Plastik fischen, Leben verändern

5 Jahre Plastic Fischer: Gründer über Erfolge und Herausforderungen

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von | 1. August, 2024

Über 1.700 Tonnen Plastik hat Plastic Fischer bereits aus den Flüssen geholt. Fünf Jahre nach dem Start berichtet Gründer Karsten Hirsch von Erfolgen, Herausforderungen und vielen neuen Ideen für die Zukunft.

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Als ich Karsten frage, was ihn in den vergangenen Jahren seit der Gründung von Plastic Fischer am meisten überrascht hätte, lacht er: “Es waren fünf Jahre der Überraschung!” Am Anfang stand damals eine – rückblickend gar nicht so – verrückte Idee von drei Freunden nach ihrer Vietnamreise. Heute ist daraus ein erfolgreiches Unternehmen geworden, mit 89 Angestellten und 42 Standorten in Indien und Indonesien. Und mit einer enormen Menge an Plastik, das Dank Plastic Fischer nicht in die Ozeane gelangt.

Jetzt stellt sich für das Unternehmen die Frage, wie es weitergeht. Es geht wie immer ums Geld, das dringend nötig ist, um bestehende Projekte aufrechtzuerhalten und neue Initiativen zu finanzieren. “Wir wollen unbedingt weitermachen!” sagt Karsten, derzeit sei nur noch nicht sicher, wie. Zwischen großen Plänen und großen Herausforderungen ist nur so viel sicher: in den letzten fünf Jahren hat Plastic Fischer viel bewirkt. Sie haben die Flüsse zweier Länder, die unter extremer Plastikverschmutzung leiden, deutlich sauberer gemacht und über eine Tonne Plastik davon abgehalten, in unsere Meere zu gelangen. Vor allem haben sie das Leben vieler Menschen vor Ort zum Positiven verändert. Und die Chancen für noch mehr Veränderung sind groß.

Das Ziel: Den Ganges vom Platz 1 der dreckigsten Flüsse der Welt bewegen

Plastic Fischer fokussiert sich mit der Arbeit vor allem auf extrem dreckige Flüsse. Der Ganges ist der dreckigste Fluss der Welt. Das möchte das Startup ändern. Es sind bereits neue Standorte entlang des Flusses geplant, der sich durch den Norden Indiens erstreckt, bis er schließlich in der Bay of Bengal mündet. Durch die Expansion in diese Städte möchte Plastic Fischer die Plastikflut in den Ganges drastisch reduzieren und dafür sorgen, dass er bald nicht mehr die Liste der dreckigsten Flüsse der Welt anführt.

Acht bis zwölf Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr in unseren Meeren, 80 Prozent davon stammen aus Flüssen und Küstenregionen. Dennoch gab es bis zur Gründung von Plastic Fischer kein anderes Unternehmen, das seinen Fokus auf Flussplastik legte. Über die Jahre hat Plastic Fischer ein effektives System gefunden und weiterentwickelt. Ihre TrashBooms, schwimmende Barrieren zum Stoppen und Sammeln von Flussplastik, werden inzwischen auch von anderen Organisationen eingesetzt.

Citarum River TrashBoom 1 1
Trash Boom im Citarum River
Before TrashBoom Cleanup
Mitarbeiter von Plastic Fischer sammeln das aufgefangene Plastik


Erfolgsgeschichte trifft auf Realität

Seit seiner Gründung hat Plastic Fischer eine enorme Entwicklung hingelegt. “Ich bin total stolz darauf, wie wir gewachsen sind”, betont Karsten. Gleichzeitig steht das Unternehmen gerade an einem wichtigen Wendepunkt. Denn große Pläne benötigen Finanzierung. Und große Pläne hat Plastic Fischer en masse.

Kurzfristig will das Unternehmen entlang der gesamten Küste Indiens expandieren und weitere Standorte entlang des Ganges und des Yamuna Rivers errichten, zwei der meist verschmutzten Flüsse weltweit. Langfristig soll es weit über Indien hinausgehen: Plastic Fischer will zur größten Firma im Bereich Plastikreduzierung und -vermeidung weltweit werden.

“Wir wollen einfach super viel Plastik stoppen. Weil wir den richtigen Ansatz haben, indem wir es sehr pragmatisch und sehr lokal lösen.” 

Was wie ein hochgegriffenes Ziel wirken mag, ist laut Karsten durchaus realistisch, und zwar aufgrund der besonderen Funktionsweise des Unternehmens. Die TrashBooms werden lokal und kosteneffizient hergestellt. Weil die Technologie einfach ist, können die Barrieren vergleichsweise einfach gebaut, repariert und bedient werden, was heißt, dass sie schnell implementiert werden können. Was Plastic Fischer darüber hinaus besonders macht, ist, dass das Unternehmen zum allergrößten Teil vor Ort angesiedelt ist. Bis auf zwei Angestellte in Deutschland ist der Rest des Teams direkt in Indien und Indonesien ansässig. So fließt der Großteil des Geldes in lokale Strukturen. 

“Das Potenzial und die Hoffnung, dass wir wirklich einen Unterschied machen, ist da”, betont Karsten. Die Herausforderung ist nun, dafür Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. 

Hohe Ziele stecken – und erreichen

Was mit den nötigen Geldern alles möglich ist, zeigt die Entwicklung der letzten zwei Jahre. Damals kam mit der Allianz der erste große Partner an Bord. Mit der Unterstützung, der in Indien vorwiegend im IT-Sektor tätigen Firma, baute Plastic Fischer den Standort im südindischen Trivandrum auf, der heute der größte Standort der Firma ist. Das Ziel: Dort innerhalb von drei Jahren 550 Tonnen Plastik sammeln und verhindern, dass es in die Meere gelangt. Ein hohes Ziel, aber eines, das in Reichweite ist, wie Karsten betont:

“Zu dem Zeitpunkt, als wir den Vertrag mit der Allianz unterschrieben haben, hatten wir weniger als 100 Tonnen gesammelt und noch nie ein Projekt dieser Größenordnung gemacht. Wir haben uns sehr ambitionierte Ziele gesteckt und wir sind sehr sehr stolz, dass wir gerade dabei sind, all diese Ziele auch zu erreichen.”

Langfristig, so hofft Karsten, kann Plastic Fischer auch direkt mit den Lokalregierungen zusammenarbeiten. “Das muss das Ziel sein, dass die Regierungen uns für unsere Arbeit bezahlen, weil es deren Aufgabe ist, Infrastruktur für Abfallwirtschaft zu schaffen”, erklärt er. Langsam käme auch zunehmend Interesse von Seiten der Regierungen vor Ort, auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ sei auf ihre Arbeit aufmerksam geworden. Nur: “Es dauert natürlich alles lange”, meint Karsten und ihm ist anzumerken, wie schwer ihm das Warten fällt. Denn viele Projekte sind schon geplant und warten nur auf die Finanzspritze.

So viel mehr

So zum Beispiel die Projekte, die mehr Bewusstsein dafür schaffen sollen, wie mit Müll umgegangen werden kann. “Das ist ja Bestandteil unserer Arbeit seit Beginn”, erläutert Karsten. In Varanasi, einer Stadt in Nordindien direkt am Ganges, organisiert Plastic Fischer gemeinsam mit einer lokalen Nichtregierungsorganisation beispielsweise jeden Sonntag eine Aufräumaktion am Strand. Seit zweieinhalb Jahren beteiligen sich daran jeweils 50 bis 100 Menschen. Eine ähnliche Aktion gibt es mehrmals im Monat in Kanpur. 

“Das ist ein wichtiger Bestandteil, der viel Spaß macht und auch langfristig was in den Leuten auslöst”, berichtet Karsten. Genau deshalb wären weitere und vor allem weitreichendere Aktionen so wichtig: “Wir wollen wortwörtlich mehr und mehr flußaufwärts arbeiten und verhindern, dass der Müll überhaupt erst in den Fluss gelangt.”

“Wir wollen so viel mehr machen und wir können so viel mehr machen!”

Derzeit wird der meiste Müll in Indien, wie in vielen anderen Ländern, verbrannt oder landet in der Umwelt – und in den Flüssen. Kein Wunder ohne Abfallwirtschaftssystem, so Karsten. Daher ginge es darum, den Menschen andere Möglichkeiten für den Umgang mit Müll zu zeigen. Das ginge nur über Bildung und, vor allem, “über Alternativen zur Verschmutzung, Alternativen zum Fluss”.

Ein Punkt dabei sei das Recyclen von Sachen, die sonst in der Verbrennung landen. “Wir wollen recyclebare Materialien wie z.B. Flaschen in die Wirtschaft zurückführen, das heißt wir wollen sie verkaufen und den Gemeinden die Erlöse zur Verfügung stellen, um zu zeigen: Ihr könnt aus diesem Müll Wert generieren”, erzählt Karsten. So entsteht ein neues Bewusstsein dafür, was eigentlich Müll ist – und was noch verwertet werden kann. Und auch für Material, das schwer oder gar nicht recycled werden kann, haben sie bei Plastic Fischer eine Idee: Aus diesem Plastik sollen Bänke und Mülleimer entstehen. So hat auch dieser “Müll” noch einen Wert. Und die Menschen vor Ort erleben so eine zunehmend saubere Umwelt, die es lohnt, weiterhin sauber zu halten.

Weniger Schmutz, weniger Gestank, weniger Moskitos

Der wohl beste und nachhaltigste Weg überhaupt, um Bewusstsein zu schaffen, sind die schon jetzt spürbaren positiven Effekte der Arbeit von Plastic Fischer. In Trivandrum beispielsweise sorgte die regelmäßige Säuberung der Kanäle dafür, dass diese zum ersten Mal in der Monsunzeit nicht über die Ufer traten und Häuser nicht mit Schmutzwasser und Müll überflutet wurden. Auch weitere Aspekte des Alltagslebens haben sich verbessert.

“Wir litten beständig unter Moskitostichen und dem Gestank des Wassers. Jetzt wo die Anlagen installiert sind und die Abflüsse regelmäßig gesäubert werden, sind der Gestank und die Moskitos viel weniger geworden”, erklärt eine Bewohnerin Trivandrums. Weniger Moskitos, die in den stehenden, verschmutzten Gewässern brüten, bedeutet gleichzeitig, dass weniger Krankheiten über Insektenstiche verbreitet werden. Es ist eine Binsenweisheit, aber sie ist nun einmal wahr: Umweltschutz kommt – sofern er richtig umgesetzt wird – eben auch uns Menschen zugute.

“Es ist sehr schön zu sehen, dass wir Leuten Perspektive und Planungssicherheit in ihren Leben geben können”

Ganz besonders profitieren natürlich die Angestellten vom Einsatz bei Plastic Fischers vor Ort. Ein Großteil des Teams arbeite bereits seit mehreren Jahren für das Unternehmen, erklärt Karsten, trotz der körperlich anstrengenden Arbeit: “Weil wir ihnen faire Gehälter zahlen, pünktlich ihre Gehälter zahlen, weil sie geregelte Arbeitszeiten haben und mit Respekt behandelt werden.”

Plastic Fischer Team Varanasi in Sorting Facility 1
Das Team von Plastic Fischer in der Mülltrennungsstation in Varanasi

Enorme Herausforderungen, enorme Chancen

Es sei dieser positive Einfluss auf der sozialen Ebene, der ihn nach fünf Jahren der Überraschung immer wieder aufs Neue überraschen würde, antwortet Karsten mir nach kurzem Nachdenken auf meine Frage vom Anfang.  

“Es klingt vielleicht etwas pathetisch und aufgeblasen, aber ich kenne die Leute inzwischen und wir verändern deren Leben”, erklärt er. “Letztens hatte jemand einen Herzinfarkt und konnte im Krankenhaus rechtzeitig behandelt werden – wegen unserer Krankenversicherung. Es gibt Menschen, die ohne uns keinen Job hätten und auch nicht finden würden. Andere Leute können sich zum ersten Mal in ihrem Leben einen Mülleimer kaufen und ihre Kinder zur Schule schicken, weil sie jetzt für uns arbeiten.”

Und er endet mit einer Aussage, die auf die gesamte Problematik der Müllvermeidung ebenso zutrifft wie auf die Arbeit von Plastic Fischer selbst: “Es gibt super viel, was getan werden muss und die Herausforderungen sind enorm. Aber die Chance, die man hat, um für Veränderung zu sorgen, die ist extrem groß”.

Alle Bilder: Plastic Fischer

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    Luisa Vogt

    Luisa Vogt ist stellvertretende Print-Chefredakteurin beim Good News Magazin und liebt Sprachen, Reisen und das kennenlernen verschiedenster Kulturen. Beim Good News Magazin lebt sie ihre Leidenschaft für Sprache und für spannende, schöne Berichte aus aller Welt - weil die Welt viel mehr realistischen Idealismus braucht. Außerdem studiert sie nach ihrem Bachelor in Englisch und Französisch inzwischen im Master Asien- und Afrikastudien in Berlin und arbeitet als Lerntherapeutin.

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