Mitarbeiter:innen des Zentrums auf den Grund gehen und zwar ohne Zeitdruck. Sie schauen bei den Behandlungen auf Körper und Geist. Das Angebot des Hauses umfasst auch Familienberatung, Beratung zu Suchterkrankungen oder von Angehörigen und Therapiemöglichkeiten. Auch Menschen ohne Krankenversicherung werden dort versorgt. Für all dies bietet das Gesundheitshaus Übersetzung und Sprachvermittlung.
„Und es ist wirklich ganzheitlich: Wie sieht mein Alltag aus? Wie sieht mein Leben aus? Wie ist das soziale Umfeld? Und hier habe ich nicht das Gefühl, hier sitzt die Zeit im Nacken, sondern hier wird sich um mich gekümmert.“
Patientin Mona Ermler im Deutschlandfunk
Einbeziehung der Nachbarschaft
In dem 500 Quadratmeter großen Neubau können die Anwohner:innen außerdem in einem Café zusammenkommen und sich austauschen. Außerhalb des Zentrums gibt es verschiedene Sportangebote, Nachbarschaftsprojekte und eine mobile Gesundheitsberatung in mehreren Sprachen. Die Projekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollen Probleme und Sorgen der Nachbarschaft aufgreifen, die Menschen untereinander vernetzen und ihre Gesundheit fördern.
„Das habe ich noch nie erlebt, dass man sich fast freut auf den Arzt. Und da wird dann so etwas eigentlich Negatives zum fast schon schönen Start in die Woche. Und das hat bis jetzt noch niemand geschafft.“
Patientin Mona Ermler im Deutschlandfunk
Betreiber des Zentrums ist der gemeinnützige Verein “Gesundheitskollektiv Berlin e.V.”, (kurz: GeKo) in Kooperation mit den Ärzt:innen und Therapeut:innen vor Ort. Das Gesundheitskollektiv setzt sich für “eine gute Gesundheitsversorgung für alle Menschen ein – unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder Bildung”. Es ist das erste von 13 geplanten Gesundheitszentren in Berlin.
Der Aufbau und Betrieb dieser solidarischen Gesundheitszentren wird laut eigener Angabe vom Dachverband Poliklinik Syndikat gefördert. Der Dachverband möchte “gesundheitlicher Ungleichheit entgegenwirken” und damit zu einer gerechten und solidarischen Gesellschaft beitragen. Laut dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition sollen die Gründungen von solchen Zentren, die nicht profitorientiert arbeiten, in Zukunft erleichtert werden.
Kein Streben nach Gewinn
Das GeKo arbeitet bei all diesem nicht profitorientiert. Die Gelder für die Praxen kommen von der Kassenärztlichen Vereinigung, für alle anderen Angebote stellen das Land Berlin, das Quartiersmanagement und mehrere Stiftungen Gelder zur Verfügung. Für den Anschub des Projekts gab es vom Land Berlin eine halbe Million Euro.
Zuletzt musste das Budget für das Zentrum jedoch um knapp 25 Prozent gekürzt werden. Das Angebot des Gesundheitszentrums wird durch die ehrenamtliche Arbeit vieler Menschen, Fördermitgliedschaften und Spenden weiterhin ermöglicht.
In Hamburg gibt es mit der Poliklinik Veddel bereits seit mehreren Jahren ein solches Stadtteil-Gesundheitszentrum. In Köln, Dresden und Leipzig werden ähnliche Konzepte verfolgt. Vorbilder sind außerdem Häuser in Schweden und Kanada. Demnächst soll wissenschaftlich untersucht werden, welche (positiven) Einflüsse das Stadtteil-Gesundheitszentrum auf das Gesundheitssystem hat.
Beitragsbild: GeKo Berlin e.V.