Gutherzige Nerds

Streamen für den guten Zweck

von | 2. Dezember, 2022

Die Streaming-Szene ist groß, wird in den Medien aber kaum besprochen. Dabei ist es genau diese, die sich leidenschaftlich für den guten Zweck engagiert.

Gaming- und vor allem Streaming-Formate sind zwar aus Massenmedien-Sicht noch immer eher nischig, erfreuen sich aber dennoch wachsender Beliebtheit. Insbesondere Twitch hat sich als Plattform und soziales Netzwerk in den letzten Jahren etabliert. Doch wer noch immer an das eingestaubte Klischee glaubt, dass die Zuschauer:innen sozial zurückgezogene Eigenbrödler:innen sind, der irrt gewaltig. Beobachtet man die Szene, fallen zwei Dinge besonders auf: der Zusammenhalt in den Communitys und der Drang, gemeinsam Gutes zu tun. 

Spendensammlungen und Charity-Events sind in Streams an der Tagesordnung. Egal ob Einzelpersonen oder groß organisierte Events, die Intention ist immer dieselbe: Geld sammeln und damit etwas Positives bewegen. Die eigene Reichweite soll in keinem Fall ungenutzt bleiben. 

Der Erfolg spricht für die Streamer:innen und ihre Communitys. Schon alleine tragen sie hunderte, wenn nicht tausende Euros zusammen. Die großen Events setzen da aber nochmal einen drauf: 2021 hat die Charity-Week von Nerdstar 10.000 Euro gesammelt, bei Loot für die Welt sind vor einigen Wochen sogar über 500.000 Euro zusammengekommen. Doch damit nicht genug: In der letzten Ausgabe vom Spendenmarathon Friendly Fire haben die beteiligten Streamer:innen beeindruckende 1,9 Millionen Euro gesammelt. Ab morgen Nachmittag geht das Event, das für viele Zuschauer:innen zum jährlichen Ritual geworden ist, in die achte Runde.

Großprojekt Friendly Fire

Friendly Fire ist der größte Spendenstream im deutschsprachigen Raum. Elf Streamer:innen sind zwölf Stunden lang live und rufen dabei immer wieder zu Spenden für bestimmte, vorher festgelegte Vereine und Projekte auf. Die Stimmung ist stets gut, der Ton locker: Es werden Spiele gespielt, Interviews geführt und Spenden-Meilensteine mit besonderen Wetten und Aktionen gefeiert. So hatten sich Christian Stachelhaus und Dennis Brammen, beide Teil des Gaming-Kanals Pietsmiet, 2021 beim Erreichen der 900.000 Euro-Marke jeweils eine Augenbraue abrasiert.

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„Das erste Friendly Fire entstand spontan, nach einer abendlichen Idee der Protagonist:innen”, erzählt Lena Laaser, Projektleiterin des Events. Ihr Vorgänger Mikkel Robrahn hatte den Stream damals kurzfristig innerhalb eines Monats organisiert – und damit einen ziemlich großen Stein ins Rollen gebracht. Das Event kam so gut an, dass es seitdem jährlich stattfindet und immer weiter wächst. „Mittlerweile ist die Organisation echt ein Job für das ganze Jahr”, so Laaser. „Friendly Fire ist von Samstag auf Sonntag – dienstags hatte ich schon die erste Anfrage für den nächsten Hauptsponsor im Postfach.”

Das Projekt finanziert sich rein durch Spenden. Es gibt immer einen Hauptsponsor, mit dessen Spendensumme alles organisiert wird. In diesem Jahr ist das Bethesda mit dem Spiel Starfield. Was übrig bleibt, wandert schon vorab in den Spendentopf. 

Wohin das Geld am Ende geht, steht bereits vor dem Event fest. Laaser und ihr Team achten dabei darauf, verschiedene Themenbereiche abzudecken. „Wir bekommen super viele Vorschläge diesbezüglich aus der Community. Viele Vereine bewerben sich aber auch bei uns direkt”, so die Organisatorin. Sie selbst suchen aber auch Spendenempfänger:innen aus, die sie passend finden oder die ihnen wichtig sind: „Dieses Jahr sind zwei Vereine dabei, die von den Creator:innen selbst vorgeschlagen wurden. Das ist dann natürlich doppelt cool, weil dann meist extra viel Herzblut drin steckt.”

Ein Achtel des gesammelten Geldes wird allerdings zurückgehalten, um damit den eigenen Friendly Fire Notfallfond zu speisen. Dieser wurde nach der Ahrtal-Katastrophe ins Leben gerufen. Die Spendengelder hatten bis dahin alle ein festgeschriebenes Ziel, was ein spontanes Helfen verhinderte. So entstand die Idee zu dem Notfallfond – um auch auf akute Notlagen reagieren zu können.

„Auf diese Weise konnten wir zum Beispiel direkt zu Beginn der Ukrainekrise schnell 75.000 Euro spenden. Und erst kürzlich haben wir damit 100.000 Euro an die Tafel gespendet, um sie in der momentan schweren Zeit zu unterstützen”, erzählt Laaser. Auch die Community freue sich ungemein, dass das Geld nun auch flexibel eingesetzt werden kann. Es sei unglaublich schön zu sehen, wie viel Hoffnung das den Menschen gebe, so Laaser.

Nähe trotz Distanz

Aber Friendly Fire ist, wie zu Beginn bereits angedeutet, nicht der einzige Spendenstream in Deutschland. Es gibt zahlreiche andere, größere Events und viele Streamer:innen sammeln auch in Solo-Aktionen Gelder für wohltätige Zwecke. Eine davon ist Sabine Nagelsdiek, online besser bekannt als LaNoireSakura. Die Streamerin hat schon mehrfach für den guten Zweck gestreamt, weil sie, wie sie sagt, Idealistin ist: „In der Welt passieren täglich furchtbare Dinge, weshalb ich mir schon immer wünschte, etwas Positives beizutragen. Das tue ich als Logopädin, tat ich damals mit meinen YouTube-Videos, indem ich andere unterhielt” – und jetzt tut sie es durch ihre Streams. 

Nagelsdieks Fokus liegt dabei auf mentaler Gesundheit und vor allem auf Suizidprävention. Sie will aufklären und das Thema entstigmatisieren, denn sie weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig diese Arbeit für Betroffene und Angehörige ist. Über 4.300 Euro hat sie so mit ihrer letzten Aktion an die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention spenden können – dank ihrer Streams und dem Engagement der Community. Was ihre Zuschauer:innen an ihr schätzen, ist vor allem der ehrliche, aber dennoch sensible Umgang mit dem Thema. Die Nähe, die zwischen Streamerin und Community besteht, schafft eine vertraute Umgebung, ein Gefühl der Sicherheit. 

Screenshot aus dem Stream von LaNoireSakura, Friendly Fire
Nagelsdiek alias LaNoireSakura streamt regelmäßig für den guten Zweck. Bild: Twitch / LaNoireSakura

Diese Nähe ist es wohl vor allem, die einen Stream von anderen Medien, und in diesem Fall Spendenaktionen, unterscheidet. Man kennt sich, tauscht sich aus, hat Spaß zusammen. Das bestätigt Nagelsdiek auch aus der zuschauenden Perspektive. Sie schaut anderen ebenso beim Streamen und Zocken zu, ist selbst großer Friendly Fire Fan.

Für sie ist das Event viel unterhaltsamer als beispielsweise Spendenaktionen im Fernsehen. Außerdem sind die Beteiligten ihr sympathischer. Doch vor allem genießt sie eben dieses Gemeinschaftsgefühl: „Ich kann mit anderen, die den Stream auch gucken, direkt interagieren. Es fühlt sich so viel mehr nach einer Gruppenaktivität an, als alleine auf der Couch zu sitzen. Zusätzlich haben die Zuschauer:innen die Möglichkeit, den Stream durch die Spenden zu beeinflussen, was das ganze nochmal spannender macht.”

Gemeinsam Lachen und Gutes tun

Laaser ist immer wieder beeindruckt von der Spendenbereitschaft der meist eher jungen Zuschauer:innen: „Letztes Jahr waren alle so unglaublich angespannt, kurz bevor wir die eine Million geknackt haben. Wir konnten das einfach nicht glauben. Das ist wirklich immer eine sehr besondere Stimmung.” Manche hätten ihr erzählt, dass sie sogar Sparkonten angelegt haben, extra für Friendly Fire. Dort sammeln sie die übrigen Euros ein Jahr lang, um sie während des Events zu spenden. Sie teilt Nagelsdieks Auffassung, dass das Gemeinschaftsgefühl im Stream besonders hoch ist. „Man steckt da eben mehr zusammen drin. Das Ziel ist dann, dass man das zusammen schafft”, so Laaser. 

Auch die Transparenz sei ein wichtiger Faktor; dass die Zuschauer:innen sehen, was mit ihrem Geld passiert. Sie sehen live die Erklärungen der Vereine und im Nachhinein die konkreten Ergebnisse der Spenden. Beispielsweise hat Peter Smits, einer der Streamer:innen, per Video eine Scheune gezeigt, die ein Tierpark dank der Spendengelder errichten konnte. Das Gefühl sei so einfach ein anderes, als bei einer stillen Dauerspende, so Laaser.

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Nichtsdestotrotz kommt der Spaß bei den Streams nicht zu kurz. Der Fokus liegt schließlich auf der Unterhaltung und auf positiver Bestärkung, nicht auf der Erzeugung eines schlechten Gewissens. Nagelsdiek hat dafür unter anderem Challenges in ihrem Stream integriert, die die Zuschauer:innen zum Spenden animieren: „Das war eine große Motivation für viele. Zu sehen, wie ich beispielsweise ein Spiel mit verschlossenen Augen spiele.” Auch die direkte Kommunikation mit ihren Zuschauer:innen verstärkt den Effekt. „Ich kann direkt auf sie eingehen und sie auf mich”, so die Streamerin. Mal sprechen sie darüber, was ihnen an dem Verein, den sie unterstützen, wichtig ist; mal lachen sie darüber, dass die Steuerung per Fuß nicht wirklich gut funktioniert. Eine unschlagbare Mischung.

Ein bisschen Chaos gehört zum Streamen und zum gemeinsamen Spendensammeln also auch dazu. Das ist der vermutlich größte Unterschied zu TV-Produktionen und macht die Aktionen so authentisch und nahbar. Genau deswegen will Laaser trotz wachsender Professionalisierung und beispielsweise einem beeindruckendem Bühnenbild die Lockerheit beibehalten. Egal, wie viel Zeit vergeht – im Kern soll Friendly Fire das bleiben, was es immer war: eine Truppe Freunde, die etwas Gutes tun wollen. Das wird besonders deutlich, als wir sie fragen, was für sie das Schönste an dem Projekt ist: 

„Schon während der Show schneidet jemand das Highlight-Video. Das wird dann ganz zum Schluss gezeigt und wir schauen es alle gemeinsam an. Das ist der Moment, wo die Kameras aus gehen, alle beisammen sitzen und sich dieses Video ansehen. Da realisieren wir meist erst, wie viel in den vergangenen 12 Stunden passiert ist – dieser Moment ist einfach so besonders und bewegend. Der Druck fällt ab und man denkt nur: ‘Wow. Das haben wir geschafft?!’” 

Gemeinsam kann man viel erreichen. Das scheinen die deutschen Streamer:innen besonders gut zu wissen. Die Nähe zu ihren Zuschauer:innen ist das Entscheidende. Die Community unterstützt sich gegenseitig und verfolgt gemeinsam Ziele – egal ob durch Geldspenden, das Teilen der Posts oder das reine Zusehen. Die Streamer:innen scheinen dafür unendlich dankbar. Sie wissen um ihren Einfluss, aber auch um ihr Potenzial als Gemeinschaft – und nutzen es.

Friendly Fire 8 – Samstag, 03.12.2022 auf Twitch


Beitragsbild: eosAndy

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Julia Verstraelen

Ich liebe schon immer Worte und Sprache und studiere deswegen Online-Redaktion in Köln. Egal ob in Filmen, Gedichten oder Videospielen – gute Geschichten begeistern mich einfach. Umso besser natürlich, wenn die Geschichten auch noch eine schöne Message haben. Aus diesem Grund schreibe ich für das Good News Magazin: um die wirklich guten Stories erzählen zu können!

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