Der Ausbruch aus dem Wachstumsdogma
Green Growth und das neuste Eco-Marketing sind von gestern. Denn die Zukunft der Wirtschaft ist vielfältig, bunt und vor allem innerhalb der planetaren Grenzen. Pure Fiktion? Nein, denn schon längst gibt es Unternehmen, die eine andere Strategie fahren. Jenseits von Wettbewerb, Billigpreisen und Wachstum um jeden Preis.
Hier liest du von der Transformation der Wirtschaft, der gesamten Wirtschaftslehre – und von fünf einzigartigen Geschichten, die dem neoliberalen Kapitalismus die Stirn bieten.
Mutiges wirtschaftliches Handeln gefragt
Keine Tagesschau, nahezu keine Corona-Neuigkeit kommt ohne den Ausblick auf das deutsche Wirtschaftswachstum aus. Mit diesem verbinden wir wohl alle dieselbe wichtige Zahl: das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Dass dieses weder die sozialen Verhältnisse eines Landes, noch die Zufriedenheit der Bürger:innen oder die begrenzten Ressourcen unseres Planeten berücksichtigt, ist mittlerweile vielen bekannt.
Doch wie lässt sich aus dem Wachstumsdogma ausbrechen? Wie den Fokus auf Umwelt und Gemeinwohl legen? Bei einem globalen System, das die Akkumulation von Kapital und Eigentum in den Händen weniger hält. Bei einem System, das die historisch gewachsenen und geschaffenen Ungleichheiten zwischen Globalem Norden und Süden sowie den Raubbau an der Natur und an den zukünftigen Generationen befördert.
Homo oeconomicus, geh nach Hause
In der Wirtschaftslehre ist er gut bekannt: der Homo oeconomicus. Der eiskalte Nutzenmaximierer, immer nur auf den eigenen Gewinn bedacht. Auch so etwas wie Nächstenliebe oder Ehrenamt pressen Theoretiker:innen in dieses Bild. Denn angeblich ist auch hier am Ende jede:r nur auf sich bedacht. Es läuft immer das Kalkül mit: „Tue ich jetzt etwas Gutes, werde ich es zurückbekommen!“ So erklärt diese Theorie das Verhalten von selbstlosen, liebevollen Menschen. Doch langsam, aber sicher bekommt der Homo oeconomicus, auch in den Köpfen von Ökonomisten und Wirtschaftstheoretiker:innen, Freundinnen und Freunde. Und die sind ganz anders, als nur der eine Typ: Stichwort Pluralität.
Ein solch plurales, also vielfältiges und diverses Verständnis von Ökonomie und generell vom Menschen, hält immer mehr Einzug in die Theorie. Noch dominiert die Neoklassik, die Lehre von einem rationalen Mensch und dem vollkommenen Markt, das ökonomische Verständnis großteils. Das sieht man unter anderem vor allem an den VWL-Lehrplänen an deutschen Universitäten. Auch viele Bürger:innen-Initiativen, wie die solidarische Landwirtschaft oder die Freie-Software-Bewegung, fördern und fordern ein diverses Verständnis von Wirtschaft. Vorreiter ist das Netzwerk Plurale Ökonomik.
Und vor allem hält dieses Verständnis immer mehr Einzug in die Praxis. Mehr und mehr Unternehmen setzen auf vielfältiges, faires und nachhaltiges Wirtschaften zum Beispiel als Social-Start-up.
Hier zeigen wir fünf Unternehmen, die sich mutig für faires Wirtschaften einsetzen und ein plurales ökonomisches Denken fördern.
1. Wer braucht schon einen Businessplan? Stoffbeutel und Kleidung made in Germany
Eine junge Gründerin, eine Halle mitten in Augsburg und eine große Portion Mut und Eigenwille führten zur erfolgreichen, deutschen Öko-Textilfima Manomama. Sina Trinkwalder hält wenig von herkömmlichen Wirtschaftswissenschaften und möchte vor allem Menschen, die auf dem üblichen Arbeitsmarkt keine Chance haben, eine Arbeit geben. Nach neun Jahren werden Stofftaschen und ganze Kollektionen für große Supermarktketten zu fairen Löhnen und Arbeitsbedingungen, sowie mit lokalen Ressourcen und zertifizierter Baumwolle aus Tansania und der Türkei gefertigt. Was zum großen Erfolg verhalf? Die ein oder andere Crowdfunding-Kampagne für neue Maschinen, ein Großauftrag per Zufall von DM und viel Vertrauen in die Zukunft und die Menschlichkeit – jedoch nicht die eigene Marketing-Strategie, Ausgaben für Werbung und horrend bezahlte Manager:innnen.
Natürlich lassen sich Unternehmen kritisieren, die nach anfänglichem Erfolg munter weiter wachsen und sich auch der Zusammenarbeit mit großen Ketten bedienen. Allerdings ist die große Nachfrage auch ein schönes Zeichen des Wandels. Fair produzierende Unternehmen können im aktuellen System mitwachsen und somit die Strukturen allmählich und nachhaltig verändern.
2. Zero-Waste auch im Restaurant – Reformen in der Gastronomie
„Uns ist es wichtig, mit FREA einen Ort zu schaffen, der ganzheitlich ist und Genuss mit Nachhaltigkeit verbindet, indem er keinen Müll produziert. Unsere Kompostiermaschine “Gersi” verarbeitet all unseren Abfall innerhalb von 24 Stunden zu einem Bodenersatzstoff, welchen wir an unsere Zuliefer-Bauernhöfe zurückgeben können“
Website von FREA
Eines der weltweit (noch) rar gesäten Zero-Waste Restaurants öffnete 2019 seine Tore in Berlin. Wie das funktioniert? Ganz viel Selbstherstellung, Einkäufe direkt aus der Umgebung, ohne Zwischenhändler:innen, und eine eigene Kompostieranlage, die Dünger für die Landwirt:innen herstellt. Selbst bei der Einrichtung konnte mittels Secondhand beinahe auf Plastikverpackungen verzichtet werden.
Hier gibt es nur vegane und biologische Gerichte, die Kritiker:innen vor allem durch den Geschmack überzeugen sollen. Auch während des Lockdowns ist das Team aktiv, zum Beispiel, wenn es um neue Kreationen geht oder ein selbsthergestelltes Hasenlussmus mit Nüssen aus Bayern.
3. Ökobier aus dem bayrischen Allgäu, jetzt auch mit der Strategie Solidarität
Die kleine, seit 124 Jahren existierende, Brauerei Härle setzt schon lange auf Ökologie: Biobier und regionale Rohstoffe seit den 90ern, Klimaneutralität seit 2000. Der Fokus auf den Menschen und die Umwelt brachte 20 Prozent mehr Wachstum in den vergangen 20 Jahren, ganz im Gegensatz zum Rest der Branche.
Doch Wachstum als einzige Strategie funktioniert schon lange nicht mehr. Die Brauerei legt großen Wert auf Solidarität und Fairness in der gesamten Produktion. So sind Landwirt:innen auch bei Ernteausfall durch Härle risikoversichert und sie erhalten zwei bis fünf Jahresverträge zu festen Preis. Gutscheine und gestundete Rechnungen helfen Wirt:innen durch die Coronakrise. Gemeinsame Produktion ohne Wachstumsfokus hat oberste Priorität.
4. Lichtblick in der Outdoor-Branche: Patagonia verabschiedet sich vom Wachstumsziel
Auch die Outdoorbranche ist ein schmutziges Geschäft. Enthalten doch viele der Produkte gesundheitsschädliche und nicht abbaubare poly- und perfluorierte Chemikalien (PFC). Doch auch diese Branche ist im Wandel und so berichtete Greenpeace bereits 2017 von großen Entgiftungsversprechen von beispielsweise The North Face und Mammut.
Das US-Unternehmen Patagonia geht schon seit langem viel weiter. Der Gründer Yvon Chouinard war gleichzeitig Unternehmer und Umweltschützer. Er gründete ebenfalls die „One Percent For The Planet“-Allianz von Unternehmen, die sich dazu verpflichten jährlich mindestens ein Prozent ihres Nettoumsatzes an Umweltorganisationen zu spenden. Patagonia ist schon lange eine der wohl nachhaltigsten Firmen der Welt. Erst kürzlich erlebte dieses Unternehmen unter der letzten CEO Rose Marcario ein beachtliches Wachstum (der Umsatz verdreifachte sich). Doch damit ist jetzt Schluss. Wachstum ist kein Ziel mehr. Denn gerade die Outdoor-Branche trägt eine besondere Verantwortung, da sie Menschen in die Natur begleitet. So findet es zumindest der neue CEO von Patagonia Ryan Gellert.
„Zum Beispiel wollen wir jetzt weniger Neuware produzieren und uns stattdessen auf den Wiederverkauf von Secondhand-Produkten konzentrieren.“
Ryan Gellert, CEO Patagonia, in der NZZ am Sonntag
Neben dieser neuen Unternehmensstratgie, engagiert sich Patagonia auch aktivistisch: etwa mit dem in Hosen eingenähten Etikett „Vote the assholes out“ im Zuge der letzten US-Wahlen oder durch die Teilnahme beim Facebook-Werbeboykott.
5. Essen für das Kollektiv: Die erste Tofu-Manufaktur Berlins
Nur drei kluge Köpfe bedarf es, um mal eben handgemacht und nachhaltig den König unter den Veganer:innen eigenständig zu produzieren – und zwar mitten in Berlin. Und nein, die Sojabohnen kommen nicht etwa aus dem Regenwald, sondern biologisch zertifiziert aus Deutschland und meistens auch aus der Region oder manchmal aus Niedersachsen. Vertrieben wird der Tofu samt kleinem Imbiss am samstäglichen Wochenmarkt und in kleinen Läden, CO2-neutral per Lastenfahrrad versteht sich.
Dabei geht es neben einer alternativen Weise zu wirtschaften, also ohne Preis- und Mengendruck beispielsweise, auch um Abgrenzung vom herkömmlichen Tofu aus dem Supermarkt: der Tofu wird stärker gepresst und kann dadurch mit weniger Wasser als herkömmlich verkauft werden.
Die Vision von einer ressourcenschonenden, ökologischen und ethischen Wirtschaftsweise brachte die Freund:innen zum Erfolg. Trotz riesiger Stolpersteine am Anfang, wie die eigene Kreditunwürdigkeit und die Kündigung der ersten Manufaktur, ist die Tofu-Manufaktur ein Beispiel für regionale, faire und zukunftsweisende Lebensmittelproduktion.
Fazit: eine plurale Ökonomie ist aus Unternehmer:innen-Perspektive möglich
Degrowth, blaue, Umwelt- und Gemeinwohl-Ökonomie sind nicht mehr nur bloße Theorien. Unsere Art zu Wirtschaften auf Kosten der Natur und zukünftiger Generationen muss sich dringend ändern. Aber das tut sie zum Glück bereits: mutige Menschen gehen mit gutem Beispiel voran und zeigen wie ethisches, plurales Wirtschaften möglich wird. Egal ob in der Textil- und Outdoorbranche oder bei Lebensmitteln, Unternehmen wandeln sich.
Lasst uns gemeinsam die Pandemie nutzen, um das ewige Wirtschaftswachstum kritisch zu hinterfragen, denn unsere Entscheidungen heute beeinflussen unser gemeinsames Morgen.
Beitragsbild: Javier Allegue Barros / Unsplash
Bilder im Text: FREA und Jake Peacock / Unsplash