Seit mehr als 30 Jahren machen die Kratzbürsten Bremen zu ihrer Theaterbühne. Unsere stellvertretende Chefredaktion war bei einer Probe zu Besuch.
Jeden Dienstagnachmittag wird es laut im Bürgerhaus des Bremer Stadtteils Oslebshausen. Denn dann proben die „Kratzbürsten“, eine Theatergruppe von begeisterten Schauspieler:innen zwischen 60 und 80 Jahren. Wer vom Alter auf eine schwerfällige Truppe schließt, irrt sich allerdings. Bereits kurz nach Ankunft bei der Theaterprobe stelle ich fest: Die Kratzbürsten machen ihrem Namen alle Ehre – auf die charmanteste Weise überhaupt.
Theatergruppe mit langer Geschichte
Als ich den großen Raum des Bürgerzentrums betrete, empfangen mich acht ältere Menschen an einer gedeckten Tafel. So beginnt ihre wöchentliche Theaterprobe traditionell: mit Kaffee und Kuchen. Und das seit mehr als drei Jahrzehnten. Doch wie kam es eigentlich dazu? Erika Hellmund, mit fast 80 Jahren die Älteste in der Runde, erinnert sich:
„Der Leiter hier, Ralph Jonas, wollte eine neue Gruppe gründen. Dann haben wir uns zusammengesetzt und ich hab gesagt: ‘Ich hab schon als Kind gerne Theater gespielt, wie wärs denn mit einer Theatergruppe?`“
Schauspielerin Erika Hellmund
Doch schon während der ersten Probe mussten die Theaterbegeisterten feststellen, dass Spielen ohne Leitung ein schwieriges Unterfangen ist. Schnell sorgte Jonas deshalb für leitende Unterstützung durch eine Schauspielerin. „Die hat das einige Jahre gemacht – und dann kam Ende der Achtziger auch schon Marion“, erzählt Frau Hellmund und weist mit einem warmen Lächeln auf die 64-jährige Frau, die in diesem Moment rechts von ihr an ihrem Kaffee nippt. „Und die ist bis heute dabeigeblieben – Wahnsinn.“
In das Lachen der Gruppe hinein beginnt Marion Küker, zu erklären: Wie sie Ellen, die damalige Spielleitung, am Theater in Oldenburg kennenlernte. Und wie sie sich aufgrund deren Schwangerschaft schnell unverhofft in der Leiterinnenrolle der Kratzbürsten wiederfand. Die gelernte Theaterpädagogin und Sozialarbeiterin staunt selbst noch immer darüber, dass sie diesen Posten so lange behielt: „Das Glück für die Gruppe war, dass ich immer Arbeitgeber hatte, die mir den Freiraum gelassen haben, an einem Nachmittag hier zu sein.“ Ihr Chef habe sie immer dabei unterstützt, „als ob das so sein sollte“.
“Jetzt sind wir fast Profis”
Gründungsmitglied Hellmund war nach umzugsbedingter beinahe zwanzigjähriger Zwangspause erst im letzten Jahr wieder zur Gruppe gestoßen. Verändert, so die Rentnerin, habe sich in den zwei Jahrzehnten ihrer Abwesenheit allerdings nichts. Für ihre Schauspielkollegin Marijanne Eberl ist diese Aussage Grund für Empörung: „Nichts?! Also ich mach’ das jetzt fast 20 Jahre und am Anfang haben wir bisschen versucht, was auf die Beine zu stellen. Aber jetzt sind wir fast Profis – das ist ein großer Unterschied.“ Die anderen in der Runde nicken zustimmend.
Auch einige von ihnen sind schon viele Jahre dabei und auf unterschiedliche Wege zur Kratzbürste geworden. Die 70-jährige Frau Eberl selbst etwa war zur Gruppe gestoßen, nachdem sie auf der Suche nach Hobby allerlei anderes versucht hatte. Erst mit den Kratzbürsten habe sie das Richtige gefunden.
In ihrer mehr als dreißigjährigen Geschichte hat die Gruppe schon viel ausprobiert – doch die Schauspieler:innen berichten auch stolz von einigen Konstanten, in der Besetzung wie auch im Programm. Vor allem bei Loriot kommen sie ins Schwärmen. Besonders gern erinnert sich Frau Hellmund an ein Stück, in dem sie gemeinsam mit einigen jüngeren Schauspieler:innen einen Banküberfall inszenierten. Das Stück sei vor allem humorvoll gewesen, doch von den Inhalten anderer blieb die Gruppe nicht unberührt:
„Natürlich stoßen manche Proben mal was an, das ist immer mal so. Oder, dass einen etwas traurig macht.“
Spielleitung Marion Küker
Um eine Therapiegruppe handele es sich dabei trotzdem nicht, stellt Marianne klar. Doch egal ob Loriot, Heinz Erhardt oder Bremer Mundart, wichtig ist vor allem eins: „Wir müssen dabei Spaß haben, sonst bringt das nichts“, betont die Schauspielerin. Der Rest der Gruppe unterstreicht das. Die Theatergruppe bringe besondere Abwechslung in den Alltag – ein echtes Highlight, das niemand von ihnen missen möchte. Grund für die Fluktuation in der Gruppe sei deshalb lediglich, dass Menschen physisch oder psychisch nicht mehr in der Lage dazu sind. „Nur unter Tränen“ blieben sie dann weg, so Marion Küker.
Alle haben ihren Platz auf der Bühne
Bei allen Inszenierungen legt die Theaterpädagogin besonderen Wert darauf, für jede:n einen geeigneten Platz auf der Bühne zu schaffen. Über die Jahre, in denen sie mit Schauspieler:innen aller Altersklassen arbeitete, hat sie dafür ein gutes Gespür entwickelt. Auch, wenn sich die Arbeit mit verschiedenen Altersklassen unterscheide, „alles hat seinen Reiz.“
„Mittlerweile verlässt sich die Gruppe auch auf mein Urteil. Wenn ich sage ‘da bist du besser’, dann glauben sie mir das auch. Deswegen gibt es auch keinen Kampf um die Hauptrollen mehr. Jeder weiß, er ist am richtigen Platz.“
Spielleitung Marion Küker
So auch Petra David, der das Lernen von Texten besonders schwerfällt. Die Spielleitung meint: „egal“. Denn: „Sie hat die beste Mimik – da kommt keiner mit. Eigentlich ist an ihr ein Clown verloren gegangen. Wenn sie loslegt, liegt uns der Saal zu Füßen.“ Und ohnehin gibt es neben dem eigentlichen Spielen auch noch andere Aufgaben, etwa das Soufflieren. Anders als in anderen Theatergruppen ist das bei den Kratzbürsten keine Aufgabe, die im Verborgenen stattfindet.
Die Souffleuse positioniert sich immer gut sichtbar auf einer mit violettem Samt eingehüllten Leiter am linken Bühnenrand. „Wir machen da nichts heimlich. Was is’, is’“, stellt Küker klar. „Das Publikum findet das ja gar nicht schlimm, wenn da mal einer aus dem Text fliegt. Viel schlimmer ist, wenn man die Spannung verliert und aus dem Stück ausstiegt.“ Daraufhin erzählen einige Schauspielerinnen lachend, wie dank ihres Improvisationstalents plötzlich ganz neue Stücke entstanden.
Georg Polle, der einzige Mann der Runde, hat hier erst vor zwei Monaten seinen Platz gefunden. „Wir hatten nur ganz selten männliche Unterstützung“, erklärt Frau Hellmund. Ihre Schauspielkollegin ergänzt: „Ja, die Männer trauen sich nicht.“ In der Gruppe hält sich Herr Polle zurück, doch einmal auf sein neues Hobby angesprochen, kommt er ins Schwärmen: „Hier kann ich was lernen, was ich sonst nicht so lernen konnte. Außerdem habe ich ein lautes Organ und das scheint hier meine Stärke zu sein.“ Und ganz so neu sei das Hobby auch gar nicht, betont er. Bereits in der Volksschule war er Teil der Laienspielgruppe. Umso glücklicher sei er, dieses Hobby bei den Kratzbürsten neu aufleben lassen zu können.
Herr Polle erzählt auch von seiner ganz eigenen Methode des Textlernens, bei der er sich das Stück auf YouTube anschaue. “Das steigert dann meine Merkfähigkeit.” Auch die anderen haben ihre Wege gefunden, um sich die teils schwierigen Texte zu merken. Erika Hellmund erzählt beispielsweise von ihren Text-Karteikarten, die sie auch zur Hand nähme, wenn sie wieder mal nicht einschlafen könne.
Bühne frei für die Kratzbürsten
Und dann geht die Probe auch schon los. Manche der Gruppe scheinen auf der imaginären Bühne des Bürgerhauses plötzlich wie verwandelt. Inbrünstig und ohne jede Scheu singen sie: „Man ist nur so alt, wie man sich fühlt.“ Ich muss an das Gespräch mit Marion einige Minuten zuvor denken. Sie meinte, dass sich die Arbeit mit älteren Menschen besonders darin von der mit Jugendlichen unterscheide, dass bei Jüngeren die Bühnenangst und -scham viel präsenter sei. Von Angst war hier jedenfalls keine Spur.
An diesem Tag probt die Gruppe für einen Auftritt am kommenden Samstag. Es wird gesungen, getanzt, geküsst und geflucht, es gibt Seitenhiebe auf die Politik und, natürlich, Szenen der Bremer Schriftstellerin Ada Halenza. Dass zwischendurch auch mal ein “Gerda, du Nuss”, ertönt, als sich eine Schauspielerin das Lachen nicht verkneifen kann, macht das Ganze nur umso authentischer.
Wie immer beschränkt sich die Gruppe auf kleinere Sketche, die sie mit passender Musik zu einem etwa einstündigen Programm verbinden. Zwischen den Sketchen finden Kostümwechsel statt. Effizienz sei dabei am wichtigsten, erklärte mir Marion Küker vorher. Außerdem verzichten sie weitestgehend auf Requisiten. „Je besser man spielt, umso weniger braucht man die. Das ist ja nur zum Festhalten“, stellt sie klar. Damit muss sie wohl recht haben, schließlich reicht die Erfahrung der Theaterpädagogin bis hin zu Zirkuskunst, inklusive Clownerie, Feuerspucken und Fakirkunst.
„Apfelkuchen ohne Gräten“
Im Bürgerhaus Oslebshausen ist das Ensemble heute fester Bestandteil des Inventars. Doch auch außerhalb der Stadtteilgrenzen kenne man sie bereits: „Wenn wir irgendwo einkaufen gehen, heißt es dann auch ‘Oh, da ist eine Kratzbürste’. Das ist schon ganz nett“, erzählt Marianne. Ist ein Stück nach etwa anderthalb Jahren Proben fertig, gibt es im Haus eine Premiere. Und die ist jedes Mal ein voller Erfolg:
„Wir sind grundsätzlich ausverkauft. Wir haben unsere Fans.“
Spielleitung Marion Küker
Zahlreiche Anfragen für weitere Auftritte gäbe es besonders von Senior:innenheimen. Doch die Kratzbürsten wären nicht die Kratzbürsten, wenn sie mit ihrem wechselnden Programm auch mal für Empörung in den gehobeneren Vierteln der Hansestadt sorgen würden. „Gerda und ich haben vor vielen Jahren ein so schlüpfriges Stück auf die Bühne gebracht, dass meine Mutter – die hat sich das damals angesehen – meinte: Ich komme nicht wieder, wenn du das spielst“, erinnert sich eine Schauspielerin mit einem schelmischen Lächeln. Aber: „Auf der Bühne ist alles erlaubt, sagt Marion immer“, gibt Marianne stolz wieder, als wäre es ein Merkspruch in der Schule.
Aus diesem Grund will die Gruppe auch weiterhin Neues ausprobieren. Zukünftige Stücke seien schon in Planung – darunter „Apfelkuchen ohne Gräten“, ein Stück, das Küker bereits aus ihrer Kindheit kennt. „Das wird einschlagen wie eine Bombe“, ist sie sich sicher. Nachdem ich die Probe verlasse, habe ich daran überhaupt keinen Zweifel.
Beitragsbild: Sinah Geffe