Warum tut Liebe manchmal weh – und warum lohnt sie sich trotzdem? Vielleicht, weil wir noch alten Drehbüchern folgen – Geschichten, die uns sagen, wie Nähe „richtig“ zu sein hat. Doch Liebe lässt sich neu erzählen. Sie ist kein Ziel, sondern ein Raum, der entsteht, wenn wir ihn gemeinsam betreten – ob zu zweit, zu dritt, als Wahlfamilie oder jenseits fester Formen. Was bleibt, ist das tiefe Bedürfnis nach Verlässlichkeit. Was wächst, ist die Vielfalt der Wege, auf denen wir sie leben. Vielfalt erweitert unsere Möglichkeiten, damit jede Verbindung passend werden kann – ob tradiert monogam, hetero, queer, poly, ob als Patchwork- oder Wahlfamilie.
Dieser Text sammelt Spuren davon, wie Beziehungen heute verlässlich, frei und warm gelingen können – ohne irgendein Modell abzuschaffen.
GOOD NEWS THOUGHT – unser Kommentarformat
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André Latz ist Soziologe, Dozent und systemischer Coach. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen der Persönlichkeitsentwicklung, Führung, Ethik und demokratischen Bildung – und damit, was Menschen wirklich verbindet. In diesem Artikel geht er einer Frage nach, die ihn fachlich und persönlich beschäftigt: Was ist Liebe jenseits der kulturellen Drehbücher? Warum sehnen wir uns nach Nähe – und wieso scheitern wir so oft daran, sie zu leben? Welche Rolle spielen dabei unsere Körper, unsere Geschichten, unsere Gesellschaft? Und was kann uns die Forschung heute sagen über gelingende Beziehungen, Vertrauen und Zugehörigkeit – als Grundlage für ein Leben in Verbindung mit uns selbst und anderen?
Einmal große Liebe, bitte — mit allem drum und dran?
Wir alle kennen diesen Moment: Zwei Menschen blicken sich an, die Kamera zoomt, die Herzen schlagen schneller — und wir denken: So muss sich Liebe anfühlen. Der Kuss im Regen, der letzte Tanz im Kerzenschein, das Happy End im Kinosaal, wir finden diese vertrauten Bilder nicht nur auf der Leinwand. Sie schwirren durch Popsongs, durch Bücher, durch Werbung, durch Instagram-Posts von Hochzeiten und romantischen Gesten. „Once in a lifetime love“, „für immer und ewig“ — das sind die Versprechen, mit denen viele von uns groß geworden sind. Und so messen wir unser eigenes Beziehungsleben immer wieder an diesem verinnerlichten Soundtrack unserer Gesellschaft.
Doch wenn wir ehrlich sind, sieht die Realität oft anders aus. Liebe spielt sich zwischen Alltag und Müdigkeit ab — beim Wäscheaufhängen, beim Tomatenaussuchen im Supermarkt. Und gerade dort entsteht manchmal etwas sehr Intimes: ein Blick, eine kleine Geste, ein leises ‚Ich hab an Dich gedacht‘.
Was aber, wenn wir an dieser Vorstellung – ob groß inszeniert oder klein im Alltag – gar nicht erkennen, was Liebe wirklich ist, sondern nur, was wir über sie gelernt haben?
Was, wenn wir beim Suchen nach Nähe und Beziehung oft einem inneren Drehbuch folgen, das wir nie selbst geschrieben haben?
Die Kultursoziologin Eva Illouz beschreibt genau diese Falle: „Weitverbreitete Bilder der Liebe können zu dem Gedanken verleiten, dass anderen eine Liebe geglückt ist, die uns versagt blieb, und dass eine geglückte Liebe für ein erfolgreiches Leben normativ von Bedeutung ist.“
Diese Normativität wirkt subtil und mächtig zugleich. Sie flüstert uns ein, dass eine „richtige“ Beziehung so und nicht anders auszusehen habe. Dass man eine:n Partner:in in einer romantischen Beziehung haben müsse, um vollständig zu sein. Dass eine glückliche Liebe gleichzeitig aufregend, verlässlich, leidenschaftlich und lebenslang sein müsse. Das alles macht es schwer, sich selbst nicht zu vergleichen. Wir erleben Schmerz als reale Erfahrung – Zurückweisung, Entfremdung, Verlust. Doch kulturell haben wir gelernt, diesen Schmerz als notwendigen Bestandteil von Liebe zu deuten. Als müsste Nähe erst wehtun, um wahr zu sein. So wird aus einer menschlichen Erfahrung ein Erwartungsskript.
Darin liegt aber auch etwas sehr Positives: Da ‚Liebe‘ ein kulturelles Skript ist, ist es auch veränderbar. Wir können das Drehbuch nicht nur spielen — wir können es umschreiben. Rollen streichen, Figuren hinzufügen, neue Szenen entwerfen. Kulturelle Prägungen hinterfragen bedeutet nicht, Romantik abzuschaffe…
Zuhause in der Liebe – und Liebe als Zuhause