Auch Männer leiden unter postnatalen Depressionen

das ist ein GNM+ ArtikelWie geht es eigentlich Papa?

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von | 15. September, 2023

Postnatale Depressionen: In Medizin und Gesellschaft wird immer mehr anerkannt, dass auch Männer daran erkranken können. Über ein aufbrechendes Stigma und wie Väter die nötige Unterstützung erhalten.

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Im Juni dieses Jahres bin ich Tante geworden – und ich liebe es. Meine kleine Nichte ist einfach wundervoll. Ich bin fasziniert von ihren kleinen Fingerchen und Füßchen, amüsiert von ihren knuffigen Geräuschen, entzückt von ihrem Lächeln. Und ich bin froh, sie an ihre Mama oder ihren Papa abgeben zu können, wenn sie schreit.

Diesen Luxus haben meine Schwester und ihr Mann nicht. Und falls ihr euch angesichts des Titels fragt: Es geht den beiden gut. Das ist allerdings nicht selbstverständlich. Denn für manche junge Eltern wird das Glück der Geburt von anhaltender Traurigkeit und Erschöpfung begleitet, von übermäßiger Angst oder sogar Schwierigkeiten, positive Gefühle zum Kind aufzubauen. All das sind Symptome einer postnatalen Depression. 

Zehn bis 15 Prozent aller Mütter erkranken Schätzungen zufolge nach der Geburt an der auch als Wochenbettdepression bezeichneten psychischen Erkrankung. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch deutlich höher. Glücklicherweise gibt es inzwischen viele Hilfsangebote für Mütter, die an postnatalen Depressionen erkranken, auch Geburtshelfer:innen lernen in der Ausbildung, Symptome frühzeitig zu erkennen. 

Was allerdings kaum bekannt ist: Auch Väter können an einer postnatalen Depression erkranken. Seit Kurzem jedoch steigt das Bewusstsein in Medizin und Medien und es entstehen Unterstützungsangebote, die explizit nachfragen: Papa, wie geht es dir eigentlich?

Postnatale Depressionen: Warum erkranken Männer daran?

Zwischen acht und zwölf Prozent aller Väter leiden vor und nach der Geburt ihres Kindes an Depressionen, in den drei bis sechs Monaten nach der Geburt liegt die Zahl sogar bei durchschnittlich 25 Prozent. Das sind die Erkenntnisse einer 2010 veröffentlichten und 2016 aktualisierten Metastudie.

So paradox es klingen mag: Diese Studie ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn postnatale Depressionen wurden lange – und werden noch – als etwas betrachtet, das in erster Linie Mütter betrifft. Damit fehlte auch auf medizinischer Seite das nötige Wissen, um postnatale Depressionen bei Vätern zu erkennen und zu behandeln. 

Auch heute gibt es noch keine einheitliche Definition und kein standardisiertes Diagnoseverfahren für postnatale Depressionen bei Männern. Dafür aber zeigt sich eine deutliche Veränderung im Bewusstsein: Die Zahl der Publikationen zur psychischen Belastung von Partner:innen vor und nach der Geburt in medizinischen Fachjournalen hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren mehr als verdoppelt.

So gibt es immer mehr wichtige Erkenntnisse. Beispielsweise, dass vorherige psychische Erkrankungen, äußere Bedingungen wie Geldsorgen oder eine gleichzeitige oder vorige depressive Erkrankung der Partnerin die Wahrscheinlichkeit für eine postnatale Depression deutlich steigern. Oder dass es auch bei Männern ab Beginn einer Schwangerschaft deutliche Hormonschwankungen gibt. Nach der Geburt kann der Testosteronspiegel um bis zu 30 Prozent abfallen – das fördert den Aufbau einer Bindung zum Kind. Gleichzeitig steigt mit einem niedrigeren Testosteronspiegel die Wahrscheinlichkeit für depressive Symptome. 

Mut zur Emotion 

Diese neuen Einsichten sind so wichtig, weil mehr Wissen auch bessere Vorsorge und bessere Unterstützungsmöglichkeiten bedeutet. Wir wissen inzwischen, dass Männer zwar grundsätzlich ähnliche Symptome einer postnatalen Depression zeigen wie Frauen – anhaltende Traurigkeit, Energiemangel, Ängste –, zusätzlich jedoch auch häufig Wut und Irritation erleben. Das macht es leichter, die Erkrankung früher zu erkennen und Väter auf Unterstützungsangebote hinzuweisen. Denn die gibt es zum Glück durchaus. 

Bereits im Jahr 2004 wurde beispielsweise in einem Krankenhaus im englischen Essex die Telefonhotline Fathers Matter ins Leben gerufen. Sie ermöglicht es Vätern mit Fragen und Unterstützungsbedarf, mit anderen Vätern in Kontakt zu kommen. Damit schafft sie einen Raum, wo Männer sich über ihre Gefühle und Ängste austauschen können. 

Ein solcher Austausch ist genau das, was es braucht – und das, was häufig fehlt. Denn noch immer halten sich hartnäckig stereotypische Vorstellungen vom “starken Mann”, für den Emotionalität eine Schwäche ist. Dieses Bild verstärkt nicht nur den Druck auf junge Väter, es führt dazu, dass Männer sich erwiesenermaßen seltener und später psychologische Unterstützung suchen. Umso wichtiger also, dass das Stigma gebrochen wird.

Dabei hilft sicher nicht zuletzt, dass das Thema postpartale Depression bei Vätern in der breiten Medienlandschaft immer mehr Beachtung findet: In den letzten Jahren erschienen Berichte im Spiegel und im ZDF, von der Zeit über die New York Times bis hin zur BBC. Erst im Frühjahr diesen Jahres startete der Guardian einen Aufruf an Männer, die an einer postnatalen Depression erkrankt waren, ihre Geschichten mit anderen Leser:innen zu teilen.

Unterstützung für alle Elternteile

Wohin aber können sich junge Väter wenden? Nun, im Vereinigten Königreich zum Beispiel an Dad Matters oder das Fathers Network Scotland. Sie unterstützen Männer dabei, eine Beziehung zu ihrem Baby aufzubauen und den Blick auf die eigene mentale Gesundheit zu richten. Damit sind sie Teil einer wachsenden Zahl von Organisationen weltweit, die die psychische Gesundheit von Vätern in den Mittelpunkt rücken. 

Ein besonders innovatives Projekt kommt aus Australien: Bei SMS4Dads können sich werdende Väter kurz nach Beginn der Schwangerschaft registrieren und erhalten danach mehrere Nachrichten pro Woche. Die SMS geben Informationen zum Entwicklungsstand des Kindes, fragen aber auch nach der Stimmung der Väter. Wenn ein Vater signalisiert, dass es ihm mental nicht gut geht, erhält er Kontakt zu therapeutisch ausgebildeten Fachkräften.

Und in Deutschland? Auch hierzulande gibt es inzwischen Anlaufstellen für Mütter und Väter, beispielsweise die Organisation Schatten und Licht, die unter anderem eine Online-Selbsthilfegruppe für Männer mit postnataler Depression anbietet. 

Mir persönlich hat noch ein ganz anderes Erlebnis gezeigt, dass die Aufklärung zunimmt. Bei meiner Recherche antwortete mir ChatGPT auf die Frage: “Wie viele Frauen leiden an einer postnatalen Depression?” nämlich, es sei “erwähnenswert, dass eine postnatale Depression nicht ausschließlich Frauen betrifft, sondern auch bei Männern auftreten kann.”Es gibt also Hoffnung, dass in nicht allzu ferner Zukunft alle Elternteile – ob männlich, weiblich oder divers – vor und nach der Geburt ihrer Kinder die besondere Unterstützung erhalten, die sie verdienen.

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Beitragsbild: Daniel Reche auf Pixabay

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    Luisa Vogt

    Luisa Vogt ist stellvertretende Print-Chefredakteurin beim Good News Magazin und liebt Sprachen, Reisen und das kennenlernen verschiedenster Kulturen. Beim Good News Magazin lebt sie ihre Leidenschaft für Sprache und für spannende, schöne Berichte aus aller Welt - weil die Welt viel mehr realistischen Idealismus braucht. Außerdem studiert sie nach ihrem Bachelor in Englisch und Französisch inzwischen im Master Asien- und Afrikastudien in Berlin und arbeitet als Lerntherapeutin.

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