Die Stadt Karlsruhe ist als allererste Stadt United4Rescue, einem Bündnis zur Unterstützung ziviler Seenotrettung, beigetreten. „Dass wir die Ersten sind, hat uns selber überrascht. Das war uns nicht bewusst. Wir möchten vor allem die Initiative United4Rescue unterstützen und damit ein deutliches Zeichen für Menschenrechte setzen!“, sagt Faris Abbas, Referent des Sozialdezernats, dem Good News Magazin im Interview. Abbas ist in Karlsruhe im Büro für Integration und somit mit dem Thema Geflüchtete und Migration direkt vertraut. Wir schauen genauer hin; wie kam es zu diesem mutigen Schritt und welche Auswirkungen hat er auf die Situation in Deutschland und auf den Meeren.
Sicherer Hafen, Ahoi!
Bereits 2019 ist Karlsruhe dem Bündnis „Sicherer Hafen“ beigetreten. Das „Bündnis für Menschlichkeit“, wie sich die Aktion selbst bezeichnet, knüpft an die Bereitschaft der Städte und Kommunen, aus Seenot gerettete Geflüchtete zusätzlich aufzunehmen. So kam es, dass Karlsruhe 2019 zusätzlich zwei geflüchtete Menschen aufnahm. Dies war kein einfacher Prozess und unter anderem bürokratisch sehr aufwendig für die Stadt. Und schnell wurde klar: Es ist nicht genug.
Das Bündnis mit United4Rescue
Mitte Februar 2021 war es dann offiziell, die Stadt Karlsruhe tritt als erste Stadt Deutschlands United4Rescue bei. Doch was genau ist United4Rescue und was vertritt die Initiative?
„Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Mit diesen Worten endete der evangelische Kirchentag im Juni 2019. Teilnehmer:innen dieses Tages forderten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit einer Resolution dazu auf, ein klares Zeichen zu setzen. Sie verlangten ein Schiff zur Seenotrettung ins Mittelmeer zu entsenden und so selbst eine Rettungsmission zu starten. Die EKD beschloss die Initiative zu unterstützen. Und so gründete sich im Dezember 2019 United4Rescue. Unter anderem sammelten sie die Gelder für das Schiff Seawatch 4. Im Juni 2020 waren 501 Organisationen unter United4Rescue vereint. Diese vertreten klare …
Forderungen:
1. Pflicht zur Seenotrettung. Die Pflicht zur Seenotrettung ist Völkerrecht und das Recht auf Leben nicht verhandelbar. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen dies auf dem Mittelmeer gewährleisten.
2. Keine Kriminalisierung. Die zivile Seenotrettung darf nicht länger kriminalisiert oder behindert werden.
3. Faire Asylverfahren. Bootsflüchtlinge müssen an einen sicheren Ort gebracht werden, wo sie Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben. Dazu haben sich die europäischen Staaten verpflichtet. Das Non-Refoulement-Gebot ist zwingendes Völkerrecht: Menschen dürfen nicht zurück in Länder gebracht werden, wo ihnen Gefahr droht und sie rechtlos sind.
4. ‚Sichere Häfen‘ Ermöglichen. Städte und Kommunen, die zusätzliche Schutzsuchende aufnehmen möchten, sollen diese Möglichkeit erhalten.
Die tödlichste Grenze der Welt: das Mittelmeer
Legale Einreisewege für flüchtende Menschen in die EU sind aktuell komplett verschlossen. Dies sorgt dafür, dass die Grenzkontrollen ausgelagert stattfinden und zahlreiche Menschen das Mittelmeer als ihre einzige, wenn auch in höchstem Maße lebensgefährliche Chance auf Sicherheit sehen. Die Gründe für die Flucht der Menschen, Verfolgung, Krieg, Armut, Unrecht und Klimawandel, wiegen schwerer als die Gefährdung des eigenen Lebens. „Solange die Fluchtursachen nicht bekämpft werden können und staatliche Seenotrettung fehlt, ist es unsere humanitäre Pflicht Menschen zu retten.“ Sagt U4R. Genauso sieht es auch Faris Abbas, Referent des Sozialdezernats Karlsruhe: „Es ist keine Option Menschen bewusst ertrinken zu lassen. Es geht darum Menschen aus Seenot zu retten und dafür zu sorgen, dass das Mittelmeer kein Massengrab mehr ist.“
„Aber da kommen doch dann immer mehr!“
Dieses hanebüchene Argument gegen das Retten von ertrinkenden Menschen hält sich hartnäckig. Es ist erschreckend, wie häufig Politiker:innen und Medien sich in diese Richtung äußern. Teilweise unterstellen sie sogar den ehrenamtlichen Helfer:innen auf den Rettungsschiffen mit illegalen Schleppern Kontakt zu haben und zusammenzuarbeiten. Marco Minniti, ehemaliger Innenminister von Italien, behauptete schon 2017 die zivilen Seenotretter:innen seien der „verlängerte Arm der Schlepper“ und daher sollen die Häfen für private Rettungen gesperrt werden. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer sagte zu dem Thema, es dürfe keinen „Shuttle“ zwischen Libyen und Europa geben. Außerdem fordert Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz: „Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden.“ Denn seiner Ansicht nach führen die Rettungsaktionen der Nichtregierungsorganisationen dazu, dass noch mehr Menschen fliehen und ertrinken.
Dies sind nur einige Schlaglichter des Diskurses, mit denen Politik und Stimmung gemacht wird in Europa. Und das obwohl die These des sogenannten Pull-Effekts (mehr Menschen würden migrieren wollen, wenn es Seenotrettung gibt) wissenschaftlich mehrfach widerlegt wurde. Unter anderem eine großangelegte Studie der Universität Oxford aus dem Jahr 2017 beweist deutlich, dass es keinerlei Zusammenhang zwischen der Zahl von privaten Rettungsschiffen und der Zahl von Überfahrten gibt. Zahlreiche weitere Untersuchungen zeigen das gleiche Ergebnis: Die Rettungsschiffe der NGO‘s sind ein unwichtiger Anreiz für die Flucht. Zwischen 2016 und 2018 bestätigte dies auch eine Studie des italienischen Innenministeriums in Zusammenarbeit mit der UN-Flüchtlingsorganisation. Seenotrettung führt nicht zu mehr Flüchtenden, sondern nur zu weniger Toten.
Karlsruhe hält zusammen
„Eigentlich ist die Seenotrettung eine Angelegenheit auf Bundesebene bzw. eine Entscheidung ganz Europas. Als Gemeinde entspricht eine Lösung nicht unserer Zuständigkeit. Doch wir dürfen nicht wegschauen! Es geht um in akuter Not befindliche Menschen, eine Lösung muss zeitnah her“, sagt Faris Abbas. Daher ist Karlsruhe klar: wir müssen alle etwas tun. Schließlich sind die Fluchtursachen keinesfalls individuelle oder gar selbstverschuldete Probleme, im Gegenteil, Europa ist direkt mitverantwortlich.
„Wir haben nicht den Stein der Weisen und können sagen, was die Lösung sein kann. Aber so wie die Situation jetzt ist, ist sie inakzeptabel! Man kann niemanden einfach ertrinken lassen.“ Darüber ist sich die Bevölkerung in Karlsruhe zum größten Teil einig. Von den acht Fraktionen im Gemeinderat unterstützten die Entscheidung alle bis auf eine. Der Bürgermeister steht ebenfalls hinter der Aktion und den Zielen von United4Rescue. „Und auch zivilgesellschaftlich ist dort nach sechs Jahren immer noch großes Engagement zu finden, genau wie früher“ erzählt Abbas. Im Jahr 2015 war die Stadt Karlsruhe die einzige Erstaufnahmeeinrichtung von Baden Württemberg, alle Geflüchteten kamen zunächst hierher. „Das Land war überfordert“, erinnert sich Faris Abbas, „viele zivile Initiativen haben sich gegründet, wie die Flüchtlingshilfe Karlsruhe. Die sind auch heute noch sehr aktiv!“
Und jetzt?
Was genau die offizielle Unterstützung Karlsruhes bei United4Rescue nun bewegen wird, soll schon bald sichtbar werden. Die Stadt plant Veranstaltungen zur Bildung, Sensibilisierung, für Crowdfunding und weitere Aktionen, alles in enger Kooperation und Mitgestaltung der Beteiligten. Dabei ist die Stadt ebenfalls in Kontakt mit der Diakonie und der evangelischen Kirche, auch bei der rechtlichen und finanziellen Gestaltung von Aktionen. Eine große Herausforderung in Zeiten der Pandemie. „Wir bewegen uns dabei auch auf Neuland“, beschreibt Abbas die Situation. „Aber mal sehen, alles fängt klein an. Andere Gemeinden könnten nun bald folgen.“
Und wie es sich anfühlt in diesem Bereich Vorreiter zu sein? „Uns war nicht bewusst, dass wir die erste Stadt sind, die diesen Schritt geht. Wir wollten gar nicht unbedingt die Ersten sein. Uns ist es wichtig diese Initiative zu unterstützen und gemeinsam den Menschen auf dem Mittelmeer zu helfen. Unsere Unterschrift und Unterstützung sind ein deutliches Symbol und wir hoffen auf noch viel mehr Austausch und Sensibilität für Seenotrettung.“
Faris Abbas arbeitet beim Sozialdezernat der Stadt Karlsruhe und ist dort für das Thema Migration und Flucht verantwortlich.
Beitragsbild: Chris Grodotzki / Sea-Watch.org
Fotos Boot: Philipp Guggenmoos / United4Rescue