Unsere Mitgründerin Lucia erzählt von ihren Erfahrungen vor, während und nach der Geburt und von ihrer Hoffnung, dass wir durch positive Geburtsgeschichten alte Narrative von Angst und Schmerz aufbrechen.
Letztes Jahr auf unserer Good News-Freizeit war die Freude groß: Unsere Mitgründerin Lucia hatte eine wunderschöne Nachricht für uns: Lucia war schwanger! Ihre kleine Tochter kam Anfang dieses Jahres in Kenia zur Welt. Als feststand, dass wir ein Heft über Kinder machen wollten, konnten wir natürlich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen und haben Lucia gefragt: Wie waren Schwangerschaft und Geburt für dich? Im Interview erzählt Lucia vom Gefühlschaos der ersten Monate, vom zunehmenden Mitbestimmungsrecht der Mütter während der Geburt und der Wichtigkeit des Vertrauens.
Das ist ein Beitrag aus unserem vierten Printmagazin mit dem Thema „(Keine) Kinder“. Diesen und weitere exklusive Beiträge gibt’s im GNM+ Abo
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Vom Schock zur Bewunderung
“Als ich den Test gemacht habe, war ich erst einmal total schockiert”, meint Lucia lachend. Denn für sie und ihren Mann war zwar klar, dass sie Kinder haben wollten, “ich hatte aber irgendwie nie das Gefühl, dafür bereit zu sein”. Dementsprechend war die Reaktion, als einige Tests später wirklich feststand, dass es nun so weit war, erst einmal “Gefühlschaos”.
Und viele Fragen: Ist das jetzt der richtige Zeitpunkt für uns als Familie? Passt das gerade mit meinem Job? Wie sollen wir das finanzieren? Ist das jetzt eine gute Nachricht?
Für ihren Mann war die Antwort gerade auf die letzte Frage einfach: “Er hat sich wahnsinnig gefreut”, berichtet Lucia lächelnd. Sie selbst entwickelte nach und nach, “Vertrauen in das Leben, auch in mich und darin, dass es vom Verstand her gar nicht der ‘richtige Zeitpunkt’ sein muss”. Mit dem Vertrauen kam auch die Vorfreude:
“Desto mehr das eingesickert ist, stellte sich dann ganz viel Bewunderung ein, und auch Dankbarkeit, dass es für mich überhaupt möglich ist, schwanger zu werden und dann auch ganz viel Freude.”
So war es auch in Ordnung, die Antworten auf viele Fragen noch nicht zu kennen, zum Beispiel, ob das Kind in Kenia oder in Deutschland zur Welt kommen soll. Bestimmte Sachen offenzulassen sei auch eine schöne Entscheidung gewesen, beispielsweise was das Geschlecht oder den Namen des Kindes anging. “Das ist auch stark von der Kultur meines Mannes geprägt”, erklärt Lucia. “Da ist die Philosophie: Das Kind bringt alles mit. Es bringt mit, wer es ist und auch, welchen Namen es trägt”.
In den Körper vertrauen
Dennoch gab es natürlich einiges an Vorbereitung, wie die Untersuchungen bei der Frauenärztin. Auch das Wissen aus den klassischen Geburtsvorbereitungskursen sei interessant, meint Lucia. Es sei aber viel für den Verstand: “was passiert wann, wie viele Minuten, in wie vielen Abständen, und so weiter”.
Körperliche und emotionale Sicherheit gab ihr ein Hypnobirthing-Kurs, den sie online belegte. Dabei geht es, anders als der Name suggeriert, nicht um Hypnose, oder zumindest nicht um das, was wir uns unter Hypnose meist vorstellen. Vielmehr stehen beim Hypnobirthing Strategien im Zentrum, die der Gebärenden die Angst nehmen und die Geburt weniger schmerzhaft machen soll. Dazu zählen vor allem Atem- und Entspannungstechniken.
Wie Lucia sagt: “Geburt hat eigentlich am meisten mit Entspannung zu tun. Alles andere macht der Körper von allein”.
Liebeshormone statt Adrenalin
Denn alles, was wir brauchen, so Lucia, ist eigentlich: Liebe. Genauer gesagt das sogenannte “Liebeshormon” Oxytocin, das der Körper beim Geburtsprozess ausschüttet, um die Kontraktionen auszulösen. Zu viel Adrenalin hingegen ist äußerst kontraproduktiv. Denn das Stresshormon wirkt wehenhemmend und erschwert und verlängert den Geburtsprozess.
Genau darum ist es so wichtig, dass Frauen während der Geburt ein Mitbestimmungsrecht haben. Dass sie sich fragen können: “was tut mir gerade gut?” und das einfordern können – sei es eine Massage, warmes Wasser, oder einfach mal allein gelassen zu werden.
Das Wissen, eben nicht hilflos zu sein, sondern Einfluss auf den Geburtsprozess nehmen zu können, ist entscheidend, um Müttern vor und während der Geburt die Angst zu nehmen, erklärt Lucia: “Das war wie ein Empowerment. Weil ich dadurch nicht das Gefühl hatte, ich kann nichts dazutun, dass es eine sanfte, natürliche Geburt wird. Sondern ich konnte eine ganze Menge dafür tun, dadurch, dass ich meine Rechte kenne, weiß, was ich mir wünsche, was mir guttut, was ja ganz intime und persönliche Fragen sind.”
“Du hast die Wahl, und das ist super wichtig zu wissen”
Zum Glück ist eine solche Mitbestimmung immer mehr möglich. “Man kann immer seinen Geburtsplan vorher besprechen und das würde ich auch jeder Frau empfehlen“. Natürlich können sich während der Geburt Änderungen zum Plan ergeben, schließlich ist klar: Das Leben von Mutter und Kind muss oberste Priorität haben.
Letztendlich ist aber auch “in vielen Krankenhäusern immer mehr die Einsicht da, dass die Mutter selbstbestimmt und entspannt sein sollte bei der Geburt”, so Lucia. Denn Geburtstraumata dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Hierfür ist es entscheidend, dass die Mutter entscheiden darf, wie und wo sie angefasst werden möchte oder welche Position sich für sie gut anfühlt.
Auch “nein” sagen zu können gehört dazu, beispielsweise zu Schmerzmitteln oder zu bestimmten Untersuchungen, wenn diese gerade nicht medizinisch notwendig sind. “Ich habe auch sehr oft nein gesagt”, erinnert sich Lucia “und dass ich in der Lage war, nein zu sagen, zeigt eben auch, dass ich eine starke Person in dem Moment sein konnte. Du hast oft die Wahl und das ist super wichtig zu wissen”.
Mehr noch als im Krankenhaus gibt es im eigenen Zuhause oder in Geburtshäusern die Möglichkeit, die eigenen Wünsche einzubringen. Geburtshäuser werden zunehmend nachgefragt, ebenso wie die wachsende Nachfrage nach Doulas (Schwangerschafts- und Geburtsbegleiter:innen) zeigt dies, dass in der Gesellschaft der Wunsch nach einer anderen Geburtserfahrung steigt. Einer Erfahrung nämlich, “wo wir die Geburt nicht nur rein medizinisch betrachten, sondern als wunderschönes, empowerndes Erlebnis”.
Hin zu positiven Geburtsgeschichten
Erleben wir also gerade einen Wandel? Laut Lucia hat sich schon einiges getan, auch im medizinischen Kontext. Sie wünscht sich nun “gesellschaftlich noch mehr Empowerment”, damit klassische Narrative aufgebrochen werden, die “die Geburt oft als etwas super Kritisches darstellen, als etwas, was super schmerzhaft sein muss und dieses Bild erzeugen, dass ich da schreiend auf dem Rücken liege und mehr oder weniger ausgeliefert bin.”
Solche Bilder werden in Medien und in Diskursen immer wieder reproduziert, hin zu regelrechten “Horrorgeschichten”, meint Lucia. Immer geht es vor allem um Schmerz. Und es stimmt, es gibt Frauen, die leider eine schwierige Geburtserfahrung haben. Ihre Erfahrungen dürfen in keinem Fall kleingeredet werden. Aber es gibt eben auch Geburten, die ganz anders laufen.
“Eine Freundin von mir war im Geburtshaus”, erzählt Lucia. “Sie wurde dort ganz liebevoll begleitet und hat sich total stark gefühlt die ganze Zeit. Es waren Kerzen im Raum, es war Wasser da, sie hat gebadet, hat ihren Sohn zur Welt gebracht, dann haben sie Pizza gegessen und nach kurzer Zeit waren sie wieder zu Hause.”
Lucia wünscht sich, dass wir solche positiven Geburtsgeschichten bald nicht mehr suchen müssen. Als fester Teil des Narrativs können sie helfen, die Angst vor der Geburt zu nehmen – und vielleicht sogar in Vorfreude zu verwandeln. So zumindest war es bei ihr: “Viele meiner Freundinnen hatten eine total schöne Geburtsreise, sodass ich, als ich mich vorbereitet habe, eher gespannt war und eine richtige Vorfreude entwickelt habe”, erzählt sie.
Und nach der Geburt?
Nach der Entbindung standen für Lucia erst einmal 40 Tage Ruhe an. Diese Philosophie der “heiligen 40 Tage” knüpft an das deutsche Verständnis vom Wochenbett an. Es ist eine Zeit, erklärt mir Lucia, in der sich der Körper regenerieren kann, das Kind ankommen kann, Mutter und Kind zueinander finden: “Man sagt auch: ‘40 Tage, dann 40 Jahre’”, sagt sie und lächelt ihre kleine Tochter an.
Diese 40 Tage könnten durchaus herausfordernd sein, auch, weil das Ruhen gegen das gesellschaftliche Ideal der Produktivität geht. Nach der Geburt sei unproduktiv sein, jedoch das produktivste, was wir tun können, so Lucia: „Du bist durch so ein kleines Kind ja schon genug gefordert. Alles, was du brauchst, ist dann erst einmal Ruhe und sonst gar nichts”.
In anderen Kulturen ist dieses Bewusstsein deutlich weiter verbreitet. So gibt es beispielsweise in vielen asiatischen Ländern speziell für die Zeit des Wochenbetts Angestellte, die Mutter und Kind umsorgen; auch die Betreuung durch Hebammen ist intensiver und es geht mehr um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mutter. Und das Liegen und Umsorgtwerden für 30 bis 40 Tage nach der Geburt ist gang und gäbe.
Natürlich muss eine solche Phase der Ruhe auch finanziell möglich sein. Wenn der oder die Partner:in bereits früh nach der Geburt wieder zur Arbeit muss, ist ein soziales Netzwerk umso wichtiger: “Ich wünsche mir, dass wir da gesellschaftlich wieder mehr Bewusstsein schaffen, wie wir uns unterstützen können”, meint Lucia. Auch wenn es für lange Besuche und Unterhaltungen noch zu früh sei, könnte man als Freund:in zum Beispiel einer frisch gebackenen Mama etwas Tolles kochen, für sie putzen oder den Abwasch machen.
Anerkennung für den wichtigsten Job der Welt
Was zudem von Seiten der Politik noch getan werden kann, um junge Mütter und Familien finanziell zu entlasten, ist, das Elterngeld einkommensunabhängig zu machen – also eine Art Grundeinkommen für Mütter zu schaffen. Dadurch könnte sich auch ändern, “wie das Muttersein gewertet und anerkannt wird”, meint Lucia. Denn die Mutterschaft ist viel mehr als eine berufliche Auszeit, betont sie: „Du machst gerade den wichtigsten Job der Welt!”
Ein anstrengender Job noch dazu. Es ist also völlig okay, wenn mal der Haushalt nicht gemacht ist, die Haare nicht gemacht sind und Mütter nicht immer gut drauf sind. Es gibt immer auch Schattenseiten, das ist normal. Darum gilt nach der Geburt ebenso wie davor: am wichtigsten ist Vertrauen in sich selbst und die Zukunft. Das Beste, was wir tun können, ist darum, uns zu fragen: Was kann mir Vertrauen geben? Oft hilft es, die eigenen Ängste und Sorgen mit anderen zu teilen. Und positive Geschichten zu hören aus der Zeit vor, während und nach der Geburt.
Wie Lucias Geschichte, die uns zeigt: Wir müssen vom Verstand her nicht bereit sein. Wir müssen nicht perfekt vorbereitet sein, ja, wir dürfen sogar schockiert sein. Solange wir darin vertrauen, dass es schon wird. Oder, wie Lucia sagt: “Trust the water and jump”.
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