Seit 2008 ist der Absatz von Textilien mit Fairtrade-Siegel in Deutschland fast um das Zwanzigfache gestiegen. Die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie sind im positiven Wandel.
Ein Blick nach Kambodscha und in die Zukunft.
Wir alle wissen, dass es nichts Gutes bedeutet, wenn auf dem Etikett im Lieblings-T-Shirt „Made in China“, „Made in Bangladesh“ oder „Made in Cambodia“ steht – trotzdem wischen viele das ungute Gefühl mit einem Seufzen beiseite, denn wir haben ja keine andere Wahl. Wirklich? Allianzen großer Textilfirmen, strenge Textilsiegel und vor allem unsere Kaufentscheidungen haben zunehmend eine positive Wirkung. Fair Fashion ist für einige von uns nach wie vor nur ein Modebegriff, manchen sind fair produzierte Kleidungsstücke zu teuer. Doch wenn wir uns vor Augen führen, welchen Preis die Arbeiter:innen für unsere Billigkleidung zahlen, wird teuer plötzlich relativ.
Wo kommt dein T-Shirt her und wer produziert es?
Die Produktion eines T-Shirts „Made in Cambodia“ beginnt meist 2.950 km weiter nördlich in China. Hier kommt ein Großteil der Rohstoffe her, die in den kambodschanischen Fabriken zu Textilien verarbeitet werden. An sechs Tagen in der Woche gehen 730.000 Arbeiter:innen in einer der fast 600 Textilfabriken im Land zur Arbeit. Die Arbeiter:innen fertigen mindestens acht bis zehn Stunden täglich Kleidung im Akkord, 80 Prozent von ihnen sind Frauen. Sie werden oft bereits als minderjährige Kinder aus den Provinzen in die Städte geschickt, um das Einkommen ihrer Familien zu sichern.
Hitze, Dreck und absolute Kontrolle bestimmen den Arbeitsalltag
Im Dokumentarfilm „The Conscience of Clothing” des Regisseurs Patrick Kohl und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der im November 2020 veröffentlicht wurde, beschreiben mehrere (ehemalige) Näherinnen den Arbeitsalltag in den Textilfabriken. In einer Fabrik sind in der Regel mehrere Tausend Menschen beschäftigt, aufgeteilt in Gruppen von 200-300 Arbeiter:innen pro Produktionsschritt. Es gibt keine Klimaanlagen in den Stahlbauten mit Wellblechdächern, sodass die Temperaturen im Inneren der Gebäude meist an der 40° C-Marke kratzen. Zum Schutz vor Staub und Dreck tragen viele Arbeiter:innen durchgehend Mund-Nasen-Masken, und wer während der Schicht auf Toilette gehen muss, muss sich für eine von drei Zeitkarten pro Abteilung anstellen, die zu einer kurzen Pause berechtigen.
Zum Leben zu wenig – Mindestlohn in der kambodschanischen Textilindustrie
Jede:r Arbeiter:in hat ein tägliches Soll-Ziel, das auf Schichtzetteln dokumentiert wird. Wer dieses Ziel verfehlt, muss nachsitzen oder bekommt weniger Lohn. Den Mindestlohn in der kambodschanischen Textilindustrie bestimmt die Regierung des Landes. Er beträgt laut eines Positionspapiers des Facing Finance e. V. von 2019 gerade einmal 182 US-Dollar pro Monat – dabei liegt der sogenannte Existenzlohn, also ein Einkommen, das nicht nur das bloße Überleben, sondern die Existenz inklusive sozialer und kultureller Teilhabe sichert, in Kambodscha gemäß einer Erhebung der Initiative „Lohn zum Leben“ aus dem Jahr 2018 bei 477 US-Dollar.
Ein:e Arbeiter:in muss nicht nur sich selbst, sondern im Durchschnitt bis zu vier weitere Familienmitglieder versorgen. Immer wieder schließen sich die Arbeiter:innen daher zu Gewerkschaften zusammen, um für bessere Arbeitsbedingungen und fairen Lohn zu kämpfen, doch die Lohnanpassungen erfolgen nur schleppend und in winzigen Schritten. Darüber hinaus spielt Arbeitsschutz in den Produktionsstätten kaum eine Rolle und die Gewerkschaftsmitglieder werden oft bedroht, erpresst oder bei Protesten gewaltsam zum Schweigen gebracht. Zuletzt berichteten internationale Medien 2014, dass bei friedlichen Protesten der Textilarbeiter:innen in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh fünf Menschen erschossen wurden. Seitdem ist es wieder still geworden um die Missstände vor Ort, doch behoben sind sie noch lange nicht.
Armut, Ausbeutung, Abhängigkeit – ein weitreichender Teufelskreis
Das Problem ist komplex, neben den Arbeiter:innen in den Textilfabriken und ihren Familien sind weitere ortsansässige Menschen von den prekären Umständen betroffen. Zum Beispiel die Lastwagen- und Busfahrer, die die Arbeiter:innen täglich zu den Fabriken bringen und sie abends nach Schichtende wieder nach Hause fahren. Die Fahrer können je nach Größe ihres Fahrzeugs höchstens 50 Menschen gleichzeitig transportieren und verdienen bei täglicher Vollauslastung maximal sieben US-Dollar pro Monat – haben die Fabriken aufgrund von verzögerten Rohstofflieferungen, defekten Maschinen oder eines Nachfragerückgangs der großen Modemarken weniger Aufträge, werden weniger Arbeiter:innen gebraucht und die Fahrer verdienen weniger.
So haben sie nicht nur ebenfalls Probleme, ihre Existenz zu sichern, sondern sie können auch ihre Fahrzeuge nicht absichern. Die Passagier:innen werden meistens stehend auf der Ladefläche des Fahrzeugs transportiert, zum Festhalten gibt es dünne Metallstangen oder nur einfache Holzlatten. Immer wieder passieren Unfälle, bei denen Passagier:innen schwer verletzt oder sogar getötet werden.
Die Branche boomt trotzdem – neun Milliarden US-Dollar jährliches Exportvolumen für Bekleidung und Schuhe
Auf der anderen Seite stehen die Tatsache, dass Textilien 70 Prozent der Warenexporte Kambodschas ausmachen und der Umstand, dass die großen internationalen Modemarken sich bisher kaum in der Verantwortung gesehen haben. Sie sind zum Beispiel davon ausgegangen, dass Lohnpolitik nicht Aufgabe der Firmen, sondern Aufgabe der Regierung sei, es keine international standardisierte Berechnungsgrundlage für existenzsichernden Lohn gäbe und Konsument:innen nicht mehr bezahlen würden, um höhere Löhne mitzufinanzieren. Vor allem letzteres Argument verliert an Kraft, wenn wir bedenken, dass der Lohnanteil lediglich 1-3 Prozent des Endpreises ausmacht.
Positive Veränderungen mit großen Herausforderungen
Seit 2020 sieht sich die Branche mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert, bei der ihr scheinbar die Hände gebunden sind: die Europäische Union hat aufgrund der anhaltenden Verstöße gegen die Menschenrechte und wegen weiterhin fehlender angemessener Arbeitsbedingungen in der Branche beschlossen, die kambodschanische Textilindustrie teilweise aus dem „Everything But Arms“-Abkommen (EBA) auszuschließen, also den zoll- und kontingentfreien Zugang zum EU-Markt einzuschränken.
Für die großen Modemarken bedeutet das höhere Kosten im Einkauf, sodass sie zunehmend Aufträge stornieren, was wiederum dazu führt, dass die lokalen Textilproduzent:innen weniger Arbeiter:innen benötigen und große Teile des Personals entlassen. Die Auswirkungen der gesunkenen Umsätze im textilen Einzelhandel kommen noch hinzu und ziehen ähnliche Effekte nach sich.
Good News: Viel Bewegung in der Branche
Es sieht also ziemlich düster aus rund um unser Lieblingsshirt, die schicken Sneaker und die eine Jeans im Schrank, die richtig gut passt. Doch ab sofort gar keine Kleidung aus Asien mehr zu kaufen, würde den Arbeiter:innen in Kambodscha und anderen Textilhochburgen genauso schaden wie der Status quo – schließlich entscheidet die Nachfrage nach Kleidung über die Anzahl der lokalen Arbeitsplätze.
Viel wirkungsvoller ist es, Kleidung bewusst zu konsumieren. Das nehmen sich immer mehr Menschen bereits zu Herzen. 2020 war der Absatz von Textilien mit Fairtrade-Siegel in Deutschland fast 20 Mal so hoch wie 2008. 2019 war dieser sogar noch 26 Mal so hoch wie 2008. Wegen geschlossener Modegeschäfte im Corona-Jahr und einer geringeren Nachfrage nach Baumwoll-Tragetaschen sank der Absatz 2020 wieder. Dennoch ist die Fairtrade-Entwicklung in den letzten Jahren sehr positiv.
Seit dem Einsturz einer großen Textilfabrik in Rana Plaza, Bangladesch, im Jahr 2013, haben sich laut Greenpeace hunderte europäische und amerikanische Modefirmen zu Bündnissen wie „Alliance“, „Accord“ oder „ACT“ zusammengeschlossen, um Fair Fashion an erste Stelle zu setzen, das heißt, die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern zu verbessern, bei der Textilproduktion höhere Umweltschutzstandards einzuhalten, einheitliche Qualitätsstandards und Regelungen zu schaffen sowie faire Löhne zu zahlen.
Siegel für Textilstandards sind Wegweiser zu Fair Fashion
Im „Greenpeace-Check“ von 2018 beschreibt und bewertet die NGO die wichtigsten Textilsiegel hinsichtlich ihrer jeweiligen Richtlinien und ihrer Wirkung. Laut Greenpeace schneidet der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN Best) bei der Analyse von Chemikalienmanagement, Recycling und Arbeitnehmerrechten am besten ab.
Die Verwendung von Chemikalien ist in der gesamten Lieferkette verboten und die verwendeten Fasern müssen biologisch abbaubar sein. Außerdem sind die beteiligten Betriebe dazu verpflichtet, festgelegte Sozialstandards einzuhalten. Der Global Organic Textile Standard (GOTS) folgt auf dem zweiten Platz der Bewertung und „Made in Green“ von Oeko-Tex landet auf Platz 3.
Unabhängige Modemarken und alternative Rohstoffe geben die positive Zukunft der Textilindustrie vor
Darüber hinaus haben sich inzwischen nicht nur in Kambodscha einige unabhängige kleine Modemarken etabliert, die Wert legen auf faire Arbeitsbedingungen, hohe Produktqualität sowie nachhaltige Lieferketten und Produktionswege; auch hier in Deutschland entstehen immer mehr (Online-) Shops für faire Marken sowie Fair Fashion-Portale.
Sie erleichtern es uns, mit dem Kauf unserer Kleidung ebenso lokale und kleinere Anbieter wie Nordwolle zu unterstützen, die sich noch keine Zertifizierungen leisten können oder wollen. Alternative Rohstoffe wie zum Beispiel veganes Leder aus Kakteen werden hier auch sichtbar und machen einen entscheidenden Unterschied – für unser eigenes Wohlbefinden sowie für das der Textilarbeiter:innen in Kambodscha.
Beitragsbild: Marcus Loke / Unsplash