Der Wolf ist zurück in Deutschland. Ein Interview mit Ingeborg Till, der Sprecherin der Landesarbeitsgruppe Wolf des Nabu in Hessen.
Über 150 Jahre galt der Wolf in Deutschland als ausgestorben. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts kehrt er langsam wieder nach Europa und auch nach Deutschland zurück und das als geschützte Art. Laut Bundesnaturschutzgesetz, sowie weiteren Richtlinien, dürfen Wölfe nicht getötet, verletzt oder gestört werden. Der Schutz umfasst auch ihre Lebensräume, um die Erhaltung der Population langfristig zu sichern. Darüber hinaus gibt es klare Vorgaben für den Umgang mit Konflikten zwischen Wölfen und Menschen, wie etwa Angriffe auf Nutztiere.
Verstöße gegen den Tierschutz für den Wolf können schwerwiegende rechtliche Folgen haben. Wer beispielsweise einen Wolf illegal jagt oder tötet, muss mit hohen Geldstrafen und strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Diese Strafen sollen sicherstellen, dass der Schutz der Wölfe ernst genommen wird und Wilderei oder fahrlässiges Verhalten eingedämmt werden. Die Bußgelder variieren, können jedoch bis zu mehreren tausend Euro betragen.
Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf (DBBW) ermittelt im jährlichen Wolfsmonitoring die Anzahl der Tiere. Diese Daten werden dann von Expert:innen bewertet.
Wolfswelpen nun auch in Hessen
Laut dem aktuellen Stand vom 02.11.20 gab es in Deutschland 128 bestätigte Rudel sowie 35 Paare und 10 territoriale Einzeltiere. Die Karte des Bundesministeriums für Umwelt und Naturschutz zeigt, die Wölfe siedeln von Sachsen in nordwestlicher Richtung über Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen.
Derzeit gibt es in Hessen mehrere nachgewiesene Wölfe; im Stölzinger Gebirge sowie im Odenwald und ein Wolfspaar lebt im Kreis Hersfeld-Rotenburg. Ob Tiere sesshaft sind, wird dadurch belegt, dass über einen Zeitraum von sechs Monaten genetische Nachweise aufzufinden sind. Die ersten Welpen wurden dieses Jahr im Rheingau-Taunuskreis entdeckt.
Da kaum jemand von uns den Wolf in der freien Natur kennt, wollten wir mehr erfahren. Dazu haben wir Ingeborg Till ein paar Fragen gestellt. Sie ist die Sprecherin der Landesarbeitsgruppe (LAG) Wolf des Nabu in Hessen:
Wo genau und wie viele Wölfe haben wir nun in Hessen?
Ingeborg Till: Wir haben ein erstes Rudel im Rheingau-Taunuskreis, ein Paar im Landkreis Hersfeld-Rotenburg und je ein weiteres territoriales Einzeltier im Werra Meißner Kreis, im Vogelsberg, und im Odenwald. Es muss jederzeit und überall mit wandernden Einzelwölfen gerechnet werden.
Nähere Informationen über die hessische Wolfspopulation erhält man auf der Seite des Wolfszentrums.
Was bedeutet Rudel? Gibt es eine Rangfolge?
Ingeborg Till: Unter einem Rudel versteht man ein Familienverband, bestehend aus den beiden Elterntieren, den Welpen aus dem aktuellen Jahr und dem Vorjahr. Eine Rangfolge in dem Sinne wie Alpha- und Omegawolf gibt es bei frei lebenden Wölfen nicht. Die Elterntiere bleiben in der Regel lebenslang zusammen und ziehen ihren Nachwuchs gleichberechtigt auf. Unterstützt werden die Elterntiere bei ihren Aufgaben durch die älteren Geschwister der Welpen, diese wandern erst zur Geschlechtsreife ab und helfen bis dahin bei der Jagd und der Welpenaufzucht.
Wie erkenne ich einen Wolf? Was unterscheidet ihn vom Hund?
Ingeborg Till: Es gibt Hunderassen, die so gezüchtet werden, dass sie wie ein Wolf aussehen. Von daher ist es unter Umständen für einen Laien sehr schwierig einen Wolf von einem Hund zu unterscheiden. In diesen Fällen hilft eine DNA Probe weiter um Sicherheit zu gewinnen. Typische optische Merkmale eines Wolfes sind: eine grau/bräunliche Färbung, schwarze Schwanzspitze, Sattelfleck auf dem Rücken, dunkler Kopf mit hellen Partien seitlich des Mauls und an der Kehle, hellbraune bis gelbliche schräg stehende Augen und dreieckige Ohren.
Was tue ich, wenn ich einen Wolf sehe? Was, wenn er plötzlich vor mir steht?
Ingeborg Till: Bleiben Sie ruhig stehen und halten sie Abstand. Falls das Tier Sie noch nicht bemerkt hat, sprechen Sie es an. Falls sie sich unwohl fühlen, machen Sie sich groß, rufen Sie laut, klatschen Sie in die Hände und ziehen Sie sich langsam zurück. Versuchen Sie auf keinen Fall, den Wolf zu füttern. Laufen Sie dem Tier nicht nach. Bitte halten Sie in Wolfsgebieten ihren Hund immer an der Leine oder dicht bei sich. Prägen Sie sich das Aussehen des Tieres gut ein und melden Sie ihre Sichtung dem hessischen Wolfszentrum.
Wie leben Wölfe? Was fressen sie? Wie groß ist ihr Jagdrevier?
Ingeborg Till: Wölfe leben in Familienverbänden, auch Rudel genannt und ernähren sich hauptsächlich von kleinen wild lebenden Paarhufern zum Beispiel Rehen die einen Großteil Ihres Nahrungsspektrums, nämlich gut 52 Prozent ausmachen – gefolgt von Wildschwein (17,6 Prozent), Rothirsch (15,1 Prozent) und Damhirsch (6,3 Prozent). Hinzu kommen kleinere Tiere wie zum Beispiel Hasen.Weidetiere stellen nur einen Bestandteil von ca. ein Prozent dar. Dies ergaben Untersuchungen an mehr als 6500 Kotproben (Quelle: Senckenberg Museum für Naturkunde, Görlitz). Die durchschnittlich genutzte Reviergröße eines Wolfsrudels beträgt, je nach Beschaffenheit und Wildtierdichte in Deutschland ca. 250 km².
Fressen Wölfe auch Schafe und andere Haustiere?
Ingeborg Till: Wölfe sind Opportunisten und ernähren sich aus den am einfachsten zu nutzenden Beutetieren. Da Schafe zur Gruppe der kleineren Paarhufer gehören, stehen sie natürlich, sofern sie ungeschützt sind, mit auf dem möglichen Speiseplan des Wolfs.
Wenn beispielsweise ein Schaf gerissen wird, wer testet die DNA und wie läuft das ab?
Ingeborg Till: In Hessen werden bei jedem Riss, an denen ein Wolf oder Luchs beteiligt sein könnte, durch ehrenamtliche Mitarbeiter des Wolfszentrums DNA-Proben genommen. Wolfs-DNA befindet sich zum Beispiel in den Speichelresten eines Wolfes an der Einbissstelle an der Kehle eines Risses. Die genommenen Proben werden für ganz Deutschland beim Senckenberg Institut in Gelnhausen untersucht und ausgewertet. Des Weiteren werden bei einem Riss andere Hinweise beachtet, zum Beispiel Spuren, Losungen (Kot der Tiere), Art und Weise des Rissgeschehens, Zahnabstand und Bisstiefe etc.
Gibt es einen Schutz für Haustiere? Was kann ich als Schafbesitzer beachten?
Ingeborg Till: Ja, es gibt Möglichkeiten Weidetiere zu schützen. Bewährt haben sich verschiedene elektrifizierbare Weidezaunsysteme und der Einsatz von Herdenschutzhunden. Spezielle Beratungen hierzu bieten die Behörden an. Außerdem bieten die einzelnen Bundesländer unterschiedliche Förderprogramme zur Unterstützung des Herdenschutzes an.
Welche Vorteile hat der Wolf auf seine Umgebung?
Ingeborg Till: In einigen Gegenden zum Beispiel im Yellowstone Nationalpark gibt es Untersuchungen, die eine positive Auswirkung des Wolfs auf das Ökosystem aufzeigen. Wölfe jagen vornehmlich die am leichtesten zu erlegenden Beutetiere, das heißt häufig alte, kranke oder auch junge Tiere. Verbissschäden an jungen Bäumen können weniger werden und Beutetierbestände gesünder. Die Untersuchungen in Deutschland laufen noch zu diesem Thema. Letztendlich wird der Wolf vermutlich in unserer stark vom Menschen geprägten Umgebung nur einen sehr kleinen Beitrag leisten können.
Wie ist der Wolf gesetzlich geschützt?
Ingeborg Till: Der Wolf ist eine auf europäischer Ebene über die FFH-Richtlinie und über das deutsche Naturschutzrecht streng geschützte Tierart. Unter bestimmten Umständen ist es allerdings erlaubt einzelne Tier zu entnehmen.
Arbeiten Jäger nun Hand in Hand mit dem Wolf? Beide schützen den Wald und bewahren vor Überpopulation?
Ingeborg Till: Ein Wolf jagt auf einem Gebiet von durchschnittlich 250 km², unsere hiesigen Jagdreviere der Jäger sind erheblich kleiner und es jagen unzählige Jäger in einem einzelnen Wolfsrevier ein Vielfaches von dem was eine Wolfsfamilie erbeutet. Von daher würde ich Wölfe und Jäger keinesfalls als Konkurrenten sehen, aber auch nicht so weit gehen, dass eine Zusammenarbeit erkennbar wäre.
Gibt es Hilfen bei Tierrissen vom Staat, wenn ich meinen Unterhalt mit Tierhaltung bestreite?
Ingeborg Till: Ja, wenn ich in Hessen meine Tiere schütze und ein Wolf dringt trotzdem in die Herde ein und es kommt zu einem Schaden, so bekomme ich eine Entschädigungsleistung.
Gibt es weitere Hilfen vom Nabu selbst?
Ingeborg Till: Der Nabu hilft und klärt zum Wildtier Wolf auf, steht nach Möglichkeit bei Fragen von Bürgern und Weidetierhaltern mit Rat und Tat zur Seite, außerdem hält die LAG Wolf des Nabu in Hessen Notfallzaunsets für Schäfer bereit.
Was macht die LAG Wolf genau? Wer sind Ansprechpartner:innen bei Fragen zu Tierhaltung und -schutz? Und wer ist es bei Wolfsbeobachtungen?
Ingeborg Till: Die LAG Wolf des NABU in Hessen klärt über das Wildtier Wolf auf. Wir berufen uns dabei auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Zu unseren Aufgaben gehören die Betreuung von Infoständen, die Beantwortung von Fragen aus der Bevölkerung, Durchführung von Vorträgen, Umweltbildung zum Thema Wolf in Schulen und anderen Kinder- und Jugendgruppen.
Fragen zum Thema können unter [email protected] gestellt werden. Alle anderen Informationen erhalten Sie unter [email protected]. Wolfsbeobachtungen melden sie bitte dem hessischen Wolfsbüro.
Hier eine Bundesländerübersicht mit den Meldestellen der Büros.
Gibt es einen Tag des Wolfes und finden dazu Veranstaltungen statt?
Ingeborg Till: Der reguläre Tag des Wolfs ist der 30. April eines jeden Jahres. Bis zu diesem Tag wird die Wolfspopulation im Monitoring gezählt um den Bestand des Jahres festzustellen. Beim Nabu gibt es dazu in der Regel Aktionen in Form von Veranstaltungen, die dieses Jahr leider coronabedingt nicht stattfinden konnten.
Am Samstag 09.10.21 findet eine Online-Wolfstagung statt – Was wird dort Programm sein?
Ingeborg Till: Wir werden das Thema von verschiedenen Seiten beleuchten. Es geht um die Population, auch in Hessen, über Genetik, den Einsatz von Herdenschutzhunden und das Thema Wolf und Pferd. Außerdem erklären wir was der Nabu so macht.
Wir danken Ingeborg Till für ihre ausführlichen und informativen Antworten. Mit etwas Glück gibt es für die Wolfstagung am kommenden Samstag noch Plätze, der Anmeldeschluss ist aber bereits heute am 05. Oktober 2021. Anmeldungen unter [email protected]. Sonst finden hoffentlich im nächsten Jahr wieder Veranstaltungen zum Tag des Wolfes am 30. April statt.
Die erste kleine Wolfsfamilie haben wir nun bereits in Hessen, bleibt zu hoffen, dass sie sich gut einleben und ab und an für ein Foto blicken lassen.
Beitragsbild: M L / Unsplash