Wie das Sisters Festival Awareness lebt

Das Sisters Festival: Ein Festival von Frauen für alle

von | 5. April, 2024

Das Wiener Sisters Festival will eine Veranstaltung für alle sein. Awareness bedeutet, von Barrierefreiheit bis hin zu den auftretenden Acts Inklusivität zu schaffen.

Seit über 10 Jahren ist Karin Tonsern national und international als Produktionsleiterin sowie Tour und Stage Managerin in der Livemusik-Industrie tätig. In dieser Zeit hat sie viel gesehen – vor allem vieles, das in der männerdominierten Branche nicht so läuft, wie es sich die Meisterin der Veranstaltungstechnik wünschen würde.

Ihre Antwort auf die fehlende Sichtbarkeit von Frauenwar das Netzwerk Sisters of Music, das sie 2019 gründete, um mehr Sichtbarkeit für Frauenin der Veranstaltungsbranche zu schaffen. Aus dem Netzwerk erwuchs im Vorjahr die erste Ausgabe des Sisters Festival – einem Tagesfestival in Wien, bei dem nicht nur die Bühnen rein weiblich besetzt sind, sondern auch hinter der Bühne, in Marketing und Produktion ausschließlich Frauen arbeiten. 

Mitten in der Vorbereitung zur zweiten Ausgabe des Festivals hat das Good News Magazin Karin zum Interview getroffen. Wir wollten wissen: Wieso braucht es das Festival? Und was macht es so besonders?

Karin Tonsern vom Sisters Festival
Karin Tonsern. Foto: Sisters of Music

Good News Magazin: Hinter dem Sisters Festival steckt das Netzwerk Sisters of Music. Doch wer sind die Sisters überhaupt?

Karin Tonsern: Wir kommen aus ganz unterschiedlichen Ecken der Branche, von der Technik und Produktion bis hin zum Marketing. Insgesamt sind wir im Netzwerk circa 250 Frauen, umso näher es zum Festival geht, umso aktiver wird auch das ganze Kernteam. Letztes Jahr waren das zwischen 25 und 30 Frauen. Da haben wir uns noch nicht großartig Gedanken gemacht, wie oft das Festival stattfinden wird, aber tatsächlich war das Feedback so überwältigend, dass dann eigentlich relativ schnell klar war: Wir machen das wieder. 

Die Veranstaltungsbranche hat vor allem den Ruf, sehr männerdominiert zu sein. Wie schwer ist es tatsächlich, ein Festival mit einem rein weiblichen Team zu realisieren? 

Schwierig ist eher, Kolleginnen zu finden, die Zeit haben, denn der Sommer ist Hochsaison für uns – d.h. viele sind auf Tour oder haben schon andere Jobs angenommen. Aber bei über 200 Frauen im Netzwerk ist das kein Problem. Auch von den Bands her haben wir die weibliche Besetzung keine Sekunde angezweifelt. Allein mit den Bandanfragen, die wir bekommen haben, könnten wir Wochen, Monate füllen. Zu sagen, es gibt kein Personal oder keine Acts, ist eine schlechte Ausrede.

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Impression vom Sisters Festival 2023. Foto: Amelie Coco Neuhold

Das Thema Awareness ist bei euch zentral, aber was bedeutet das?

Viele bringen Awareness vor allem mit sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt zusammen, oder generell mit Gewalt. Aber es geht viel mehr darum, achtsam zu sein gegenüber allen Personen – seien es Personen mit Behinderung oder ältere Personen.  Unsere älteste Besucherin letztes Jahr war 78 Jahre alt. Aber es geht auch um  einkommensschwache Frauen: Deswegen haben wir solidarische Tickets, mit denen auch Menschen, die nicht aus Wien sind, das Festival unterstützen können.

Wir haben in dem Sinne kein Awareness-Team vor Ort, weil generell die Idee ist, dass wir das ganze Festival “aware” planen. Zwar sind zwei Kolleginnen der Initiative Full Access als Ansprechpersonen vor Ort, aber man kann prinzipiell jegliches Veranstaltungspersonal ansprechen. Außerdem ist eine Person vor Ort, die psychologisch Erste Hilfe leisten kann.

Zu Awareness gehört auch, dass wir im Vorhinein schon ganz klar sagen, was bei unserer Veranstaltung nicht geht und was die Konsequenzen für Täter sind – das fehlt mir nämlich oft. Außerdem weisen wir bei der Anfahrtsbeschreibung darauf hin, dass wir uns auf einem Gelände mit sehr wenig Öffentlichkeit befinden und gerne anbieten, ein Taxi zu rufen bzw. zu bitten, Fahrgemeinschaften zu bilden. 

Ich sehe oft in meinem Arbeitsalltag, was alles möglich wäre und dass es oft an Unwissenheit und finanziellen Möglichkeiten scheitert. Es braucht vielleicht ein bisschen Zeit und man muss sich Gedanken darüber machen, aber prinzipiell sollten doch Veranstaltungen, Kunst und Kultur für alle Personen zugänglich sein und alle sollten teilhaben können.

Was braucht es konkret, um Veranstaltungen für alle Personen zugänglich zu machen?

Ein ganz großes Thema im Veranstaltungsbereich sind Personen mit Behinderung: Auf Festivals gibt es häufig eine Rollstuhl-Plattform, was bedeutet, dass Veranstalter:innen davon ausgehen, es würden 1,2,3 Personen mit dem Rollstuhl kommen, die damit versorgt sind. Aber das ist es eben nicht. Erstens gibt es viel, viel mehr Formen von Behinderungen, auf die man achten muss und zweitens brauchen Menschen vor Ort noch weitere Unterstützung. Das konnten wir mit Full Access, mit denen wir zusammenarbeiten, gut abdecken und eben diesen Personen die Möglichkeit bieten, das Festival zu genießen.

Es haben sich zum Beispiel zwei Frauen bei uns dafür bedankt, dass sie seit Jahren endlich mal wieder auf ein Festival gehen konnten, weil es bei anderen Veranstaltungen wegen mangelnden Services nicht möglich ist. Genauso auch ältere Personen: Bei Open Air-Veranstaltungen oder auch bei anderen Hallenshows gibt es häufig nur Stehplätze, dabei ist es keine große Sache, Sitzmöglichkeiten zu organisieren und sicher aufzustellen.

Wir haben zum Beispiel bei unserem Festival eine Fair Use Area, die für ältere Personen gedacht ist, aber auch für Schwangere und mobilitätseingeschränkte Personen oder einfach Personen, die sich einen Moment setzen wollen. Außerdem haben wir in der Arena einen Rückzugsraum, weil es immer wieder mal vorkommt, dass man ein bisschen Auszeit braucht oder mal kurz durchschnaufen muss.

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Impression vom Sisters Festival 2023. Foto: Amelie Coco Neuhold

Awareness spielt sich auch durch das rein weibliche Line-up ab, wieso ist das so wichtig? 

Ich finde es interessant, dass Festivals teils Awareness-Konzepte und -teams haben, dann aber doch ein Deutsch-Rapper auf der Bühne steht, der einen sexistischen Text nach dem anderen singt. Da hebt sich das Ganze für mich einfach auf. Awareness heißt mehr, als ein mehr oder weniger ausgebildetes Awareness-Team zu haben. Wir haben zum Beispiel auch viele Informationsstände vor Ort, z.B. von der Frauenberatung Gewaltschutz für Frauen.

Wie lief es da mit Finanzierung?

Beim letzten Festival haben wir ziemlich genau ein Jahr vorher beschlossen, dieses Festival zu machen. Das ist nicht rasend viel Zeit, um Förderungen zu beantragen – noch dazu, wenn man mit einem ganz neuen Thema kommt, zu dem es wenig Vergleichswerte gibt. Deswegen haben wir zwar keine Förderung, aber zumindest Unterstützung bekommen – vor allem durch die Arbeiterkammer, mit der eine gemeinsame Kooperation entstanden ist.

Die AK ist auch heuer wieder mit einem Informationsstand vor Ort, weil gerade für Frauen arbeitsrechtliche Themen und gleiche Bezahlung relevant und Altersarmut von Frauen enorm ist. Deswegen sind für uns vor allem Kooperationspartner:innen interessant, die auch aktiv mit uns an diesen Themen arbeiten und verstehen, dass es nicht nur ein Musikfestival, sondern viel, viel mehr ist und dass wir auf allen Ebenen Alleinstellungsmerkmale haben. 

Ein Alleinstellungsmerkmal ist euer rein weibliches Team. Inwiefern unterscheidet sich die Zusammenarbeit von gemischten Teams?

Für uns war es tatsächlich das erste Mal, dass wir in einer reinen weiblichen Crew gearbeitet haben. Das war sehr besonders: Es war eine ganz andere Energie da und ein ganz anderes Miteinander. Der Umgang ist sehr, sehr respektvoll und sehr wertschätzend, was jetzt nicht bedeutet, dass das sonst nie so ist, aber es ist eben nicht immer so.

Viele Kolleginnen arbeiten seit Jahrzehnten in der Branche und können an ein oder zwei Händen abzählen, wie viele Kolleginnen sie getroffen haben – und plötzlich stehst du mit einem Team da, das dir sehr ähnlich ist und einfach auch diese Erfahrung hat.

Letztes Jahr haben wir am Schluss alle Kolleginnen auf die Bühne geholt, weil auch das ganz, ganz wichtig ist: Sichtbarkeit zu schaffen. Bei dem Gedanken kriege ich immer noch Gänsehaut. Das war für uns alle vielleicht der schönste Moment, gemeinsam auf der Bühne zu stehen und zu sagen: Wir sind da, wir können das richtig gut, und all diese Vorurteile, die teilweise immer noch herrschen, haben überhaupt keine Berechtigung.

Was ist denn das größte Vorurteil?

Es ist so ein alter Hut, aber ‘Frauen und Technik’ ist immer noch stark in den Köpfen verankert. Und auch körperliche Kraft ist im Veranstaltungsbereich ein großes Thema: Equipment ist natürlich sehr schwer, aber tatsächlich ist es zum einen eine Frage, wie man Sachen anhebt, und zum anderen ist es kein Problem zu fragen, ob jemand hilft. Es sollte auch von einem Mann niemand erwarten, dass er etwas extrem Schweres alleine hebt oder schiebt. Außerdem ist es als einzige Frau im Team teils schwierig, Gehör zu bekommen und wahrgenommen zu werden.

Wenn es um Frauen in der Musikbranche geht, geht es häufig um die Quoten auf der Bühne, doch bei denen, die nicht sichtbar sind, sprechen wir nicht mal mehr von Quoten im Prozentbereich, sondern im Promille-Bereich, wenn überhaupt. Deshalb ist es so wichtig, auch hier Sichtbarkeit zu schaffen. Dafür brauchen wir – und haben zum Glück auch –, die Unterstützung von Verbündeten, auch von Männern. Letztes Mal waren sehr viele Männer bei uns, die es auch sehr genossen haben, dass das Festival ein bisschen anders funktioniert und die Atmosphäre ein bisschen anders ist.

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Impression vom Sisters Festival 2023. Foto: Patrick Muennich

Letztes Jahr seid ihr quasi bei null gestartet, dieses Jahr könnt ihr bereits auf eine gewisse Besucher:innenmenge aufbauen. Wo siehst du euch in ein paar Jahren – sagen wir 2030? Was wäre dein Wunsch?

Mein Wunsch wäre in erster Linie ein Festival, das kostenfrei ist, damit es wirklich für alle zugänglich ist. Unsere Tickets kosten “nur” 40 € – was für so ein Programm sehr wenig ist –, weil es uns wirklich wichtig ist, dass so viele Menschen wie möglich kommen können. Mir ist aber bewusst, dass das immer noch einschränkt, denn für viele Menschen sind auch 40 € sehr viel Geld. 

Außerdem würde ich mir wünschen, dass das Sisters Festival größer wird und wachsen kann: Es gibt so viele tolle Bands, die man sehen und hören sollte und es gibt so tolle Vereine und Initiativen, die in der Arena an einem Tag einfach keinen Platz haben. Wir haben dieses Jahr zum Beispiel einen kleinen Teil mit feministischer Literatur, doch es gibt zu viele Künstlerinnen und tolle Projekte, die man in dem Rahmen eines Festivals vorstellen könnte, um ihnen Sichtbarkeit zu geben. Es könnte dann auch Diskussionsrunden geben, es könnte Workshops geben, es könnte nationalen und internationalen Austausch geben. 

Mehr über das Sisters Festival könnt ihr im Good News Festival im Juni lesen. Dann werden wir uns vor Ort anschauen, wie dessen Umsetzung funktioniert.

Beitragsbild: Patrick Muennich

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Nina Kegel

Nina ist stellvertretende Chefredakteurin beim Good News Magazin und vor allem eins: Neugierig. Immer auf der Suche nach Good News beschäftigt sie sich am liebsten mit Themen rund um einen nachhaltigen Wandel – egal ob kreatives Bauprojekt, ökologische Initiative oder innovatives Unternehmenskonzept, sie lässt sich für vieles begeistern. Außerdem studiert sie im Master Medienkultur und Globalisierung.

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