Superheld:innen sind Idole für Menschen weltweit. Umso wichtiger ist es, dass sich die menschliche Vielfalt in ihnen widerspiegelt – ein Umstand, der nun endlich auch die Leinwand erreicht hat.
Seit einigen Monaten kocht alle paar Wochen in den sozialen Medien eine Diskussion um Repräsentation in aktuellen Filmen des Comic-Powerhouses Marvel hoch. „Eternals” wird (neben anderen Marvel-Filmen) aufgrund eines homosexuellen Paares in muslimischen Ländern verboten, der neue Thor ist zu unmännlich und irgendwie erobern eh gerade zu viele Frauen (und auch noch muslimische!) die Superheld:innen-Front.
Achtung: Weder die angesprochene Zensur noch die erbosten Kritiker:innen sind eine „Good News” – doch unser Fokus liegt darauf, dass die in den letzten Jahren diverser werdenden Protagonist:innen an sich eine unglaublich positive und wichtige Nachricht sind! Nur so schaffen wichtige Repräsentationen den Sprung aus Comic- oder Drehbuchseiten auf die Leinwand und in die Köpfe von Millionen von Zuschauenden.
Meine Kollegin Julia hatte bereits 2021 einen großartigen Artikel über die Entwicklung der Comicwelten geschrieben. Wir wollen in unserem Kommentar-Format Good News Thoughts die aktuelle Entwicklung aufgreifen und schauen: Was hat sich seit diesem Beitrag auf der Leinwand getan und warum ist das wichtig? In unserer Betrachtung beschränken wir uns auf das Marvel Cinematic Universe (MCU), das mit aktuell 29 Filmen und neun Serien die größte Reichweite – und damit höchstwahrscheinlich den größten Einfluss – hat.
Szene aus Marvel Studios‘ „Ms. Marvel“ | Bild Daniel McFadden. ©Marvel Studios 2022.
Der Wandel der letzten Jahre
Wie schrieb Julia so schön? „Lange Zeit waren Superhelden größtenteils weiße, hetero-normative Männer.” Das war nicht nur in den Comics so, sondern auch auf der Leinwand gang und gäbe, seit das MCU 2008 mit „Iron Man” begann. In den letzten vier Jahren allerdings hat sich etwas getan. BPoC und Frauen übernehmen Titelrollen und im Ensemble selbst wird mehr Wert auf Diversität gesetzt:
- 2018 bekommt der erste Schwarze Superheld mit „Black Panther” seinen eigenen Film – zehn Jahre und 18 Filme nach dem Start des MCU.
- 2019 folgt die erste Frau mit „Captain Marvel”.
- 2021 erobert mit „Shang-Chi” der erste asiatische Superheld die Leinwand.
- 2021 feiern in „Eternals” ein LGBTQI+ Charakter und eine gehörlose Heroine Premiere in einem deutlich von BPoC dominierten Film-Ensemble.
- 2022 zeigt „Moon Knight” auf Disney+ den ersten Helden mit einer psychischen Störung.
- 2022 folgt auf Disney+ mit „Ms. Marvel” die erste muslimische Heldin.
Superheldinnen im Fokus
Die ersten 21 Filme des MCU hatten allesamt männliche Titelcharaktere. Erst „Captain Marvel” durchbrach diese Serie. Black Widow, die als einzige Frau Teil des Superhelden-Teams „Avengers” war, brauchte sogar bis 2021, bis sie ihren ersten eigenen Film erhielt.
Warum das so wichtig ist? Ich wollte als Kind zum Beispiel als Cowboy, Batman oder Superman zum Fasching gehen. Eine SuperheldIN? Trotz DC’s Catwoman oder Wonder Woman nicht auf meinem Radar. Umso wichtiger ist es, dass die Filmindustrie neuen Generationen mit den vorgenannten Marvel-Heldinnen oder anderen wie Scarlet Witch, Yelana Belova, Kate Bishop oder Ms. Marvel (junge) Protagonistinnen als Idol präsentiert.
Es sind auch hier die kleinen Nuancen, in denen man sich gehört und verstanden fühlt. So ging es mir als Frau erst vor zwei Wochen, als in der neuesten Marvel-Serie „She-Hulk” Bruce Banner alias Hulk seiner Cousine und Titelheldin Jennifer Walters erklärt, dass sie ihre Wut im Zaum behalten muss, um ihre eigene Verwandlung zu kontrollieren. Sie erklärt ihm, dass sie das ständig tun muss:
„Wenn mir ein Typ auf der Straßen nachpfeift oder wenn inkompetente Männer meinen, mir mein eigenes Fachgebiet erklären zu müssen. Ich mach’ das so ziemlich jeden Tag, denn wenn ich das nicht tue, heißt es, ich wäre emotional oder schwierig oder ich muss sogar fürchten, dafür umgebracht zu werden.”
LGBTQI+ im MCU
Nachdem „Eternals”, wie zuvor erwähnt, in einigen wenigen Ländern aufgrund eines schwulen Helden gebannt wurde, ereilte auch „Doctor Strange in the Multiverse of Madness” 2022 dieses Schicksal – und das, obwohl die besagte Szene mit einem lesbischen Paar noch nicht einmal zwölf Sekunden des Films ausmachte. Dass es hier – wie auch in „Eternals” und dem neusten „Thor”-Film im Juli 2022 – tatsächlich Aliens (bzw. Geistwesen oder Steine) sind, die homo- oder bisexuell sind, scheint unwichtig zu sein. Doch dass derartige Zensuren es jedes Mal wieder in die Presse schaffen, zeigt: Die queere Realität ist im Film angekommen und eher die Nicht-Akzeptanz derselbigen ist berichtenswert.
Thor spoilers
— Leah 🏳️🌈 (@leahHahn0) July 9, 2022
Korg, valkyrie being confirmed lgbtq and korg having gay dads made me so happy
Obgleich ein Stand-Alone-Film eines queeren Charakters noch aussteht, hat Marvel mit der Serie „Loki” 2021 den titelgebenden Publikumsliebling bereits bisexuell angelegt und wird dieses Narrativ womöglich 2023 in Staffel Zwei noch ausbauen. Auch hier gilt: Es kann eine isolierende Erfahrung sein, die eigene Sexualität oder Geschlechtsidentität infrage zu stellen. Den Fernseher anzuschalten und zu wissen, dass man nicht allein ist – das ist unglaublich wichtig, wie auch die Community online sehr deutlich macht.
#MentalHealthMatters
Oscar Isaac als Moon Knight leidet an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Bild: ©Marvel Studios 2022.
Das Thema psychische Gesundheit rückte in den letzten Jahren – nicht zuletzt durch die Isolierung während der Corona-Pandemie – vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit. Auch das MCU zeigte in dieser Zeit anhand neuer Disney+ Serien zwei starke Charaktere, die beide an einer psychischen Störung leiden: In „WandaVision” untersucht die Geschichte um Wanda Maximoff den Umgang mit Trauma, Trauer und Wut – und das nicht nur an der Oberfläche, sondern mit echtem Tiefgang. In „Moon Knight” leidet Protagonist Steven Grant an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Sein Trauma wird ebenso auf herzzerreißende Art und Weise ergründet. Auch hier ist das Signal an die Zusehenden: Ihr seid nicht allein!
Wie unfassbar mutig, einer Zielgruppe, die seit 20 Jahren nur buntes, explosives Krachbumm Kino gewohnt ist, einen 1h Deep-Dive in die Abgründe der menschlichen Psyche zu präsentieren. Und das auch noch kurz vorm Staffelfinale. Oscar Isaac dürfte der Emmy sicher sein #MoonKnight
— Kevin (@YoshikageKevin) April 27, 2022
Muslime und die Teilung Indiens
Eine der zuletzt erschienenen Marvel-Serien ist die im Juni gestartete Disney+ Serie „Ms. Marvel”. Nun steht es mir als Weißer, agnostischer Frau nicht zu, zu entscheiden, ob die Repräsentation der muslimischen und/oder pakistanischer Kultur gelungen ist – doch die Kritiker:innen scheinen sich einig, dass es eine der besten Darstellungen in der filmischen Popkultur bislang ist.
„Ms. Marvel” berührt kleine Details ebenso wie große historische Events. Oder wer von uns hat in der Schule ausführlich etwas über die Partition von Indien und Pakistan 1947 gelernt? Ich zumindest nicht.
Every year I’m reminded how little the 1947 partition of India and Pakistan is known about globally. Ms Marvel talking about the partition was even more indicative of this fact. A major part of world history, and people are only finding out about it 75 years after it happened
— Sahar Arshad (@saharaarshad) August 15, 2022
Doch „Ms. Marvel” widmet sich nicht nur der pakistanischen Kultur und Historie, sondern zeichnet auch ein realistischeres Bild des Islam: Vom Schuhklau in der Moschee über die Liebe zum Hijab bis hin zu all der Fröhlichkeit, die der Ausruf „Allahu akbar” eigentlich transportiert – die Serie lehrt uns selbst kleine Nuancen des Islam und zwingt uns, eventuelle Vorurteile zu hinterfragen.
#MsMarvel broke away from many harmful and frankly inaccurate Muslim and Pakistani stereotypes to provide a story that gets representation righthttps://t.co/1FTevfCxgC pic.twitter.com/NuXPKvsbsp
— Nerdist (@nerdist) July 22, 2022
Wie geht es weiter?
2022 und 2023 soll divers bleiben: Der zweite Teil von „Black Panther” kommt im November 2022 in die Kinos, mit „Echo” wird im Frühjahr 2023 auf Disney+ eine gehörlose Heldin titelgebend sein. Gespielt wird „Echo” von der gehörlosen, beinamputierten und indigenen Schauspielerin Alaqua Cox. Das bringt uns zu einem Punkt, der tatsächlich noch fehlt: Indigene Repräsentation – etwas, das bislang auch in den Comics zu kurz kommt. Immerhin wurde sie im letzten „Thor”-Film von Regisseur Taika Waititi mit Referenzen zum Māori-Kriegsgott Tū und Einbindung einer Māori-Prinzessin bereits angeteasert.
Alaqua Cox als Maya Lopez in Marvel’s „Echo“ | Bild: Chuck Zlotnick. Marvel Studios 2022.
Warum all das – und sicher noch vieles mehr, über das wir hoffentlich in Zukunft berichten können – wichtig ist? Am besten erklärt das eine, die es als eine der erfolgreichsten Showrunnerinnen im TV wissen muss: Shonda Rhimes. Zum Abschluss eine allzu simple Weisheit von ihr, die es genau auf den Punkt bringt:
„Das Ziel ist, dass jeder den Fernseher einschalten und jemanden sehen kann, der so aussieht wie er und so liebt wie er. Und genauso wichtig ist, dass jeder den Fernseher einschalten und jemanden sehen kann, der nicht so aussieht wie er und so liebt wie er.“