Hören wir das Stichwort “Gesundheitssystem” kommen wahrscheinlich vielen Menschen eher Probleme in den Sinn. Vom Notstand in der Pflege, über unzureichende Versorgung oder lange Wartezeiten bei Terminen: Wir können viel dazu sagen, was alles besser laufen sollte. Denn es geht schließlich um etwas Wichtiges, wenn nicht das Wichtigste im Leben; die Gesundheit. Aber was läuft denn eigentlich schon gut? Vor allem, wenn wir einen internationalen Blick wagen, können wir viel voneinander lernen.
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Zuhören ist gesund
“Voneinander lernen” ist jedoch nicht immer leicht, vor allem in einer Welt, in der Rassismus existiert und globale Machtgefälle (auch medizinische) Trends und Richtlinien definieren. Das musste auch Arzt und Buchautor Dr. Matt Harris feststellen. Als er 2003 nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Brasilien in seine Heimat England zurückkehrte, war er voller Ideen, wie man das britische Gesundheitssystem verbessern könnte – nur um auf eine „Mauer der Vorurteile“ zu stoßen.
1999 war Harris nach Brasilien gezogen, nachdem er ein Medizinstudium in London abgeschlossen und ein Jahr im NHS (National Health Service) gearbeitet hatte. In Brasilien musste er sich erneut als Arzt zertifizieren lassen und bestand dazu Sprachprüfungen auf Portugiesisch an der Universität von São Paulo. Vier Jahre arbeitete er daraufhin als Hausarzt in der brasilianischen Provinz Pernambuco. Zurück in Großbritannien war er überzeugt, dass sein Heimatland viel vom brasilianischen Gesundheitssystem lernen könnte – wenn es nur bereit wäre, zuzuhören. Das war es nicht.
Harris sah die Potenziale, die das System aus Brasilien übernehmen könnte. So setzte er sich unter anderem für die Einführung von Gemeinde-Gesundheitsberater:innen ein, wie sie in Brasilien üblich sind. Nach anfänglichen Pilotprojekten hat sich diese Praxis in England mittlerweile erfolgreich im ganzen Land verbreitet. “Leider und unnötigerweise dauerte das Ganze über 20 Jahre”, sagte Harris, der die Einwände gegen solche Initiativen auf unbegründete Vorurteile und falsche Annahmen zurückführt. Nach eigenen Aussagen verstand Harris durch diese Erfahrungen, wie sich Forschende oder Ärzt:innen aus dem globalen Süden fühlen müssen, wenn sie wegen der vielen Vorurteile und Rassismen in der globalen Forschung oder Praktik nicht ernst genommen werden.
Dem 11 Monate alten Daniel aus Nyagatare (Ruanda) konnte ein Gemeindemitglied das Leben retten. Amina erkannte die Mangelernährung des Kleinen und konnte dem Vater, der das Baby nach dem Tod der Mutter alleine großzog, die richtige Hilfe vermitteln. Amina ist ein Community Health Worker (CHW, dts: Gemeinde-Gesundheitsberater:in).
Das sind Gemeindemitglieder, die vor Ort für die gesundheitliche und medizinische Grundversorgung sorgen und in der Lage sind, Präventiv-, Förderungs- und Rehabilitationsmaßnahmen durchzuführen. Meist haben diese Personen nicht die formale Ausbildung eines Krankenpflegers oder einer Ärztin, arbeiten jedoch mit solchen zusammen oder assistieren ihnen. Die Ausbildung und Ernennung von CHWs hat sich in vielen Teilen der Welt erfolgreich etabliert. Ihre Wirksamkeit bei der Verbesserung der globalen Gesundheit ist dabei mehrfach belegt worden. Ein Beispiel dafür sind Ruanda und Äthiopien, die Anfang der 2000er Jahre Tausende solcher Arbeitenden zur Bekämpfung von Malaria einsetzten. Diese Gesundheitsarbeiter:innen informierten die Gemeinden über Prävention und Früherkennung, verteilten Hilfsmittel wie Moskitonetze und Malaria-Medikamente. Infolgedessen konnte die Malaria-Ausbreitung in beiden Ländern zwischen 2000 und 2015 um 75 Prozent reduziert werden.
Dr. Harris hat CHWs auch in England etabliert. Mit…