Bestattungen grün denken: Statt Erd- und Feuerbestattung könnte die “menschliche Kompostierung” eine Bestattungsform der Zukunft sein.
Human composting, also die Beerdigung durch Kompostierung von menschlichen Überresten, ist eine relativ neue Methode der Bestattung, die darauf abzielt, eine nachhaltigere und umweltfreundlichere Alternative zu traditionellen Beerdigungen anzubieten.
Das Verfahren der Kompostierung von menschlichen Überresten, auch bekannt als „natürliche organische Reduktion“, verwendet eine Mischung aus organischem Material wie Stroh, Holzschnitzeln und Sägemehl, um eine Umgebung zu schaffen, in der Mikroorganismen den Körper abbauen und zu einem nährstoffreichen Boden umwandeln können.
Diese Methode ist nicht nur ökologisch nachhaltig, sondern bietet auch eine kostengünstige Alternative zu herkömmlichen Beerdigungen und Kremationen. Zugleich werden die menschlichen Überreste in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt. Auch aus Sicht der Kirche spricht nichts gegen diese Bestattungsform. Der römisch-katholische Moraltheologe Peter Schallenberg bescheinigte der Reerdigung, dass sie verglichen mit der Kremation “durchweg vorzugswürdig” sei.
Die Anfänge in den USA
Die Idee der Reerdigung geht auf die US-Amerikanerin Katrina Spade und ihre 2014 gegründete gemeinnützige Organisation Urban Death Project zurück. Laut Analyse des Projekts werden im Rahmen der konventionellen Bestattung, die von 50 Prozent der US-Amerikaner:innen gewählt wird, jährlich 30 Millionen Meter Hartholz, 90.000 Tonnen Stahl, 1,6 Millionen Tonnen Beton und Millionen Liter formaldehydhaltiger Einbalsamierungsflüssigkeit vergraben. Darüber hinaus wird bei der Herstellung und dem Transport von Särgen, Grabsteinen und Grabeinfassungen eine enorme Menge an Energie verbraucht. Der Anstieg der Feuerbestattungen weltweit sollte dieser Verschwendung entgegenwirken, doch grüner ist eine Einäscherung deswegen noch lange nicht: Allein in den USA kommen laut National Geographic jährlich 360.000 Tonnen CO₂ durch Feuerbestattungen zusammen. Bestatter:innen sehen mittlerweile ebenso wie Forschende des Instituts für Ökologie der Tschechischen Universität für Lebenswissenschaften in Prag den Nachhaltigkeitsvorteil klar bei Erdbestattungen. Ja, es gibt den platzsparenden Vorteil – doch zugleich werden bei der Kremation weiterhin fossile Brennstoffe verwendet und der Transport und die Einäscherung erfolgen in Deutschland ausschließlich im Sarg.
Status Quo in Deutschland
Als erstes Bundesland hat Schleswig-Holstein der Reerdigung in einer Pilotphase grünes Licht gegeben und somit die erste Reerdigung Deutschlands und Europas im Februar 2022 in schleswig-holsteinischen Mölln ermöglicht.
Durchgeführt wurde diese von Meine Erde. Das Berliner Start-up ist europaweit bisher der einzige Anbieter für diese besondere Bestattungsweise. 2.100 Euro kostet die Reerdigung bei Meine Erde. In einem eigens konzipierten und vielfach wiederverwendbaren Kokon wird durch einen natürlichen Prozess die Transformation des Körpers zu Erde beschleunigt. Innerhalb von 40 Tagen wird der Körper mithilfe von Mikroorganismen in fruchtbare Erde umgewandelt, die anschließend aus dem Kokon entnommen und auf einem Friedhof der Wahl beigesetzt wird. Wir haben bei Meine Erde nachgefragt, wie der aktuelle Stand ihrer Arbeit aussieht.
Ich las auf eurem Instagram-Kanal, dass noch nicht einmal zehn Reerdigungen in Deutschland durchgeführt wurden – ist das für euer erstes Jahr im Rahmen dessen, was ihr erwartet habt oder sind die Deutschen da einfach noch zu skeptisch?
Olga Perov, Public Affairs & Public Relations Managerin Meine Erde: Aktuell findet erst die achte Reerdigung Europas statt. Als das zuständige Ministerium in Schleswig-Holstein die Pilotphase für die Reerdigung genehmigt hat, war erstmal wichtig zu zeigen, dass die Reerdigung als Bestattungsmethode für Mensch und Umwelt sicher, zuverlässig und pietätvoll funktioniert. Deshalb sind wir im Februar 2022 mit einem Kokon gestartet. Mit den bereits durchgeführten Reerdigungen konnten wir das zeigen. Derzeit ist in Kiel ein Gesetzesentwurf zur Novellierung des Bestattungsrechts im parlamentarischen Verfahren, in dem die Reerdigung berücksichtigt ist. Durch die vielen Anfragen, die wir aus Kapazitätsgründen schweren Herzens noch ablehnen müssen, und den großen Zuspruch von Interessierten, wissen wir, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich diese Bestattungsform wünschen. Wir arbeiten sehr engagiert daran, unser Angebot jetzt schnellstmöglich auszuweiten. In den nächsten Monaten eröffnen wir ein zweites Alvarium (lateinisch für Bienenstock. Das Gebäude, in dem die Kokons für die Reerdigung stehen, die Red.) in Schleswig-Holstein, in dem mehrere Kokons stehen werden, und planen bereits ein weiteres, größeres Alvarium im norddeutschen Raum.
Ihr seid der erste Anbieter in Europa – hofft ihr, dass es mehr werden oder habt ihr euch exklusive Rechte (z.B. in Form eines Patents in Deutschland) gesichert?
Olga Perov: Wie man an der Entwicklung in den USA sehen kann, wird es, wenn von den Pionieren der rechtliche Weg geebnet ist, mit Sicherheit auch in Europa weitere Anbieter geben. Und das ist auch gut so. Denn wir brauchen mehr Kapazitäten und einen gesunden Wettbewerb, damit die Menschen das für sich richtige Angebot wählen können. Aber natürlich schützen wir unsere Technologie, in die viel Entwicklungsarbeit geflossen ist. In den USA unterscheiden sich die Verfahren von unserem und auch untereinander. Wichtig ist: Die Reerdigung funktioniert und bietet vielen Menschen eine Abschiednahme, die sich für sie richtig anfühlt.
Angenommen, ich möchte eine Reerdigung haben und lege das in meiner Bestattungsverfügung fest – wie sieht das in der Praxis aus, wenn es kein Bestattungsinstitut in meiner Nähe gibt, mit dem ihr kooperiert?
Olga Perov: Inzwischen haben wir im gesamten Bundesgebiet Partner-Bestattungsinstitute, auch dort, wo die Reerdigung noch nicht möglich ist. Es ist wichtig, bereits jetzt umfassend zu informieren. Denn die Bestattungsinstitute sind diejenigen, die Menschen im Trauerfall betreuen und bei der Vorsorge beraten. Es ist bereits jetzt möglich, dass eine verstorbene Person, die sich die Reerdigung sehr gewünscht hat, aus einem anderen Bundesland zum Alvarium in Schleswig-Holstein überführt wird. Die Einbringung der neuen Erde ist derzeit auf Friedhöfen in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und auf dem Parkfriedhof Hamburg-Ohlsdorf möglich. Das machen wir den Familien gegenüber auch unbedingt transparent. In den nächsten Jahren wollen wir nach und nach weitere Alvarien überall in Deutschland eröffnen. Zum einen können wir diese ökologische und schöne Bestattungsform dann weiteren Menschen anbieten. Zum anderen entfallen dann auch lange Transportwege, was dem Nachhaltigkeitsgedanken der Reerdigung entspricht.
Als interessanten Einschub, was alles möglich ist, bringt Olga Perov den Vergleich zum Krematorium: “Vor 150 Jahren wurde das erste Krematorium in Deutschland eröffnet, inzwischen gibt es 160 Krematorien überall in Deutschland.”
Wie seht ihr die Chance, dass die Reerdigung eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie die Feuerbestattung erlebt? Die Kirche scheint in ersten Stellungnahmen die Reerdigung bereits der Einäscherung vorzuziehen. Was muss noch passieren – womöglich von Seiten der Politik, damit die Reerdigung „massentauglich“ wird?
Olga Perov: Wir sind fest davon überzeugt, dass die Reerdigung sich als Bestattungsform langfristig fest etablieren wird. Das große Interesse, auf das wir bei den Menschen stoßen, zeigt uns, dass es einen großen Wunsch nach einer nachhaltigen und sanften Bestattungsalternative gibt. Mit den Kirchen haben wir von Anfang an den Austausch gesucht, ebenso wie mit den Bestatter:innen, Friedhöfen und Verbänden. Es braucht all diese Partner für den Wandel in der Bestattungskultur.
Da eine Reerdigung 40 Tage dauert, wird sie nur einen Teil aller Bestattungen ausmachen. Auch das ist gut so. Denn wir wollen niemandem etwas wegnehmen, sondern eine dritte Bestattungsoption anbieten. Eine große Herausforderung ist derzeit noch, dass es politischen Willen braucht, um die Reerdigung in den einzelnen Bundesländern zu ermöglichen. Sterben und Tod sind für viele ein schwieriges Thema und auch in der Politik keins, mit dem sich viele gern beschäftigen. Trotzdem kommen wir alle früher oder später damit in Berührung. Der Tod gehört zum Leben dazu. Und es bereichert uns als Gesellschaft, wenn wir den Umgang damit enttabuisieren.
Bild: Meine Erde