Die Zukunft gehört dem Radverkehr

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von | 13. Juni, 2024

“I want to ride my bike” – auf sicheren Radwegen. Davon gibt es in Deutschland noch zu wenige. Doch Entwicklungen hier und in anderen Ländern zeigen, wie eine Verbesserung der Fahrradinfrastruktur funktioniert und wie wir alle etwas zu ihrer Umsetzung beitragen können.

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Fahrradfahren ist gesund und gut für die Umwelt. In der Verkehrspolitik steht der Ausbau guter Radwege allerdings immer noch an letzter Stelle. Dass es auch anders geht, zeigen fahrradfreundliche Städte wie Kopenhagen und zukünftig auch Paris. Der Weg dahin führt über Fahrrad-Aktionismus, wie auch Positivbeispiele aus Deutschland belegen.

Die Vorteile des Radfahrens

In Deutschland gibt es inzwischen fast so viele Fahrräder wie Menschen. Aus dem Alltag ist das Fahrrad nicht mehr wegzudenken. Kein Wunder, denn es gibt für den täglichen Bedarf kein anderes Verkehrsmittel, mit dem man schneller ans Ziel kommt. Richtig gelesen: Ein Auto fährt zwar im Prinzip schneller, jedoch muss es für eigentlich kurze Wege meist eine größere Strecke zurücklegen. Dazu kommt die Gefahr, im Stau stecken zu bleiben. Und dann muss man noch einen Parkplatz suchen. Dann doch viel lieber mit dem Fahrrad, das noch so viel mehr kann, als uns schnell ans Ziel zu bringen:

1. Ein klimafreundlicher Superheld auf zwei Rädern

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Fahrradfahren ist unglaublich umweltfreundlich. Wer mit dem Rad fährt, fährt CO2-neutral, denn das Radfahren braucht keinerlei fossilen Energieträger. Jede Fahrt mit dem Fahrrad, anstelle des Autos, ist wie eine kleine Umarmung für unseren Planeten. Keine Emissionen, kein Lärm, und das einzige Öl, das vielleicht eine Rolle spielt, ist das für die Fahrradkette. Da über 20 Prozent der klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland im Verkehr entstehen, ist Fahrradfahren ein notwendiger Schlüssel zu mehr Klimaschutz. Das gilt auch für E-Bikes. Sie verursachen zwar im Vergleich zum herkömmlichen Fahrrad mehr Emissionen, aber dabei trotzdem nur 10 Prozent dessen, was ein Auto verursacht.

2. Dein persönlicher Fitnesstrainer

Neben den ökologischen Vorteilen verbessert regelmäßiges Fahrradfahren die körperliche und seelische Gesundheit. Es reduziert das Risiko für zahlreiche Krankheiten, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und fördert die psychische Gesundheit durch die Reduzierung von Stress und die Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens. Radfahrer:innen leben laut der “Copenhagen City Heart” Studie im Schnitt 3,7 Jahre länger.

3. Gesteigerte Lebensqualität in den Städten

Darüber hinaus trägt eine fahrradfreundliche Umgebung zu einer höheren Lebensqualität bei, indem sie saubere, ruhige und sichere öffentliche Räume schafft. Fahrräder verursachen keinen Lärm und keine Abgase. Dort, wo keine Autos fahren, können Menschen spazieren gehen, Kinder spielen und Straßencafés zu einer Pause einladen. Es gibt sogar Studien, die belegen, dass die Konsumkraft entlang der Radwege steigt; weil Radfahrer „mal eben auf dem Heimweg“ noch ein paar Besorgungen erledigen können.

Die Politik hinkt hinterher

Bei all den Vorteilen wundert es eigentlich, warum trotzdem so viele Menschen für den Arbeitsweg ins Auto steigen. Der Schutz vor widrigen Wetterbedingungen: Wer kann das nicht verstehen? Ansonsten erweist sich das Fahrrad als würdiger Gegenspieler zu den anderen Verkehrsmitteln. Für ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschen gibt es inzwischen eine Vielzahl an Alternativen zum herkömmlichen Rad: Räder mit niedrigem Durchstieg, fesche Dreiräder und natürlich die Räder mit Elektrounterstützung. Sogar große Transporte können mit Lastenrädern gemacht werden, die es in vielen Städten inzwischen zu leihen gibt.

An den Rädern selbst liegt es also kaum, wohl aber an der Radinfrastruktur. Denn wenn Radwege schlecht ausgebaut sind oder ins Leere laufen und wenn das Radfahren auf der Straße unsicher wird, satteln viele Menschen lieber aufs Auto um. Kurz: die deutsche Verkehrspolitik hat in Sachen Radverkehr großen Nachholbedarf.

Dass es auch anders gehen kann, zeigen fahrradfreundliche Länder wie die Niederlande oder Städte wie Kopenhagen. Hier gelten Radfahrer:innen als gleichwertig gegenüber dem Auto. Die dortigen zukunftsversierten Verkehrskonzepte kommen nicht von ungefähr. Sie sind das Ergebnis von vielen Aktionist:innen und dem Willen in der Politik, diesen Interessen Gehör zu schenken und sie umzusetzen. Ein anderes, jüngeres Beispiel, das besonders gut illustriert, was unter den richtigen Voraussetzungen möglich ist, ist Paris – die Stadt, die bis dahin als, vom Smog verseuchte, Autostadt bekannt war. 

Die Pariser Fahrrad Revolution

Anne Hidalgo wurde 2014 die erste Bürgermeisterin von Paris. Seitdem hat sie eine Reihe von Maßnahmen eingeführt, um das Radfahren in der Stadt zu fördern und Paris zu einer „gesunden Stadt und grünen Oase“ zu machen. Zu den wichtigsten Initiativen gehören:

1. Verkehrsberuhigung und Reduzierung von Autos:
Hidalgo hat ein Ufer der Seine für Autos gesperrt und den Ausbau von Fahrradwegen vorangetrieben. Dies führte innerhalb eines Jahres zu einem Anstieg der Fahrradfahrten um 50 Prozent und markierte den ersten Rückgang der Autonutzung in Paris seit 1940. Ziel ist es, jede Straße in Paris mit einem Radweg auszustatten und wichtige Verkehrswege für Autos unzugänglich zu machen.

2. Ausbau der Fahrradinfrastruktur:
Seit ihrer Wahl im Jahr 2014 hat Hidalgo schätzungsweise 300 km Fahrradwege angelegt, was zu einem Anstieg der fahrradfreundlichen Straßen in ganz Paris um 35 Prozent führte. 

3. Investitionen in Fahrradwege und -stationen:
Paris hat bereits 150 Millionen Euro für die Verbesserung der Radwege und der entsprechenden Infrastruktur ausgegeben. Darüber hinaus plant Hidalgo, weitere 250 Millionen Euro zu investieren, um das bereits wachsende Radverkehrsnetz zu verbessern und Paris zu einer der fahrradfreundlichsten Städte Europas zu machen.

4. Der Umgang mit Parkraum:
In den letzten Jahren wurden die Parkgebühren insbesondere für SUVs und ähnliche Autos drastisch erhöht. Hidalgo plant außerdem über 60.000 Parkplätze abzuschaffen, um Platz für Grünflächen, Rad- und Fußwege zu machen (siehe auch unseren Artikel zu autofreien Städten).

Wie hat es Hidalgo geschafft, diese Entwicklungen voranzutreiben? Ihre Argumente waren nicht der Klimawandel und das “grüne Gewissen”, sondern die Gesundheit der Kinder, die durch Feinstaubbelastung leidet. Die Pariser Stadtverwaltung hat auch auf die Sicherheitsbedenken hingewiesen, die mit höheren, schwereren SUVs verbunden sind. Im Falle eines Unfalls können sie für Fußgänger doppelt so tödlich sein wie ein Standardauto.

In einer Stadt, in der vor ein paar Jahren noch viel Smog war und anscheinend kaum jemand Fahrrad gefahren ist, gibt es jetzt Fahrradschnellwege und viele Fahrradstraßen. Nun hat sich die Weisheit der Verkehrsplaner:innen bewahrheitet: Wenn man die Infrastruktur schafft, kommt auch der Verkehr. Bauen wir mehr Straßen, fahren mehr Autos. Bauen wir mehr Radwege, nutzen wieder mehr Menschen das Fahrrad.

Das Potenzial zum Umstieg

Eine Schätzung des Umweltbundesamts besagt, dass sich in Ballungsgebieten bis zu 30 Prozent der Pkw-Fahrten auf den Radverkehr verlagern ließen. Auch außerhalb der Städte besteht großes Potenzial, den Umstieg vom Auto aufs Rad zu fördern. Besonders durch E-Bikes bietet sich Menschen in ländlichen Regionen inzwischen eine gute Alternative für zuvor mit dem Auto zurückgelegte Strecken. Hinzu kommt, dass auch bergige Regionen dadurch fahrradfreundlich werden. Auch Lastenräder fahren häufig mit Elektrounterstützung.

Das schlägt sich in den Zahlen nieder: Acht bis zehn Prozent der Menschen in ländlichen Regionen besitzen ein E-Bike, in Städten sind es nur drei Prozent. Berücksichtigt man, dass Menschen mit dem E-Bike zwei- bis dreimal häufiger fahren als mit konventionellen Rädern und darüber hinaus deutlich längere Strecken zurücklegen, bietet sich dadurch eine bedeutende Chance, mehr Mobilität vom Auto auf das Rad umzulagern. Dafür jedoch braucht es umfassende, überörtliche Radnetze, um das Unfall-Risiko zu senken und die Mehrheit der Bevölkerung zu erreichen. 

Eine bessere Radinfrastruktur ist der Schlüssel für den Umstieg, in der Stadt wie auf dem Land. Dafür wiederum braucht es eine radfreundliche Verkehrspolitik. Hier können wir alle mitwirken, um politischen Druck zu erzeugen und den Willen zur Umgestaltung voranzutreiben. Möglichkeiten, sich dafür zu engagieren, gibt es viele. 

Gemeinsam die Zukunft des Radverkehrs gestalten

Der europaweit größte Fahrradclub ist der ADFC. Mit seinen Kampagnen fördert er den öffentlichen Diskurs und erzeugt politischen Druck. Ein wichtiges Instrument dabei sind Bürger- oder Volksbegehren. Mehr als 50 sogenannte “Radentscheide” gab es in den letzten Jahren in Deutschland. Insgesamt über eine halbe Millionen Menschen leisteten dabei ihre Unterschrift für eine bessere Radinfrastruktur und mehr Sicherheit für Radfahrer:innen. Oft mit Erfolg:

In Nordrhein-Westfalen beispielsweise forderte die Volksinitiative “Aufbruch Fahrrad” eine Erhöhung des Radverkehrs von 8 Prozent auf 25 Prozent bis 2025 landesweit, eine Verbesserung der Radinfrastruktur und mehr Sicherheit für Radfahrende im Straßenverkehr. Über 200.000 Menschen unterschrieben die Petition. 2019 stimmte der Landtag NRW der Volksinitiative in allen Punkten zu. So bekam NRW als erstes Flächenland weltweit ein eigenes Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz, das mit Beginn 2022 in Kraft trat. Ebenfalls 2019 nahm der Stadtrat in Aachen mit überwältigender Mehrheit das Bürgerbegehren zum Radentscheid an. Rund 40.000 Aachener:innen hatten zuvor für die sieben Ziele unterschrieben, deren Umsetzung die Initiative in den kommenden Jahren fordert, darunter ein durchgängiges Radnetz, sichere Kreuzungen und Radwege. 

Deutlich weniger Zeit in der Umsetzung erfordern sogenannte Pop-Up Radwege, also schnell errichtete, dennoch sichere und vorerst provisorisch markierte Radwege. Ihren Ursprung haben sie während der Corona-Pandemie. Damals wurde weltweit kurzfristig Straßenraum zu Radwegen umgewandelt, von Los Angeles über London, Paris, München oder Berlin. In vielen Städten durfte zumindest ein Teil der provisorischen Radwege auch längerfristig bleiben, an anderen Orten werden Pop-Up Radwege als Modellprojekt eingerichtet oder um Aufmerksamkeit für eine alternative Verkehrsgestaltung zu wecken.

“Seit 2020 haben 38 Kommunen deutschlandweit 61 Pop-up-Radwege über eine Länge von insgesamt mehr als 80 Kilometern umgesetzt, teilweise als Verkehrsversuch, teils als permanente Anordnung” ist die positive Bilanz der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Sie seien damit ein echtes Mittel, um die Mobilitätswende zu beschleunigen. Die DUH ermutigt darum alle Bürger:innen, über ein Online-Tool Anträge auf Pop-up-Radwege an ihre Verwaltungen zu schicken. Über 1.000 Menschen haben dieses Angebot bereits wahrgenommen.

Ebenfalls schnell und unbürokratisch sollen die “Bürgerradwege” in Nordrhein-Westfalen das Radnetz erweitern. Seit 2005 läuft das Modellprojekt des Landesverkehrsministeriums, bei dem Bürger:innen vor Ort eine entscheidende Rolle spielen. Sie können einen Lückenschluss im Radwegenetz bei der Kommune anregen, die erforderlichen Grundstücke gegebenenfalls selbst zur Verfügung stellen und auch bei der Umsetzung Hand anlegen – wortwörtlich, zum Beispiel beim Abtragen des Bodens. Rund 27 Millionen Euro stellte das Land bisher zur Verfügung, eine Investition, die sich lohnt: Seit Beginn des Projekts wurden mehrere hundert Kilometer der Bürgerradwege gebaut, vor allem in ländlichen Regionen. 

Neben solchen Initiativen spielen natürlich auch Fahrradproteste eine wichtige Rolle, um das Rad auf die öffentliche Agenda zu bringen. Besonders beliebt ist auch das vom Klima-Bündnis organisierte “Stadtradeln”, bei dem man sich jährlich in Gruppen zusammenschließt und innerhalb von drei Wochen die gefahrenen Kilometer sammelt. Letztes Jahr sind hierbei über eine Million Menschen mitgeradelt und dadurch 36.918 Tonnen CO2 gespart.

In vielen Städten gibt es mittlerweile monatlich eine Critical Mass, mancherorts sogar schon die erweiterte Kidical Mass für Familien mit Kindern. Beides sind weltweite Bewegungen, bei denen sich Radfahrer:innen selbst organisiert treffen und als Gruppe durch Innenstädte radeln – um so auf den Radverkehr als Form des Individualverkehrs aufmerksam zu machen.

Fahr doch einfach mal mit. Für einen sicheren Radverkehr, gemeinsamen Spaß beim Fahrradfahren und eine klimagerechte Zukunft.

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Beitragsbild: Snapwire via Pexels.

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    Gabi Finck

    Gabi Finck hat in Leipzig Soziologie und Erziehungswissenschaften studiert und lebt zur Zeit als freischaffende Mediengestalterin und Autorin in Greifswald. www.mondamo.de

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