„Die Reaktionen übertrafen alle Erwartungen“

Palästinensisch-israelisches Restaurant Kanaan bleibt geöffnet

von | 9. September, 2025 | Füreinander

Seit Jahren betreiben der Palästinenser Jalil Debit und der Israeli Oz David Ben das Kanaan im Berliner Prenzlauer Berg. Im August stand ihr Lokal kurz vor dem Aus, nun kann es weitergehen – dank großer Unterstützung aus der Bevölkerung.

Seit Jahren betreiben der Palästinenser Jalil Debit und der Israeli Oz David Ben das Kanaan im Berliner Prenzlauer Berg. Im August stand ihr Lokal kurz vor dem Aus, nun kann es weitergehen – dank großer Unterstützung aus der Bevölkerung.

Draußen vor dem Kanaan hängen Plakate mit der Aufschrift: „Make Hummus, not war“, das Bunt der Pride-Flaggen sticht durch das Nieselgrau des Berliner Sommers hervor. Drinnen erwarten uns Kanaan-Mitgründer Oz David Ben und Jalil Dabit hinter der Bar. Es ist gut was los für einen Donnerstagmittag, die Hälfte der Tische ist besetzt. Küche, Service, alle haben alle Hände voll zu tun. Oz ist überall, bespricht mit Gästen das Menü, gibt Tipps, kümmert sich um extra Brot und spricht mit dem Chefkoch ab, wie eine neue Zutat eingesetzt werden soll. Als er sich zu uns setzt, atmet er erst einmal tief ein. Dann breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus: „Es ist stressig – aber ein gutes Stressig.“

Die letzten eineinhalb Wochen war viel los im Kanaan, so viel, wie vorher lange nicht mehr. Nach acht schwierigen Monaten stand das palästinensisch-israelische Restaurant kurz vor der Schließung. Mitte August veröffentlichte das Team einen Aufruf in den sozialen Medien: „Krieg, wirtschaftliche Unsicherheit und stark zurückgegangene Einnahmen haben uns an einen Punkt gebracht, an dem wir ohne eure Hilfe nicht weitermachen können. Wenn sich in den kommenden zwei Wochen nichts ändert, müssen wir Kanaan schließen“, schrieben sie auf Instagram. 

Der Effekt war sofort spürbar. Enormes mediales Interesse, Unterstützungsbekundungen und, am wichtigsten: gestiegene Besucher:innenzahlen. Kurz vor Ablauf der selbst gesetzten zweiwöchigen Frist erklärt Oz erleichtert: „Wir können weitermachen – fürs Erste.“

„Wenn du nicht an Wunder glaubst, komm zu Kanaan und schau zu, wie sie geschehen“

Harte Zeiten für das Kanaan

Nicht nur das Kanaan, die gesamte Gastronomiebranche spürt die Effekte der steigenden Lebenshaltungskosten und der wirtschaftlichen Unsicherheit. Trumps Zolldrohungen, der Krieg in der Ukraine, weniger Tourismus – immer mehr Restaurants müssen schließen, weil die Kundschaft fehlt. Beim Kanaan kommt ein weiterer großer Faktor dazu: der Krieg zwischen Israel und Palästina. 

„Viele Gäste sagen uns: ‚Seit zwei Jahren geht es auf jedem Titelblatt immer, wenn wir auf Social Media schauen und jedes Mal, wenn wir die Nachrichten einschalten, um Israel und Palästina, Palästina und Israel. An meinem freien Abend mit meiner Familie oder meinen Freund:innen will ich einfach eine Auszeit davon‘“, erklärt Oz. Dass das Kanaan als palästinensisch-israelisches Friedensprojekt genau das Gegenteil der Auseinandersetzungen symbolisiert, mache leider für viele Menschen keinen Unterschied. 

Und die Fronten verhärten sich. Im Juli 2024 wurde das Kanaan verwüstet, Gläser zerbrochen, Wein verschüttet. Gegen wen oder was genau sich die Attacke richtete, ist nicht klar. Für Oz ist sie Ausdruck einer zunehmenden Schwarz-Weiß-Haltung, in der eine Seite die gute sein muss, eine die böse. Dabei ist für ihn klar: „Die Lösung ist nicht pro Israel oder pro Palästina, sondern irgendwo dazwischen.“ Wie schwierig es ist, dieses Dazwischen zu finden, weiß er aus eigener Erfahrung. Doch das Kanaan zeigt eben auch, dass es möglich ist.

„Wir sind pro Frieden“

Es ist eine unwahrscheinliche Freundschaft, auf die sich das Kanaan gründet. Viel unterschiedlicher hätten ihre Hintergründe nicht sein können, erzählt Oz: „Jalil mit seiner sehr linken Perspektive, ein Palästinenser, der sein Leben lang mit Israelis gelebt hat. Und auf der anderen Seite ich, Zionist aus einer Siedlerfamilie, rechts, schwul.“ 

Trotzdem gelang es ihnen, die Unterschiede, Ängste und Vorurteile zu überwinden und gemeinsam etwas Neues zu schaffen – sozial und kulinarisch. Darum stehen auf der Speisekarte des Kanaan heute Gerichte, die sowohl die palästinensische als auch die israelische Kultur und Kulinarik abbilden. Und darum arbeiten im Kanaan Menschen mit unterschiedlichsten Biografien und Religionen, aus Israel, Palästina und Ägypten, queere Menschen und nicht-queere Menschen. Das klappt, weil die Kommunikation funktioniert. Denn im Kanaan wird über alles gesprochen, und alle Standpunkte werden akzeptiert, so gegensätzlich sie auch sein mögen. 

Diese Philosophie wollen Jalil und Oz weiter in die Gesellschaft tragen. Die Einnahmen aus dem Restaurant fließen in verschiedene Projekte, die das gegenseitige Verstehen-Lernen fördern. In wöchentlichen Kursen für Schulklassen lernen Schüler:innen beispielsweise durch Essen, zu hinterfragen, was sie mögen und was sie nicht mögen – „Dinge, von denen ich dachte, sie schmecken mir nicht“ lautet der Titel der Kurse. Gerade entsteht ein Kochbuch, das geflüchtete Menschen aus Gaza mit zugewanderten Menschen aus Israel schreiben – alle von ihnen kamen nach dem 7. Oktober nach Deutschland. Und das sind nur einige wenige der Projekte, die das Kanaan in den über neun Jahren seines Bestehens angestoßen hat.

„Wir wollen zeigen, was möglich ist“, erklärt Oz, und seine Augen leuchten, als er fortfährt: „Ich meine, wir laden hier männliche Bauchtänzer ein. Wir stellen so viele Frauen wie möglich in Führungspositionen ein. Wir veranstalten Treffen zwischen muslimischen Menschen und der LGBTQ-Gemeinschaft. Wir wollen Frieden schaffen zwischen all den Gruppen, die gesellschaftlich gespalten werden und zeigen, wie eine Zukunft im Nahen Osten aussehen kann – die Zukunft, wie wir sie hier schon sehen.“

Es geht weiter – vorerst

Doch all das stand Mitte August kurz vor dem Aus. Nachdem Jalil und Oz über acht Monate ihre eigenen Rücklagen in das Lokal gesteckt hatten, waren die Ressourcen erschöpft – und sie ebenso. Doch das Team gab sich nicht so leicht geschlagen. Sie ermutigten Oz und Jalil, die Öffentlichkeit um Hilfe zu bitten. Kurz darauf posteten sie ihren Aufruf zur Unterstützung – und die Reaktionen übertrafen alle Erwartungen. 

Natürlich reichen zwei Wochen noch nicht, um die Zukunft des Restaurants und all der Projekte, die daran hängen, abzusichern. Mindestens sechs bis acht weitere Wochen seien nötig, um das Restaurant auch im nächsten Jahr weiterführen zu können, meint Oz. Doch er hat neues Vertrauen gewonnen in die Menschen da draußen. Dass es genügend von ihnen gibt, die sie weiter unterstützen werden, weil sie an das glauben, wofür Kanaansteht: eine Möglichkeit des Miteinanders trotz aller Unterschiede. 

Wer das Kanaan unterstützen möchte, kann einfach zum Essen vorbeikommen oder einen Gutschein kaufen. Ein Muss ist der Hummus, das Gericht, das Jalil und Oz zusammengebracht hat – und ein persönlicher Favorit der Redaktion: das Labneh, ein palästinensischer Frischkäse aus Joghurt.

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